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Der Sound der Revolution | Reihen | bpb.de

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Der Sound der Revolution

Ingo Petz

/ 11 Minuten zu lesen

Solidaritätskonzert für die gemeinsame Ausstellung der Künstler Lavon Volski und Jury Stylski (© Nastya Cassiopea)

Einfache Akkorde, eingängige Melodien, simple Worte und Refrains, die ins Schwarze treffen: Dafür wurden Smitser Halavach zu neun Jahren, Andrej Jaremchyk zu siebeneinhalb Jahren und Jauhen Burlo zu acht Jahren Haft verurteilt.
Die drei Musiker der belarusischen Rockgruppe Tor Band waren während der Proteste im Jahr 2020, mit denen sich die belarusische Gesellschaft gegen das autokratische System Alexander Lukaschenkos erhob, zu einer der bekanntesten Bands im Land geworden, ihre Songs zu Hymnen des Widerstands. In ihrem wohl populärsten Song, „My ne narodets“, dessen Video auf YouTube über eine Million Mal angeklickt wurde, bevor es entfernt wurde, wenden die Musiker sich gegen eine verächtliche Äußerung Lukaschenkos, der die Demonstrierenden als „Pöbel“ bezeichnete. Im Songtext heißt es: „Wir sind kein Vieh, keine Herde, keine Feiglinge. Wir sind ein lebendiges Volk, wir sind die Belarusen. Mit Glauben im Herzen halten wir stand, die Flamme der Freiheit über uns!“ Für das Video hatten Belarusen und Belarusinnen sich selbst gefilmt, während sie den Refrain in die Kamera sangen. Songs wie „Uchodi“ (Hau ab!), der Lukaschenko aufforderte, zurückzutreten, oder „Batska“, Väterchen, wie der Diktator sich auf volkstümliche Weise gern auf Belarusisch nennen ließ, warteten auf mit einer Sprache und einer Kritik an den bestehenden Verhältnissen, wie man sie in dieser Direktheit lange nicht mehr von belarusischen Musikern gehört hatte. Doch diese Deutlichkeit hatte ihren Preis: Drei der vier Musiker aus dem Provinzstädtchen Ragatschow im Osten des Landes waren in Belarus geblieben, als die Machthaber begannen, mit unvorstellbarer Härte und Brutalität die Proteste niederzuschlagen. Im Oktober 2022 wurden sie schließlich festgenommen. Dann wurden sie zu „Extremisten“ erklärt – so kriminalisiert die Staatsmacht diejenigen, die ihr nicht genehm sind. Menschen, die dennoch Kontakt zu den Geächteten halten, ihre Musik oder ihre Posts in den sozialen Medien teilen, laufen Gefahr, selbst festgenommen zu werden.

Die Niederschlagung der Proteste dauert an bis heute. Es ist offensichtlich, dass das System Lukaschenko mit allen Mitteln verhindern will, sich bei nächster Gelegenheit wieder Proteste in einem derartigen Ausmaß entwickeln zu lassen. 1.300 offizielle politische Gefangene sitzen in Gefängnissen ein, rund 60.000 Menschen wurden seit 2020 inhaftiert, 2.000 NGOs verboten. Nahezu alle großen unabhängigen Medien mussten das Land verlassen. Hunderttausende sind vor politischer Verfolgung geflohen, darunter viele Kulturschaffende und eben auch Musikerinnen und Musiker, die zur Zielscheibe staatlicher Gewalt wurden, weil sie an den Protesten als Bürger teilnahmen, bei Protestveranstaltungen auftraten, sich in Songs oder in den sozialen Medien kritisch gegenüber der Staatsmacht äußerten oder gegen die brutale Gewalt Stellung bezogen, mit der die Spezialeinheiten des OMON gegen die Demonstranten vorgingen. Musikerinnen und Musiker, die zu Konzerten ins Ausland reisen und nach Belarus zurückkehren, laufen heute Gefahr, im Gefängnis zu landen, wie der Fall der Rockband Nizkiz zeigt. Das Video zu ihrem Song „Pravily“ (Regeln), das die Musiker inmitten der Protestmärsche zeigt, wurde 2020 zum viralen Hit. Drei Musiker des Quartetts wurden Anfang 2024 festgenommen und schließlich zu zweieinhalb Jahren Freiheitsbeschränkung im offenen Strafvollzug verurteilt. Wer im Ausland auftritt, kann kaum verhindern, dass auf geposteten Konzertfotos oder -videos weiß-rot-weiße Fahnen geschwenkt werden, dem Symbol der damaligen Proteste, mittlerweile in Belarus verboten und unter Strafe gestellt.

