Bildung für die Demokratie braucht zweifelsohne Unterricht in Politik, sozialwissenschaftlichen Fächern und ein solides Wissen über das Wesen, das Werden und die institutionellen Voraussetzungen und Praxen demokratischer Gesellschaften sowie der ihnen zugehörigen Politik. Ebenso sicher ist aber auch, dass all dies nicht zureichend ist für eine wirksame "Bildung für die Demokratie". Fachgebundenes, statisches Wissen alleine führt nicht zwangsläufig schon zur demokratischen Handlungskompetenz. Überdies wissen viele demokratieskeptische Bürgerinnen und Bürger sehr wohl, was eine Wahl ist, weshalb wir Parteien zur politischen Willensbildung benötigen und dass die Gewaltenteilung Regierung, Rechtsprechung und Gesetzgebung voneinander trennt – und sind dennoch keine überzeugten Demokratinnen und Demokraten. Demokratie ist also mehr als ihre Institutionen und ein darin zentriertes Wissen. Demokratische Bildung wiederum ist das Ergebnis des Zusammenspiels von Wissen, belastbaren prodemokratischen Werthaltung und der Bereitschaft zum Engagement in der Demokratie.
Die Schulforschung weiß, dass man vieles in der Schule lernen und erfahren kann, was zur demokratischen Bildung beiträgt. Sie zeigt aber auch, dass man gerade in der Schule auch vieles erfahren und lernen kann, was zur demokratischen Bildung sich geradezu kontraproduktiv verhält: Repression, Ausgrenzung, Intransparenz, unkontrollierte und asymmetrische Macht, Mobbing, Gewalt und soziale Vereinsamung – um nur ein paar Beispiele zu nennen. Überdies ist die Schule in Deutschland kein auf Entschluss der Lernenden basierender Wahlakt, sondern eine gesetzliche Pflicht, die tief und zeitumfangreich in das Leben von Kindern, Jugendlichen und letztlich auch Eltern eingreift. Schule ist zudem ein rationaler Ort organisierten Lernens, effizient und für die gesellschaftliche Reproduktion unumgänglich. Sie beeinflusst erheblich die Verteilung gesellschaftlichen Wohlstands und reguliert Lebenschancen, idealiter unter dem Aspekt von Angemessenheit und Gerechtigkeit – und in Widerspruch zu dieser Ideal-Funktion für die moderne Gesellschaft ist sie bekanntermaßen zugleich bis heute sozial in hohem Maße ungerecht. Die Schule ist als also in der Summe als Ort demokratischer Bildung ein sehr ambivalentes Konstrukt. Um in ihr Demokratie lernen und erfahren zu können, muss sie deshalb demokratisch zivilisiert, durch demokratiepädagogische Aufklärung und entsprechende pädagogische Erweiterung demokratisch kultiviert werden – sie braucht "demokratische Schulkultur".
Der Workshop will dieser spannungsreichen Grundkonstitution von Schule nachgehen. Er will die Grundspannung der Schule in der Demokratie nachzeichnen, und mit Hilfe von zwei erweiternden Perspektiven – einer praktischen Darstellung demokratischer Schulentwicklung am Beispiel des Gymnasiums in Übach-Palenberg (Christoph Schlagenhof) und einer Rekonstruktion von politikwissenschaftlichen Kategorien zur Beschreibung demokratischer Schulkultur (Astrid Hoffmann)– Antwortperspektiven auf die anhaltende Ambivalenz der modernen Schule in der Demokratie als "demokratischer Schulkultur" geben. Darüber hinaus werden aktuelle Literatur und schulexterne Initiativen und Programme zur Förderung demokratischer Schulentwicklung vorgestellt.
Weiterführende Materialien
Christoph Schlagenhof: Demokratie im Blick, Demokratiepädagogisches Schulprofil am Carolus-Magnus-Gymnasium: Interner Link: PDF zum Download
Astrid Hoffmann: Kriterien für demokratische Schulen - Eine politikwissenschaftliche Perspektive: Interner Link: PDF zum Download