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Der Rock 'n' Roll und das Antikriegs-Engagement während der Kriege im ehemaligen Jugoslawien von 1991-1995
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Ein Rockkonzert mit 80.000 Zuschauenden am 28. Juli 1991 markiert den Höhepunkt der Friedensbewegung, bevor in Jugoslawien der Krieg ausbricht.
Als musikalisches Genre und Teil der Jugendkultur war es der Rock 'n' Roll, der zu Zeiten des auseinanderfallenden Jugoslawiens die Ablehnung eines Teils der Bevölkerung gegen die Kriegspolitik vermittelte. Nicht alle Rockmusiker in diesen Breitengraden vertraten eine Antikriegshaltung – einige gaben unter dem Druck des Nationalismus auf, andere wanderten aus und hielten sich aus dem Konflikt heraus, indem sie ihre Karriere außerhalb Jugoslawiens fortsetzten, wieder andere hörten ganz auf, aktiv Musik zu machen. Diejenigen, die innerhalb der Grenzen der ehemaligen Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien (SFRJ) blieben und sich gegen den Krieg engagierten, kooperierten mit Antikriegsorganisationen – unter anderem, indem sie Friedenskonzerte veranstalteten.
Obwohl er den Krieg nicht stoppen konnte, blieb der Rock 'n' Roll ein Wiedererkennungszeichen und somit eine wichtige Kommunikationsform, trotz plötzlich neu gezogener Grenzen.
Bereits Ende der 1980er Jahre, als die Spannungen zwischen den jugoslawischen Republiken zunahmen, wiesen Rock-Autoren auf die politische Instabilität hin, deuteten die Möglichkeit eines Krieges an und warnten zugleich auch vor ihr.
Der Kriegsausbruch in Slowenien Ende Juni 1991 dann, gefolgt von der Eskalation lokaler serbisch-kroatischer Konflikte, verstärkte die Aktivitäten zahlreicher Antikriegsorganisationen und politischer Gruppen mit projugoslawischer Ausrichtung. Nach dem relativ kurzen sogenannten Zehn-Tage-Krieg in Slowenien war es das Ziel der Antikriegskundgebungen, den Konflikt in Kroatien zu beenden und ein Übergreifen des Konflikts auf Bosnien zu verhindern. Aus diesem Anlass fand am 28. Juli 1991 in Sarajevo das JUTEL-Konzert
Das nächste große Antikriegs-Rockkonzert, das am letzten Augusttag 1991 in der Nähe von Kragujevac stattfand, »Umetnici za mir« hieß [»Künstler für den Frieden«] und dem von JUTEL ähnelte, verband ebenfalls Rockbands und Künstler. Dort trat auch die Band Atomsko sklonište aus Pula auf, obwohl sich Kroatien bereits im Krieg befand. Parallel dazu fand in Zaječar die »Gitarijada« statt, eines der größten Rockfestivals der ehemaligen SFRJ, das in diesem Jahr ebenfalls Antikriegscharakter hatte. In der Zwischenzeit wurden Friedenskonzerte in der Arena von Pula, in Portorož und Zagreb abgehalten.
Als Reaktion auf den Kriegsausbruch in Bosnien im April 1992 und den anschließenden Beschuss von Sarajevo wurde in Belgrad das Friedenskonzert »Ne računajte na nas« [»Zählt nicht auf uns«] organisiert.
Während des Krieges waren gemeinsame Auftritte von Rock 'n' Roll-Bands aus der ehemaligen SFRJ nur im Ausland oder – nach dessen Unabhängigkeit – in Slowenien möglich. Die Belgrader Band Partibrejkers tourte 1992 durch Slowenien und trat mit KUD Idi(j)oti aus Pula auf.
Mit der Zunahme der Emigration aus dem (post-)jugoslawischen Raum fanden vor allem ab Mitte 1993 auch im Ausland Antikriegsdemonstrationen statt. Eine solche Veranstaltung war etwa »Music, War & Radio«, die im Juli 1993 in Amsterdam stattfand, als niederländische Bands engagierte Lieder jugoslawischer Bands aufführten, mit dem Ziel, unabhängigen Medien auf dem Boden des ehemaligen Jugoslawien zu helfen.