Warum werden Menschen in Belarus für Lieder und Musik eingesperrt? Diese Frage stellte Yuriy Stylskiy, Sänger und Gründer der Punkband Dai Darohu!, in einem Beitrag für das Online-Medium Zerkalo, mit dem er auf die Verurteilung der Tor-Band-Musiker reagierte. Seine Antwort: „Weil es in einer Diktatur keinen anderen Weg gibt. Jemand muss leiden, der Grad der Angst muss sich erhöhen, damit die Menschen wissen, dass sie nicht einmal einen Laut von sich geben dürfen, sondern nur in der Küche flüstern. Die Behörden wollen, dass solche Bands und Lieder nicht mehr entstehen.“

Konzert der belarusischen Rockband VOLSKI in Poznań (Polen), 2022 (© Darya Kaleda)

Musikerinnen und Musiker waren von Anfang an Teil des Protests 2020 – bei den großen Märschen sah man DJs, die mit einer mobilen Mixanlage die Massen zum Tanzen brachten, das Fantasy-Folk-Ensemble Irdorath spielte seine Version des Klassikers „Peremen“ (Wandel) der russischen Kultband Kino bei den Protestzügen (und wurde später dafür verhaftet und zu bis zu zwei Jahren Haft verurteilt), Lavon Volski, Legende der belarusischen Musikszene, spielte an der Metrostation Puschkinskaja ein spontanes Gedenkkonzert, wo am zweiten Tag des Protests nach den gefälschten Präsidentschaftswahlen Aljaksandr Taraikouski von Sicherheitskräften erschossen wurde. Piet Paulau, Gitarrist der Kultband N.R.M., wagte sich vor eine martialisch aussehende Mauer aus Spezialkräften und spielte dort den Song „Try charapachi“ (Drei Schildkröten) – ein Song, der sich über viele Jahre zu einer Art inoffizieller Hymne des Landes entwickelt hat. Es entstanden zahlreiche neue Songs und Videos, in denen Bands oder Musikerinnen die Gewalt oder die Missstände in der Gesellschaft zur Sprache brachten und schließlich das neue Leben im Exil thematisierten. Der Volny Chor, der Freie Chor, der sich bei den Protesten in Minsk gründete, trat unangekündigt dort auf und sang bekannte Volkslieder wie „Kupalinka“. Mit Musik den öffentlichen Raum besetzen – auch ein Zeichen der Selbstermächtigung, die wie eine Welle damals durch Belarus schwappte.

Die alternative Musikszene in Belarus hat eine lange Tradition des subversiven Protests. Seit der zweiten Hälfte der ausgehenden 1980er Jahre entwickelte sie sich in unterschiedlichen Stilen und Subkulturen zu einem Schmelztiegel der Nonkonformisten. So begehrte man, inspiriert durch die neuen Freiheiten von Perestroika und Glasnost, mit Folk, Hardrock, Blues oder Wave auf gegen das monotone, eingehegte Leben in der Sowjetunion, besang die Sehnsucht nach Freiheit und setzte sich für das Belarusische ein. Bands wie Mroya, Bonda oder Ulis befreiten die Sprache aus ihrer marginalisierten Rolle eines kulturellen Mauerblümchens und machte sie unter Jugendlichen cool und populär. Mit der Wahl Lukaschenkos 1994 dann sagten viele Musikerinnen und Musiker jener Generation dem neu erstarkenden Autoritarismus in ihrer Heimat den Kampf an, was wiederum eine nachfolgende Generation von ihnen inspirierte, mit den Mitteln von Punk, Elektro, Rap, Rock oder Hardcore gesellschaftspolitische Emanzipationsprozesse unter schwierigen politischen Bedingungen nicht nur zu begleiten, sondern mit den Mitteln der Musik und des Auftritts auch selbst zu gestalten. Die Girl-Hardcore-Band Messed Up aus der westbelarusischen Stadt Hrodna etwa setzte ab 2015 mit einer selbstbewussten, feministischen Attitüde eines der deutlichsten Zeichen im Widerstand gegen autoritäre und patriarchalische Strukturen.

