Studierende der Theaterwissenschaft der Universität Leipzig und Schauspielstudierende aus Olsztyn erkundeten in zwei Workshops gemeinsam mit einer Historikerin die jüdische Geschichte ihrer Städte im NS-Regime sowie die Erinnerungskultur. Anschließend entwickelten sie mit einem jeweiligen Regieteam jeweils eine Szenische Präsentation. Auf diese Weise entstanden zwei unterschiedliche, aber beide Male gemeinsam erarbeitete Inszenierungen: eine in Olsztyn über die Verfolgung der Juden in Allenstein und die Erinnerungskultur Olsztyns als Ergebnis des gemeinsamen Workshops in Olsztyn und eine zweite in Leipzig über die Verfolgung der jüdischen Menschen und die Erinnerungskultur in Leipzig als Ergebnis des gemeinsamen Leipziger Workshops.
Das Projekt verknüpfte exemplarisch Geschichte, Erinnerung und Gegenwart. Geschichte verband sich hier mit Fragen nach der Erinnerung, mit gegenwärtigem jüdischem Leben und mit Haltungen der Teilnehmenden selbst. Das Theater als Medium ermöglichte die Aneignung von Geschichte. Die Besonderheit des Projekts lag somit in der Zusammenschau von historischer Erkundung und Theaterarbeit. Dementsprechend arbeiteten Historiker und Theatermachende darin zusammen. Inhaltlich lag der Schwerpunkt auf den 1930er Jahren bis zum Beginn der Deportationen. Dies wird bereits an dem markanten Foto auf dem Projektplakat sichtbar. Es zeigt eine Gruppe jüdischer Jungen in Leipzig 1935, die für ein Stadtfest verkleidet waren. Damit thematisiert es die Spannung zwischen Ausgrenzung und gleichzeitigen Bemühungen der Verfolgten, dennoch ihren Alltag zu leben. Die präsentierten Quellentexte zeigten die zunehmende Verschärfung der Verfolgungsmaßnahmen. Sie thematisierten z. B. die schrittweise Ausgrenzung der jüdischen Bürger aus dem öffentlichen Raum sowie die Beschneidung des privaten Lebensraums durch den Umzug in „Judenhäuser“ als offene Ghettoisierung. Verlautbarungen der Täterseite – der Gestapo, städtischer Vertreter, der Presse sowie einzelner Bürger – zeigten die Radikalisierung der Verfolgerakteure und der Bevölkerung.
"Geschichte aufführen" 2
"Geschichte aufführen" 2
Die Ansiedlung des Projekts in Geschichte und Gegenwart bedeutete zweierlei: Erstens war die Erinnerungskultur in den beiden Städten ein wichtiges Thema und damit auch die Erinnerung in den beiden Ländern Deutschland und Polen. Gerade anhand der Fragen, wie diese Geschichte auf die Bühne gebracht werden kann, ohne in Betroffenheitsmuster zu verfallen oder allseits bekannte Bilder zu wiederholen, ließen sich Unterschiede in den Erinnerungslandschaften der beiden Länder produktiv diskutieren. Zweitens bedeutete die Verknüpfung mit der Gegenwart, den Mitwirkenden auf der Bühne eine eigene Stimme zu geben. Ihre Antworten auf die Fragen danach, welches Verhältnis sie als dritte Generation zu dieser für sie so weit zurückliegenden Geschichte haben, waren integraler Bestandteil der Leipziger Aufführung. Dafür hatten alle TeilnehmerInnen einen Fragebogen ausgefüllt und sich zu ihrem Lebensgefühl in Olsztyn und Leipzig / Polen und Deutschland, zu ihrer Kenntnis von jüdischer Geschichte und jüdischem Leben in ihrer Stadt / ihrem Land sowie zu ihrer Wahrnehmung der Holocaust-Erinnerungskultur geäußert. Ihre schriftlichen Stellungnahmen flossen als gleichberechtigte Texte in die Leipziger Aufführung ein.
Ansprechpartner/-innen: Prof. Dr. Günther Heeg, Kornelia Kurowska