Mark Zaurov, Forscher über jüdische Gehörlose und Dozent an der Universität Hamburg, beleuchtet in seinem Vortrag die Ausgrenzung jüdischer Gehörloser aus dem 1927 gegründeten Reichsverband der Gehörlosen Deutschlands(ReGeDe). Ursprünglich habe sich der Verband gegen die schon vor der Zeit des Nationalsozialismus anvisierte Zwangssterilisierung Gehörloser gewendet. Doch im Nationalsozialismus habe der ReGeDe die jüdischen Mitglieder ausgeschlossen und der Zwangssterilisation von Menschen mit genetisch bedingter Gehörlosigkeit zugestimmt.
Das Thema "Behinderung und Euthanasieverbrechen" betrachtet Zaurov unter der Fragestellung, warum jüdische Gehörlose in der Erinnerungskultur keinesfalls unter den Opfern des Euthanasie-Programms "T4" (das Programm zur Ermordung von Menschen mit Behinderungen) subsumiert werden dürften, wie es fälschlicherweise immer wieder geschehe. Gehörlose Juden seien nur bei mehrfacher Behinderung in geschlossene Anstalten verbracht und im T4-Programm ermordet worden. Zudem wies Zaurov darauf hin, dass nichtjüdische Gehörlose nicht nur Opfer gewesen seien, sondern auch Mitläufer und Täter. Sie organisierten sich zum Beispiel innerhalb der Hitlerjugend, der NSDAP, in Sportverbänden und sogar innerhalb der SA. Gehörlosigkeit und Behinderung dürften keinesfalls in einen Topf geworfen werden, so Zaurov.
Euthanasieverbrechen als Teil der eigenen Geschichte
Die Soziologin und Gedenkstättenpädagogin Uta George legt dar, was das Konzept der Inklusion insbesondere in der politischen Bildungsarbeit in Gedenkstätten an die Opfer der Euthanasieverbrechen bedeutet. In Zusammenarbeit mit einem Selbstvertretungsverein von Menschen mit Behinderung hat George in der Gedenkstätte Hadamar ein Besuchsangebot in Leichter Sprache (einfache Sprache; d.R.) entwickelt. Menschen mit Lernschwierigkeiten – so die Eigenbezeichnung von Menschen mit geistiger Behinderung – nähmen die Euthanasieverbrechen als Teil der eigenen Geschichte wahr, betont George. Die Auseinandersetzung mit dem Thema sei zumutbar, so George, sie könnten durchaus selbst einschätzen, wie stark sie sich auf die Thematik einlassen möchten. Kritisch betrachtet George, dass die Erinnerungskultur an die Euthanasieverbrechen bis heute von Menschen ohne Behinderung geprägt werde. "Das kulturelle Gedächtnis muss wirklich ergänzt werden".
George weist darauf hin, dass auch nach der NS-Zeit bis heute Menschen mit Behinderung ausgegrenzt wurden, sie spricht von einer besonderen "Kontinuität der Exklusion". Vieles, was im Rahmen der Euthanasieverbrechen passierte, sei nach 1945 keinesfalls als Unrecht erklärt worden. So wurde das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses erst 2007 außer Kraft gesetzt. Zudem würden bioethische Fragen nach ihrer Sterilisation auch heute noch an Menschen mit Lernschwierigkeiten herangetragen. Auch Christiane Bischatka, die praktische Erfahrungen aus Sommerlagern mit inklusiven Gruppen (Menschen mit und ohne Behinderung) beiträgt, schildert die massiven Diskriminierungserfahrungen der Teilnehmenden mit Behinderung.
Inklusion und Exklusion als Themen politisch-historischer Bildungsarbeit
Der Frage, wie Inklusion und Exklusion in der politisch-historischen Bildung thematisiert werden können, widmet sich Judith Feige, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Institut für Menschenrechte, die dort das Online-Handbuch "Inklusion und Menschenrechte" herausgibt. Das umfangreiche Internetangebot wird in Hinblick auf Didaktik und Barrierefreiheit von den Teilnehmenden kritisch diskutiert. Am Ende des Workshops besteht Einigkeit darüber, dass historisch-politische Bildungsangebote zum Thema Inklusion in Hinblick auf Barrierefreiheit und Diversity noch verbesserungswürdig sind.
Interner Link: Vortrag von Zaurov auf der Holocaustkonferenz