Das System Lukaschenko ging ab der zweiten Hälfte der 1990er Jahre gezielt gegen die Unbequemen in der Musikszene vor: Konzerte wurden von der Staatsmacht verboten, Clubbesitzer unter Druck gesetzt. Es kursierte eine inoffizielle schwarze Liste – Musiker, die auf ihr standen, hatten de facto Auftrittsverbot. In den staatlichen TV- und Radioprogrammen wurden sie nicht gespielt, um eine Massenwirkung zu verhindern. Das Ska-Punk-Ensemble Krambambulya war die erste Band, die 2011 Exilkonzerte in Litauen veranstaltete. Autokratien und Diktaturen legen selbst fest, was aus ihrer Sicht politisch ist und damit eine Bedrohung ihrer Macht darstellt. Für die Kontrolle sorgen sogenannte Ideologie-Abteilungen in den Verwaltungen der Gemeinden, wo Veranstalter Genehmigungen für Konzerte beantragen müssen. Auch in Belarus waren viele Bands oder Musikerinnen und Musiker nicht immer dezidiert oder direkt politisch in ihren Darbietungen, Texten oder Aussagen. International erfolgreiche Bands wie die Cold Waver von Molchat Doma äußern sich auch heute nur selten zu den Ereignissen in ihrer Heimat. Allerdings hat das Trio mittlerweile seine Heimat verlassen. Die Melancholie ihrer Musik speist sich aus dem Ausgeliefertsein des Individuums in autoritären Systemen, das den Menschen in die Seele greift.

Konzert der Band VOLSKI zum 10. Jubiläum ihres Albums "Social Sciences" im Odessa Club in Warschau (Polen), 2024 (© Johnny Cosmic)

Krambambulya wurde sogar als Spaßprojekt von Lavon Volski gegründet, um die belarusische Kultur und Sprache zu stärken und weiterhin auftreten zu können, als das Regime Anfang der 2000er Jahre die Repressionen gegen die Musikszene verstärkte. Allerdings war Volski schon früh, gerade mit seiner Band N.R.M., als mutiger Regimekritiker bekannt geworden – was ihm viele seiner Fans bis heute hoch anrechnen. Trotz alledem duldete das Regime bis 2020 gewisse Freiräume, in denen Konzerte und Festivals stattfinden, sich neue Musik entwickeln und eine gewisse Gegenkultur zum neosowjetischen Allerlei etablieren konnte. Diese Freiräume sind spätestens seit 2021 weitgehend verschwunden, und die bekanntesten Musikerinnen und Musiker der alternativen Szene befinden sich inzwischen im Exil in Georgien, Polen, Litauen oder Deutschland, wo sie sich mitunter ein neues Leben aufbauen müssen, aber allein von ihrer Musik nicht leben können.

Volski, der Anfang der 1980er Jahre begann, Musik zu machen und immer zu den offensten Kritikern des Systems Lukaschenko gehörte, hat seine Heimat im September 2021 verlassen. „Für mich hat sich nicht viel geändert“, sagt er, „denn auch in Belarus war es kein Zuckerschlecken. Ich kann nicht mehr in meine Heimat, aber ich habe mehr Freiheiten. In Belarus, könnte man sagen, war es schlimmer: ein Halb-Underground-Dasein, innere Emigration, Paranoia und Verbote, als man jahrelang keine Konzerte spielen konnte. Das setzt einem zu.“ In einem freien Belarus könnte Volski Konzerte vor Zehntausenden Menschen spielen. Nun spielt er dort, wohin die Belarusen geflohen sind. Manchmal spielt er – wie in Warschau – in einem ausverkauften Club, und manchmal vor ein paar Dutzend Zuhörern wie in Berlin. „Man muss ständig aktiv und kreativ sein, um sein Geld zu verdienen“, sagt er. „Und natürlich ist es so, dass viele belarusische Bands und Musiker ständig durch die Exilländer touren und es eine gewisse Sättigung an Konzerten gibt. Zudem haben viele Belarusen natürlich ernste Probleme im Exil: die Legalisierung ihres Aufenthalts, Arbeit finden und so weiter. Dazu kommen die häufig traumatischen Erfahrungen einer Haft und die Tatsache, dass man seine Nächsten in Belarus nicht mehr besuchen kann. Da geht man nicht ständig auf Konzerte, auch wenn die eine gewisse Hilfe sind, um durch die schweren Zeiten zu kommen.“ Volski, dessen digitale Plattformen von den Machthabern in Belarus als „extremistisch“ eingestuft wurden, produziert ständig neue Alben und Musik, um im Geschäft zu bleiben. Dabei setzt er sich – das zeichnet sein Werk fast durchweg aus – mit den Lebenswelten der Belarusen auseinander. Auf dem Album „Listy palitviaźniam“ etwa befinden sich Songs in Form vertonter Briefe an politische Gefangene, und in dem Projekt „Emihranty“ ist es das Leben im Exil, das er beschreibt und bearbeitet.

