Die "Neue Rechte" ist ein medialer Dauerbrenner. Das liegt auch an ihren streitbaren Persönlichkeiten, öffentlichkeitswirksamen Inszenierungen und provokanten Wortmeldungen und damit letztlich vor allem an ihrer Selbstdarstellung. "Neu", das klingt modern, innovativ und nach Aufbruch. Gleichzeitig ist "Neue Rechte" zu einem verwaschenen Sammelbegriff geworden, unter dem alles verhandelt wird, was jüngerer Entwicklung ("neu") ist und Bezüge ins (extrem) rechte Lager aufweist. Die bundesweite Fachtagung der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb thematisierte in unterschiedlichen Foren daher die Frage, wer oder was diese "Neue Rechte" eigentlich ist. Rund 180 Multiplikatorinnen und Multiplikatoren aus politischer Bildung, Wissenschaft und Sicherheitsbehörden beteiligten sich an den Diskussionen – im Saal oder per Live-Stream.
In der Interner Link: Begrüßung umriss Martin Langebach, Referent im Fachbereich "Extremismus" der bpb, die oben genannte Problemstellung und stellte die grundlegende Frage: Warum wird die "Neue Rechte" nach 60 Jahren immer noch als "neu" bezeichnet? Unterliegt sie keinem Verfallsdatum? Entsprechend stand die anschließende inhaltliche Eröffnung unter der Überschrift Interner Link: "Ein ewiger Jungbrunnen? Die 'Neue Rechte' in Deutschland", in die Dr. Volker Weiss mit der Frage einsteigt, was diese "Neue Rechte" eigentlich sei. Gerne vermittle diese politische Strömung nach außen, zur "Welt des Konservatismus" zu gehören, so der Autor verschiedener Bücher zum Thema. In ihren Publikationen aber stilisiere sie sich zur "Avantgarde einer zukünftigen Revolution". Und in ihren Texten sei ein "dezisionistischer Kult der Tat" eingeschrieben, so Weiß weiter: Die Akteure der "Neuen Rechten" sehen sich nicht 'nur' als Vordenker, wie Störaktionen bei Veranstaltungen politischer Gegner und Aktionen der so genannten "Identitären" zeigten. Pointiert führt er aus, dass sich diese Strömung vor allem als Vexierbild zeige, "das zwischen Antibürgerlichkeit und Bürgerlichkeit, zwischen Theorie und Praxis, zwischen Zerstören und Bewahren schwankt". Dabei sei sie, wie er an anderer Stelle hervorhebt, gleichzeitig eine "Kippfigur", bei der "sich immer nur in Momenten und Phasen überprüfen lässt, welche Seite gerade sichtbarer ist – die revolutionäre, aus der Tradition des Faschismus kommende, oder die gemäßigte Variante, die sich wieder unter die Fittiche des Konservatismus begeben möchte".
An die Ausführungen von Volker Weiss knüpfte Prof. Dr. Martina Steber vom Institut für Zeitgeschichte München–Berlin an und warf einen Blick zurück in die Bundesrepublik, auf die Entstehungsgeschichte der "Neuen Rechten" hierzulande und ihr Verhältnis zum Nachkriegskonservatismus. Steber entwickelte ihre Argumentation entlang dreier Thesen: Zunächst sei zu bedenken, dass die 'Neue Rechte' der Bonner Republik heterogener war als angenommen. Sodann führte sie in ihrer zweiten These aus, dass diese politische Strömung als "eine Gegenbewegung zur Demokratisierung und Liberalisierung der politischen Kultur der Bundesrepublik zu interpretieren" sei. Um dann in der dritten These darzulegen, dass Konservatismus und "Neue Rechte" grundsätzlich verschieden seien, aber immer wieder Allianzen eingingen. Dabei seien beide unvereinbar, denn: "Der Konservatismus zielt auf kontinuierliche Entwicklung, auf die Ausgeglichenheit zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Es gilt das Gute zu bewahren […] nur das Gute, wohlbemerkt. Brüche, Umwälzungen, gar Revolutionen widersprechen diesem Verständnis von Wandel diametral. Der Konservative erkennt die Gegenwart in ihrer Gewordenheit an. Der Rechte sieht ausschließlich Morschheit und Dekadenz, die allein durch einen radikalen Bruch zu überwinden ist." Und, betonte sie weiter, es gebe ein zweites Unterscheidungsmerkmal: "Konservative streben nach Maß und Mitte – und genau das verabscheuen Rechte".
