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Musik als Protest
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Musik spielt seit jeher eine große Rolle, um wichtige politische Ansichten zum Ausdruck zu bringen und Menschen zu mobilisieren.
You say you want a revolution
Well, you know
We all want to change the world
Als John Lennon und Paul McCartney im August 1968 ihren Song »Revolution« veröffentlichten, befand sich die Welt gerade mitten in der globalen Rebellion des 20. Jahrhunderts. In diesem revolutionären Jahr 1968 bebten die Universitäten in Berlin, Paris, Rom, London, Buenos Aires, Mexiko-Stadt, Tokio, Belgrad, Warschau und überall in den USA. Junge Menschen protestierten gegen den Krieg in Vietnam, gegen Autoritäten, gegen die bürgerliche Gesellschaft und ihre Wertesysteme. Deshalb war auch dieser Beatles-Song einer von denen, die gleichzeitig Protest und den Wunsch nach einem anderen, besseren Leben zum Ausdruck brachten.
Die Protestmusik hatte jedoch nicht erst mit der Gegenkulturwelle der 1960er Jahre begonnen, als diese im 20. Jahrhundert ihren Höhepunkt erreichte. Musik hatte seit jeher eine große Rolle gespielt, weil sie wichtige politische Ansichten zum Ausdruck brachte und die Kraft hatte, Menschen zu mobilisieren. Angesichts der vielen sozialen Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten hat es schon immer Menschen gegeben, die Anlass hatten, zu protestieren und Veränderung zu suchen. In vielen Fällen wurde dieser Protest durch Musik ausgedrückt. Bereits 1795 kämpften Bürgerinnen und Bürger für Frauenrechte, indem sie die feministische Protestmelodie »Rights of Woman« sangen, ein Remake des Liedes »God Save the Queen«.
Musik verfügte auch in Kriegen über ein großes Potenzial – nicht nur, um Moral und Patriotismus zu stärken, sondern auch, weil durch sie Antikriegsgefühle ausgedrückt wurden.
Im 19. Jahrhundert tauchten explizite Antikriegslieder auf, etwa die amerikanischen Bürgerkriegslieder »Let Us Have Peace« (1861) oder »A Hymn to Peace« (1863).
Kriege waren jedoch nicht der einzige Anlass zu rebellischer Musik. Unterschiedliche politische und gesellschaftliche Phänomene waren Auslöser für Protestmusik – Revolutionen, die Not der Arbeiter, Wirtschaftskrisen, der Kampf um Bürgerrechte, Rassismus und nicht zuletzt autoritäre oder totalitäre Systeme. Obwohl zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Amerika Songs mit deutlicher Protestnote entstanden, darunter »The Preacher and the Slave« von Joe Hill (1911), die Hymne des Arbeiterkampfes
Seit diesem kraftvollen Protest gegen die Unterwerfung der Afroamerikaner ist die Musik bis auf den heutigen Tag ein wichtiges Instrument im Kampf für die Bürgerrechte der Afroamerikaner geblieben, was Lieder aus verschiedenen Epochen und unterschiedlicher Musikrichtungen belegen, wie z. B. Sam Cookes Song »A Change Gonna Come« (1964), James Browns »Say it Loud – I’m Black and I’m Proud« (1968) oder der kraftvolle und motivierende Song »Fight the Power« (1989) der Gruppe Public Enemy. Die letzten zwei Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts waren vom Aufstieg des Hip-Hop geprägt, der sich unter anderem gegen Polizeigewalt richtet und auf die Armut der afroamerikanischen Community sowie ihre schlechte Stellung in der amerikanischen Gesellschaft hinweist.
Eine der wichtigsten Hymnen des 20. Jahrhunderts war gewiss das Lied »We Shall Overcome«. Obwohl es seine Wurzeln im 19. Jahrhundert hat, taucht es 1945 als Widerstandslied auf, als afroamerikanische Arbeiter in der Fabrik von American Tobacco in Charleston in den Streik treten, um höhere Löhne zu fordern. Sie »säen« seinen Prozess damals sozusagen aus. Es wächst dann heran in den 1950er Jahren, als auch Martin Luther King Jr. es zum ersten Mal hört, und erreicht seinen Höhepunkt in den 1960er Jahren während der Proteste für die Gleichberechtigung der Rassen, als es zu einer Hymne der Bürgerrechtsbewegung wird. Das offizielle Plakat für den Marsch auf Washington im August 1963 trug die Worte »We Shall Overcome«, und es stellte sich heraus, dass es zur Hymne dieser Veranstaltung wurde, aufgeführt von Joan Baez, mit der zusammen es Tausende von Menschen sangen.
Der Krieg in Vietnam löste weltweit Antikriegsproteste aus, und neben den Massen auf den Straßen bestanden sie auch aus Musik. Mit der Verschärfung des Krieges wurde auch die Antikriegsbewegung lauter, und der musikalische Protest gegen den Krieg spiegelte sich in der Gegenkultur wider, in der Hippiebewegung, den Songs von Bob Dylan, dem berühmten Summer of Love in Woodstock. Doch auch schon vor dem Vietnamkrieg hatte es eine Reaktion auf die Krisen des Kalten Krieges gegeben: Bob Dylans Alben »The Freewheelin« (1963) und »The Times They Are A-Changin’« (1964) hatten wichtige Botschaften in Bezug auf die Rechte von Afroamerikanern, auf soziale Ungerechtigkeit, aber auch auf die Angst vor einem möglichen Atomkrieg gesendet.