Auch im Exil ist die ausgewanderte Musikszene nach wie vor sehr aktiv. Es erscheinen neue Alben und Videos, Konzerte und Festivals werden veranstaltet. Dass man sich mit den neuen Gegebenheiten relativ schnell arrangieren konnte, liegt gewiss auch an den Anpassungs- und Improvisationsfähigkeiten, die man sich in einem feindlichen Umfeld in Belarus über viele Jahre antrainiert hat, um irgendwie existieren und dem Regime ab und zu ein subversives Schnippchen schlagen zu können. In Belarus selbst kann die neue Musik derjenigen, die nun im Exil sind, nur im Verborgenen gehört werden. Es wird eine der größten Herausforderung sein, die Verbindung ins Land nicht abbrechen zu lassen, sodass nicht zwei Gesellschaften entstehen, die einander irgendwann – schließlich weiß niemand, wie lange sich das System Lukaschenko noch halten kann – nichts mehr zu sagen haben. Die Sängerin Ketevan, die aktuell in Polen lebt, glaubt, dass genau die Musik die Kraft hat, das unsichtbare Band nicht abreißen zu lassen: „Durch künstlerisches Schaffen können wir die Verbindung zwischen den Belarusen im Ausland und den im Land Gebliebenen aufrechterhalten. Wir wollen wissen, was zu Hause passiert, und umgekehrt.“

„In der Emigration spielt jeder für sich“

Interview mit Alena Varanets vom Belarusian Council for Culture, der aus dem Exil Repressionen gegen Kulturschaffende dokumentiert, inhaftierten Musikerinnen und Musikern hilft und es sich zum Ziel gesetzt hat, die belarusische Kultur zu fördern.

Warum werden auch Musiker gezielt in Belarus festgenommen?
Das Regime inhaftiert weiterhin Musiker und verurteilt sie zu langen Haftstrafen, eben weil ihre Stimme zählt. Tatsächlich ist jede persönliche Webseite eines berühmten Musikers aus Sicht der Behörden ein oppositioneller Medienkanal, der die Gedanken und Meinungen der Menschen beeinflussen kann. Die Verhaftung des Autors ist eine perverse Art, einen solchen Kanal zu „blockieren“ und ihn für „extremistisch“ zu erklären, also de facto zu verbieten. Derzeit sind etwa zwanzig Musiker inhaftiert. Es ist unmöglich, eine genaue Zahl zu ermitteln – immer häufiger gelangen Informationen zu Urteilen oder Festnahmen nicht mehr an die Öffentlichkeit.

Können in Belarus überhaupt noch Konzerte stattfinden?
Für die Behörden stellt sich immer die Frage, wer ein Konzert oder Festival organisiert und wer auftritt. Um dies zu kontrollieren, gibt es Mechanismen. Auch für Veranstalter gilt seit 2022 eine neue Regelung: Nun müssen sie für die Durchführung von Konzerten eine Genehmigung einholen. Um als Gastgeber von Veranstaltungen zugelassen zu werden, müssen sie über mindestens drei Jahre Arbeitserfahrung und ein sauberes Strafregister nachweisen. Nur wenige Menschen bestehen eine solche Überprüfung.
Lokale Clubs und Veranstalter finden Wege, mit jemandem zusammenzuarbeiten, um ihm seine „Feier“ zu ermöglichen. Dann gibt es meist kleine Konzerte für bis zu hundert Personen. Andere machen geheime Wohnungskonzerte. Es gibt auch größere Konzerte. Doch im besten Fall handelt es sich um Konzerte belarusischer Künstler, die keine Stellung beziehen, im schlimmsten Fall um Importe russischer Stars oder Popsänger, die im Dienste der Behörden arbeiten.

Was sind die Probleme für belarusische Musiker im Exil?
Das Hauptproblem der belarusischen Musik in der Emigration ist das Fehlen eins gemeinsamen Spielfeldes. Hier spielt jeder für sich, und jeder muss sich sein eigenes Spielfeld schaffen. Meistens entscheiden sich Künstler unter solchen Bedingungen einfach dafür, Musik aufzunehmen und Konzerte für ein paar hundert Leute zu geben. Die absolute Mehrheit tut das in der Freizeit, viele legen sogar noch Geld drauf. Die einzigen Möglichkeiten, Musiker zu unterstützen, bestehen darin, Musik in Streams zu hören, ein Album auf Bandcamp zu kaufen oder zu einem Konzert zu kommen. Die belarusische Öffentlichkeit hat immer noch eine sehr schwach entwickelte „Tradition der Unterstützung“. Wir integrieren uns eher langsam in neue Räume, daher tun Musiker in der Emigration weiterhin das Gleiche wie zu Hause – sie spielen für sich. Versuche, gemeinsam mit lokalen Künstlern aufzutreten und Beiträge in sozialen Netzwerken in mehreren Sprachen gleichzeitig zu verfassen, gibt es eher selten. Anders als beispielsweise in der Literatur oder beim Kino gibt es in der belarusischen Musik noch keine eigene Organisation, die ihre Interessen vertritt.

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M.A., geb. 1973; freier Journalist und Autor, Berlin. Externer Link: www.ingopetz.com E-Mail Link: ingopetz@hotmail.com