Prof. Dr. Gideon Botsch, Leiter der Emil-Julius-Gumbel-Forschungsstelle am Moses-Mendelssohn-Zentrum für europäisch-jüdische Studien e. V., schloss direkt an die Ausführungen von Steber und Weiss an. Ihn freue, dass man die "Neue Rechte" nicht als das nehme, als was sie sich so gerne proklamiere, nämlich "als ein originäres Kind des Konservatismus". Vielmehr sei sie, blicke man auf die Genese der Strömung, "ursprünglich […] Fleisch vom Fleische des Rechtsextremismus – nicht des Konservatismus!" Und sie sei nicht frei von Gewalt.
Die Interner Link: "Vordenker der 'Neuen Rechten'", die in der Eröffnung kurz gestreift wurden, rückten in den Mittelpunkt des ersten Panels. Zunächst thematisierte Helmut Kellershohn am Beispiel der Wirtschafts- und Sozialpolitik der gegenwärtigen "Neuen Rechten" auf wen sie sich, angefangen von den 1920er bis weit in die 1980er Jahre, explizit oder implizit bezieht. Im Anschluss nahm Volkmar Wölk das Auditorium mit auf eine Zeitreise zurück in das Frankreich und Belgien der späten 1950er und frühen 1960 Jahre, als sich aus postfaschistischen Strukturen eine "Neue Rechte" zu entwickeln begann. Wie wichtig das Verständnis diese Frühphase ist, erläuterten beide Sprecher immer wieder: Denn die Werke dieser "Vordenker" der "Konservationen Revolution", des (frühen) Faschismus und Nachkriegsrechtsextremismus würden heute wieder in neuen Übersetzungen in einschlägigen deutschen Verlagen zugänglich gemacht.
Parallel führte im Panel Interner Link: "Die Weltanschauung der 'Neuen Rechten'" Richard Gebhard entlang der Kategorien "Volk" und "Rasse" in das Thema ein. Er zeigte, wie insbesondere über den Begriff "Volk" vielfältige Feinderklärungen in Form der Negation, dem "Volksfremden", formuliert werden. Dabei entblöße die "Neue Rechte", dass sie in Wahrheit auf sehr alte Traditionslinien rekurriere. Prof. Dr. Johanna Sigl wiederum näherte sich neurechten Weltanschauungen aus einer geschlechterreflektierenden Perspektive an. Auch sie zeigte, dass die entsprechenden Denkfiguren des Spektrums nicht originär "neurechts" seien, sondern sowohl in der extremen Rechten als auch in Gesellschaftsschichten verbreitet seien, die sich selbst als demokratisch verorten würden. Daran knüpfte schließlich Prof. Dr. Fabian Virchow an, der zunächst anzweifelte, ob es überhaupt noch sinnvoll wäre, von einer "Neuen Rechten" zu sprechen – ihr Vokabular und ihre Weltanschauung finde sich so auch bei der NPD. Daran anknüpfend legte er dar, dass im Hinblick auf den Kulturpessimismus und die Dekadenzkritik des Spektrums der Liberalismus, die Selbstverwirklichung des Menschen, zum eigentlichen Feindbild werde.
Im Panel Interner Link: "Die Strategien der 'Neuen Rechten'" erläuterte derweil Andreas Speit, wie diese politische Strömung der extremen Rechten strategisch versucht, ihre Botschaften zu verbreiten – denn das sei, wie bei anderen politischen Akteuren eben auch, ihr erklärtes Ziel. Von besonderer Bedeutung sei dabei die Um- und Abwertung zentraler Begriffe zur Delegitimierung des Staates. Doch gelingen ihr Diskurserfolge nur dann, wenn Leute aus der Mitte 'nach rechts' rückten – diese werden dann gezielt vereinnahmt. Im Anschluss widmete sich David Begrich der Selbstinszenierung der "Neuen Rechten" als eine 'intellektuelle' politische Strömung und als "Dissidenten" wider den bundesrepublikanischen Zeitgeist. Doch anders als die Dissidenten in der DDR oder in anderen osteuropäischen Ländern finden die Akteure der "Neuen Rechten" viele öffentliche Kanäle und seien nicht in den Untergrund verbannt. Doch die Selbstdarstellung als Opfer verfange bei vielen Menschen. Dabei werde verkannt, dass dieser vermeintliche "intellektuelle Rückzug" mit seiner "Arbeit im Wortgarten" selbst Teil ihrer Strategie sei und den Blick darauf verstelle, wie sie sehr wohl versuche tagesaktuell, aber auch langfristig politisch zu intervenieren. Dabei scheue sie auch nicht die Nähe zu Parteien: In den vergangenen Jahren hätten Akteure der "Neuen Rechten" vor allem versucht den Kurs der Partei Alternative für Deutschland (AfD) zu prägen.
