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Wirtschaftliche Ausgrenzung vor Ort verstehen | Volksgemeinschaft - Ausgrenzungsgemeinschaft | bpb.de

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Wirtschaftliche Ausgrenzung vor Ort verstehen

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Im Workshop zur "Gleichschaltung der Wirtschaft" geht es darum, wie die jüdische Bevölkerung Deutschlands seit 1933 aus dem Wirtschaftsleben verdrängt wurde. Beispiele aus der Praxis politischer Bildung zeigen, wie die Ausgrenzungsprozesse auch heute noch an den Original-Orten nachvollzogen werden können.

Workshop 3: "Wirtschaftliche Ausgrenzung vor Ort verstehen" (© Mirko Tzotschew / Kooperative Berlin)

Als "langanhaltendes Thema" bezeichnet der Moderator Ulrich Baumann, Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, die Arisierung der Wirtschaft im Dritten Reich. Noch heute gebe es zahlreiche ungeklärte Vermögensfragen, Entschädigungsansprüche und laufende Gerichtsverfahren, welche aus dieser Zeit resultieren.

Dr. Benno Nietzel von der Ruhr-Universität Bochum gibt aus historischer Perspektive einen Überblick über den Wissensstand zum Thema. Er spricht allgemein über die "Verdrängung der Juden aus der deutschen Wirtschaft". Die Arisierung – also der Verkauf jüdischer Unternehmen – sei dabei nur eine Maßnahme von vielen gewesen. Weitere waren die organisatorische Umgestaltung der Wirtschaft, die Verdrängung aus bestimmten Berufen, fiskalische Ausplünderung und die Liquidierung von Unternehmen.

Informelle Verdrängung auf lokaler Ebene

Nietzel zeichnet chronologisch die Phasen der nationalsozialistischen Verdrängungspolitik nach. Auffällig sei, dass zwischen den ersten staatlichen Maßnahmen und Verordnungen von 1933 (Boykott jüdischer Geschäfte, Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums) bis 1938 keine weiteren Gesetze erlassen wurden. In dieser Zeit sei die wirtschaftliche Ausgrenzung von Juden größtenteils informell und auf regionaler bzw. lokaler Ebene abgelaufen. Für Nietzel bedeutet die Verdrängung der Juden aus dem Wirtschaftsleben die entscheidende Phase im Prozess der Judenverfolgung, da die gesellschaftliche Separierung hier öffentlich in Szene gesetzt wurde.

Dr. Christoph Kreutzmüller, Humboldt-Universität zu Berlin, stellt im Anschluss einige Überlegungen dazu an, inwieweit heute das Thema "wirtschaftliche Ausgrenzung" nutzbringend in die politische Bildung eingebracht werden kann. Es eigne sich deshalb besonders, weil die Quellenlage durch die bürokratisch verfasste Ausplünderung gut sei. Ebenso ließe sich beispielsweise die Arisierung eines jüdischen Geschäftes vor Ort nachvollziehen.

Selbstbehauptung jüdischer Unternehmen

Als Praxisbeispiele stellt Kreuzmüller Projekte des Hauses der Wannsee-Konferenz vor. Von der Gedenk- und Bildungsstätte des Hauses werden u. a. Seminare über die Reichsfinanzverwaltung angeboten. Zudem gibt es Studientage, bei denen mit Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe II und Erwachsenen die wirtschaftliche Verdrängung der Juden am Beispiel Berliner Unternehmen nachgezeichnet wird.

In der Diskussion geht es u.a. um die Frage nach der Selbstbehauptung jüdischer Unternehmer. Nietzel weist darauf hin, dass die vom Boykott Betroffenen trotz asymmetrischer Machtverhältnisse auch als handelnde Akteure begriffen werden müssten. Selbstbehauptungsstrategien seien etwa der Rückzug aus der Öffentlichkeit, der Umbau von Unternehmen und die Kooperation mit Nicht-Juden gewesen. Darüber hinaus gibt es aus dem Publikum zahlreiche ergänzende Beispiele aus verschiedenen Städten Deutschlands (u. a. Eisleben, Gießen, Berlin), anhand derer sich die wirtschaftliche Ausgrenzung der jüdischen Bevölkerung im Dritten Reich studieren lässt.

Ein Videointerview mit den beiden Referenten Benno Nietzel und Christoph Kreutzmüller finden Sie Interner Link: hier.

Fussnoten