Die Eskalation des Vietnamkrieges 1968 verschärfte auch die Antikriegsproteste. Höhepunkt war das Woodstock-Festival im Sommer 1969, an dem Jimi Hendrix, Janis Joplin, The Who, Joan Baez, Jefferson Airplane, Joe Cocker und viele andere teilnahmen. Jimi Hendrix’ Darbietung der amerikanischen Hymne »Star Spangled Banner« wurde zu einem ikonischen Moment der 1960er Jahre – ein einzigartiges Statement gegen den Krieg und ein Bild für den Zustand, in dem Amerika sich befand. Auf den Universitätsgeländen gingen die Proteste weiter, und als 1970 vier Studenten der Ken State University in Ohio, die friedlich gegen den Krieg demonstrierten, von Angehörigen der Nationalgarde getötet wurden, reagierte Neil Young mit dem Lied »Ohio«, das von Crosby, Stills, Nash & Young aufgeführt wurde.
Die Jahrzehnte nach den protestreichen 1960ern hatten eigene musikalische Antworten auf soziale Ungerechtigkeiten. Ende der 1970er Jahre begann durch den Punk eine neue Rebellion. Der Song »God Save the Queen« der britischen Sex Pistols war eine sarkastische Antwort auf den Zustand der britischen Gesellschaft, und unaufhaltsam begann der Punk sich über den gesamten Planeten auszubreiten.
Das Ende des Kalten Krieges spiegelte sich ebenfalls in der Musik. Der berühmte Scorpions-Song »Wind of Change«, mit dem Text
I follow the Moskva down to Gorky Park
Listening to the wind of change
An August summer night, soldiers passing by
Listening to the wind of change
veröffentlicht im Januar 1991, war inspiriert von ihrem Auftritt beim Moscow Music Peace Festival im August 1989 und deutete den Fall der Berliner Mauer und das Ende des Kommunismus an.
Now listen to my heart
It says Ukraine
Waiting for the wind to change.
In Bezug auf Russland gab es schon vor dem Angriffskrieg gegen die Ukraine viele Gründe für Proteste gegen das autoritäre System. Die größte Resonanz erhielt die feministische Punkrock-Gruppe Pussy Riot, die 2011 von mutigen jungen Frauen in Moskau gegründet worden war – als Antwort auf die Ankündigung Wladimir Putins, zum dritten Mal für das Präsidentenamt Russlands zu kandidieren. Seitdem kämpfen sie bis heute gegen Putins autoritäres System, für Meinungsfreiheit und für feministische und LGBT-Rechte. Ganz zu Beginn ihrer Karriere, am 21. Februar 2012, sangen sie vor der Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau den Punkrock-Song »Mother of God, Chase Putin Away«, in dem sie das Verhältnis von Patriarch Kyrill und Präsident Putin sowie die frauenfeindliche und Anti-LGBT-Rhetorik der russisch-orthodoxen Kirche kritisieren. Aufgrund dieses Protests wurden Marija Aljochina, Nadeschda Tolokonnikowa und Jekaterina Samuzewitsch festgenommen und verurteilt.
Mehr als ein Jahr nach Kriegsbeginn in der Ukraine ist kein Ende dieses Konflikts in Sicht. Neben allen seinen Schrecken ist die Welt mit Wellen von Populismus, Fremdenfeindlichkeit, unzähligen sozialen Ungerechtigkeiten, der Wirtschaftskrise und dem Klimawandel konfrontiert, und die Coronapandemie ist keineswegs vorbei. Vielleicht ist es der Moment, um sich an die Worte von Elie Wiesel aus der Friedensnobelpreis-Rede 1986 zu erinnern: »There may be times when we are powerless to prevent injustice, but there must never be a time when we fail to protest.«
Protestlieder:
- Externer Link: „Strange Fruit“, Billie Holliday, 1939
- Externer Link: „All You Fascists Bound to Loose“, Woody Guthrie, ca. 1944
- Externer Link: „This Land is Your Land“, Woody Guthrie, ca. 1944
- Externer Link: „We Shall Overcome“, Pete Seeger, 1963
- Externer Link: „A Change is Gonna Come“, Sam Cooke, 1964
- Externer Link: „The Times They Are A-Changin'“, Bob Dylan, 1964
- Externer Link: „Respect“, Aretha Franklin, 1967
- Externer Link: „Say it Loud – I'm Black and I'm Proud“, James Brown, 1968
- Externer Link: „Revolution“, The Beatles, 1968
- Externer Link: „Give Peace A Chance“, 1969
- Externer Link: „The Star Spangled Banner“, Jimi Hendrix, 1969
- Externer Link: „Ohio“, Crosby, Stills, Nash & Young, 1970
- Externer Link: „Get Up, Stand Up“, Bob Marley (1973)
- Externer Link: „God Save the Queen“, Sex Pistols, 1977
- Externer Link: „Sunday Bloody Sunday“, U2, 1983
- Externer Link: „Born in the U.S.A.“, Bruce Springsteen, 1984
- Externer Link: „Fight the Power“, Public Enemy, 1989
- Externer Link: „Winds of Change“, Scorpions, 1991
- Externer Link: „Killing in the Name of“, Rage Against the Machine, 1992
- Externer Link: „Мама, несмотри телевизор (Mama, Don’t Watch TV)“, Pussy Riot, 2022
Weitere Inhalte
Prof. Dr. Radina Vučetić ist Professorin der Allgemeinen Modernen Geschichte und Leiterin des Zentrums für Amerikastudien im Fachbereich Geschichte der Philosophischen Fakultät der Universität Belgrad.
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