Eine andere Art des Antikriegsengagements von Rockmusikern bezog sich eher auf Einzelinitiativen. Rockmusiker widersetzten sich der Mobilisierung, schrieben Antikriegslieder oder Lieder über den Krieg, die explizit Antikriegscharakter hatten. Für eine Vielzahl von Bands war der Krieg Thema ihrer Songs oder ganzer Alben. Das Album der Belgrader Band Električni orgazam aus dem Jahr 1992 etwa hieß »Seks, droga, nasilje i strah / Balkan horor rok« [»Sex, Drogen, Gewalt und Angst / Balkan Horror Rock«]. 1994 veröffentlichte die stets engagierte slowenische Band Laibach das Album NATO, das Coverversionen weltberühmter Kriegslieder enthielt.
Zahlreiche Rockmusiker sprachen sich in den Medien offen gegen den Krieg aus. Einige nutzten den medialen Raum des nationalen Fernsehens wie etwa Milan Mladenović, der Frontmann von Ekatarina Velika, während des Festivals »Beogradsko proleće 92« [»Belgrader Frühling 92«], als er in einer Livesendung um eine Schweigeminute für die Opfer des Krieges bat
Die Antikriegsaktivitäten bestimmter Rockmusiker stießen bei den nationalistischen Regimes nicht auf Sympathie. Die Behörden in Belgrad und die staatlichen Medien blickten keineswegs freundlich auf die Antikriegsbewegung, die mit Oppositionsparteien, unabhängigen Medien und Nichtregierungsorganisationen zusammenarbeitete. Bekannt ist der Fall einer Redakteurin von Radio Belgrad, Anica Nonveja, die entlassen wurde, nachdem sie das umstrittene Lied »E, moj druže beogradski« des kroatischen Autors Jura Stublić
Nach der Herausbildung einer einzigartigen Mainstream-Musikproduktion in Kroatien entstand auch eine große Anzahl patriotischer Pop- und Rocksongs, die patriotisches und humanitäres Engagement vereinten.
Darko Rundek, am besten bekannt als Kopf der ehemaligen Zagreber New-Wave-Band Haustor, verbrachte während des Krieges einige Zeit bei Radio Brod, einem Medienprojekt jugoslawischer Journalisten-Emigranten und französischer humanitärer Organisationen, dessen Ziel es war, objektive Informationen bereitzustellen und einen Beitrag zur Herstellung des Friedens zu leisten.
Antikriegsaktivitäten im Rock 'n' Roll reichten jedoch viel weiter als „nur“ die Veröffentlichung von Musik; sie beinhalteten auch die Zusammenarbeit mit Antikriegsorganisationen und die Achtung religiöser, nationaler und anderer Unterschiede, indem sie die „ewige Opposition“ der Rock-Subkultur gegenüber der offiziellen Politik betonten. Dabei korrelierte das Antikriegsengagement von Rockmusikern oft zeitlich direkt mit den Kriegsereignissen. Die ersten beiden Kriegsjahre waren vor allem geprägt von Aktivitäten auf jugoslawischem Gebiet, insbesondere 1992, als der Konflikt in Bosnien eskalierte. Seit 1993 dann waren verstärkt Antikriegskampagnen unter Beteiligung von Rockmusikern im Ausland zu beobachten. Diese wiederum standen im Zusammenhang mit dem Handeln der internationalen Gemeinschaft, das schließlich zur Beendigung der Konflikte in Kroatien und Bosnien 1995 beitrug.
Aus dem Kroatischen von Elvira Veselinović.
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Nemanja Stokrp – ist Historiker aus Pula, Kroatien und befasst sich zumeist mit Sozial- und Kulturgeschichte, vor allem mit Popkultur und Rock ’n’ Roll.
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