Im Panel Interner Link: "Religion im Kontext der 'Neuen Rechten'" sprach zunächst Dr. Martin Fritz zum Verhältnis dieser politischen Strömung zum Christentum. Das sei durchaus angebracht, weil sich zentrale Akteurinnen und Akteuren der deutschen "Neuen Rechten" dezidiert als christlich positionieren. Doch handelt es sich dabei um eine Instrumentalisierung aus politischen Motiven? Oder findet hier eher eine "Umformung christlicher Motive aus politisch-religiösen Gründen" statt, also eben (auch) aus religiösen Motiven? Fritz neigte eher zur zweiten These. Daran anknüpfend widmete sich Prof. Dr. Lukas Rösli der Frage nach dem Verhältnis der "Neuen Rechten" zum Heidentum. Er beschrieb, wie das Spektrum versucht, sich jene christliche Fremdzuschreibung anzueignen. Von zentraler Bedeutung war dafür die Schrift eines französischen Publizisten der "Neuen Rechten", die Anfang der 1980er Jahre auch in deutscher Übersetzung erschien. Er bezog sich dabei positiv auf den Begriff Heidentum und versuchte dazulegen, dass damit verbundene religiöse die eigentlichen europäischen Wurzeln seien – nicht das Christentum. Im Kern gehe es in seinen Ausführungen aber um völkische und rassistische Vorstellungen, bei denen der französische Autor den "Phantasmen einer Vergangenheit" aufsäße, "die immer schon Konstruktion waren" – die das von ihm skizzierte "Heidentum" in Europa habe es so nie gegeben. Jüngeren Datums ist laut dem Referenten Matheus Hagedorny die Thematisierung des Islams in der "Neuen Rechten". Dabei falle auf, dass in Wortmeldungen immer wieder eine "Islamisierung Europas" kritisiert werde, gleichwohl aber vermieden werde, den Islam per se zu verurteilen. Vielmehr gehe es der "Neuen Rechten" vor allem darum, den Islam "auf seinen Platz zu verweisen" – räumlich gedacht entweder außerhalb Europas, mitunter auch als untergeordnete Religion in Deutschland oder gar als eine Art "Frischzellenkur für die nationale Identität". Denn angesichts der Herausforderung durch den Islam müsse sich diese nationale Identität, so eine Vorstellung, neu erfinden. Insgesamt falle auf, dass das Milieu in seiner Positionierung gegenüber dem Islam sehr ambivalent sei und sie ihre Wortmeldungen immer wieder neuen Gegebenheiten anpasse.
Abgeschlossen wurde der Fachtag mit einer Podiumsdiskussion unter dem Titel Interner Link: "Eine neue 'Neue Rechte'?", bei der Prof. Dr. Armin Pfahl-Traughber, Antonie Rietzschel, Natascha Strobl und Dr. Volker Weiß unter der Moderation von Ute Lange zunächst noch einmal grundsätzlich über die unterschiedlichen Definitionen des Gegenstands "Neue Rechte" diskutierten. Im Verlauf wurde deutlich, dass angesichts einer sechs Jahrzehnte währenden Geschichte die Bezeichnung als "neu" nicht mehr angebracht sei, aber neue Begriffe wie "intellektueller Rechtsextremismus" eben auch nur begrenzt die politische Strömung fassen würde. Votiert wurde daher für einen pragmatischen Umgang mit Begriffen oder eine spezifische Beschreibung der Phänomene, um die es eigentlich gehe. Zur Sprache kamen im weiteren Verlauf aber auch die Strategien des Spektrums, seine wirtschafts- und sozialpolitischen Vorstellungen und seine europäische Vernetzung. Gerade letzteres sei, so das Podium übereinstimmend, ein Thema für eine mögliche weitere Fachtagung.