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Zur Bedeutung politischer Bildung an beruflichen Schulen angesichts antidemokratischer Tendenzen und politischer Polarisierung

Prof. Dr. Rico Behrens

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Berufliche Schulen sind innerhalb des schulischen Bildungssystems die Institutionen mit den spätesten (und letzten) Bezugspunkten zum Bildungs- und Erziehungsauftrag. Dabei stellt die Heterogenität der Schülerschaft an berufsbildenden Schulen Lehrerinnen und Lehrer vor große Herausforderungen (Besand 2014). Die Schüler*innengruppen variieren bezüglich ihres Bildungshintergrunds, ihrer Interessen und angestrebten beruflichen Abschlussqualifikation so stark wie in keiner anderen Schulform. Dies bedeutet, dass Lehrer*innen innerhalb eines Schultages grundverschiedenen Lerngruppen gegenüberstehen, die in sehr unterschiedlichem Maße auch Affinitäten zu gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit aufweisen. Es liegen in der Zwischenzeit eine ganze Reihe von Studien vor (vgl. Oesterreich 1993, Schröder 2004 oder Nattke 2009), auf deren Grundlage sich zumindest begründet vermuten lässt, dass ein nicht unerheblicher Teil von Berufsschülerinnen und -schülern mit rechtsextremem Gedankengut sympathisiert. So kommt Schröder in seiner Untersuchung aus dem Jahr 2004 beispielsweise zu dem Ergebnis, dass Haupt- und Berufsschülerinnen und -schüler die stärksten Affinitäten zu rechtsextremen Positionen zeigen, und Nattke zeigt 2009 in einer repräsentativen Studie, dass fast 20% der befragten Berufsschülerinnen und -schüler im Bundesland Sachsen eine starke Affinität zu rechtsextremem Gedankengut hegen.

Unser aktuelles Modelprojekt "Starke Lehrer – Starke Schüler" arbeitete drei Jahre lang mit Lehrer*innen aus Berufsschulen zum Phänomen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und rechtsextremen Einstellungen zusammen. Hierbei waren nicht nur Herausforderungen seitens der Schülerschaft zu bearbeiten. Im Laufe des Projektes wurden in nicht unerheblichem Maße auch Ressentiments gegenüber Politischer Bildung und antirassistischer Bildungsarbeit in den Kollegien deutlich. Diese reichten von Desinteresse bis hin zu offener Ablehnung oder gar aggressiv-rechtspopulistischen Verhaltens seitens einzelner Lehrer*innen gegenüber ihren Kolleg*innen.

Aber auch jenseits dieser Beobachtungen lassen sich für die pädagogische Auseinandersetzung mit dem Thema antidemokratischer Tendenzen innerhalb des pädagogischen Bereichs Professionalisierungsdefizite ausmachen (Behrens 2014).

Lehrerinnen und Lehrer:

  • verfügen nicht über ausreichendes Hintergrundwissen für eine Bearbeitung der Phänomene rechtsextremer Jugendkultur und Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit.

  • erlangen in singulären Fortbildungen keine Handlungssicherheit in der pädagogischen Praxis.

  • finden gerade für den Bereich der berufsbildenden Bildung wenig passgenaue Fortbildungsangebote, die auf die Schulform fokussiert werden.

  • erleben sich häufig als "Einzelkämpfer*innen" und scheuen den kollegialen Austausch zu Herausforderungen in ihren Klassen.

  • fühlen sich in ihrem Handeln durch Kolleg*innen und Schulleitung nicht immer ausreichend unterstützt oder ernstgenommen.

  • sind nicht in der Lage, problematische Strategien des Umgangs (z.B. ignorierende oder Burgfriedenstrategien) ausreichend zu reflektieren.

  • empfinden die Einbindung von außerschulischen Initiativen und Vereinen der politischen Bildungsarbeit mitunter als zusätzliche Belastung, nicht als Unterstützung.

Der Impuls im Rahmen der Tagung bietet über Fall-Illustrationen eine Systematisierung der Herausforderungen, die durch politische Polarisierung und Ungleichwertigkeitsvorstellungen entstehen. Er vermittelt einen Eindruck der Ergebnisse des Modellprojektes "Starke Lehrer – Starke Schüler" sowie die resultierenden Konsequenzen und Perspektiven für die Stärkung von Schulentwicklungsprozessen im Bereich beruflicher Politischer Bildung.

Im Anschluss haben die Teilnehmenden die Möglichkeit, eigene Perspektiven zu beschreiben. Gemeinsam wollen wir darüber hinaus an der Frage arbeiten, welche konkreten Lösungsmöglichkeiten es geben könnte und wie diese zu verfolgen wären.

Literatur:

Behrens, R.: Solange die sich im Klassenzimmer anständig benehmen. Politiklehrer/innen und ihr Umgang mit rechtsextremer Jugendkultur in der Schule. Schwalbach/Ts. 2014.

Besand, A.: Monitor politische Bildung an beruflichen Schulen. Schwalbach/Ts. 2014.

Nattke, M.: Rechtextreme Einstellungen von BerufschülerInnen – eine empirische Untersuchung. 2009. Online zugänglich über: http://www.weiterdenken.de/downloads/Studie_Rechtsextremismus_Berufsschule_wd_v2.pdf

Oesterreich, D.: Autoritäre Persönlichkeit und Gesellschaftsordnung. Der Stellenwert psychischer Faktoren für politische Einstellungen – eine empirische Untersuchung von Jugendlichen in Ost und West. Weinheim/München. 1993.

Schroeder, K.: Rechtsextremismus und Jugendgewalt in Deutschland: Ein Ost-West-Vergleich. Paderborn. 2004.

Fussnoten

Prof. Dr. Rico Behrens ist Inhaber der Professur für Politische Bildung der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Er forscht und arbeitet zu den Themen Rechtsextremismus und Rechtspopulismus als Herausforderung für die politische Bildung sowie zum Demokratielernen. Von 2015-2018 leitete er an der Technischen Universität Dresden das Modellprojekt Starke Lehrer – Starke Schüler, das sich mit antidemokratischen Herausforderungen in berufsbildenden Schulen beschäftigte.