Interner Link: Vortrag Markus Bickel
Ägypten: "Putsch" oder "Revolution"?
Jeder gewählte Begriff färbe die Berichterstattung. Gerade in polarisierten Verhältnissen, sei jede Begriffswahl heikel. War die Mursi-Regierung nun die erste zivile Regierung Ägyptens oder ist Mursi ein islamistischer Autokrat? War der Sturz Mursis durch das ägyptische Militär unter Führung des Militärratschefs Sisi nun ein Putsch, eine Revolution, ein Volksaufstand?
Eingeschränkte Pressefreiheit
Nach der Machtübernahme des Militärs sei die Pressefreiheit in Ägypten erheblich eingeschränkt worden. Verbote von Zeitungen, Radio- und Fernsehsendern, sowie die Verfolgung ägyptischer Journalisten behinderten die journalistische Arbeit enorm. Interviews mit Oppositionellen wären immer schwieriger geworden, da diese Verhaftung und Folter zu befürchten hatten. Als Printjournalist sei die Arbeit einfacher, berichtete Bickel. Er sei ohne auffällige Kamera oder Mikro unterwegs gewesen und im Gegensatz zu TV-Journalisten immer alleine. Viele Bildjournalisten wären auf Demonstrationen Opfer von Gewalt geworden. Sie standen schnell in Generalverdacht, feindlich über das neue Regime berichten zu wollen. Kritische Journalisten mit doppelter Staatsangehörigkeit liefen Gefahr als Landesverräter gebrandmarkt zu werden. Journalistische Arbeit werde in Ägypten zunehmend schwierig, viele Auslandskorrespondenten und Stiftungen arbeiteten deshalb inzwischen vom Libanon aus.
Homogenisierte Informationslage
Am Beispiel seiner Arbeit im Nahen Osten erläuterte Bickel weitere Problemfelder journalistischer Berichterstattung. Bickel hat 14 Länder im Nahen Osten zu betreuen. Dabei seien nicht alle in gleicher Gründlichkeit zu beobachten. Die Konzentration liege dann schnell auf den "wichtigsten" Ländern. Die Zeit für Hintergrundrecherchen sei knapp.
Immer weniger deutsche Medien seien bereit, sich fest angestellte Auslandskorrespondenten zu leisten, sodass die Macht der Nachrichtenagenturen wachse und dies eine Art Monopolisierung schaffe, die ein homogeneres Bild erzeuge. Gerade in komplexen Krisenregionen sei dies ein Problem. Diese Homogenisierung der Informationen und Informationsquellen lasse bestimmte Konflikte in der Wahrnehmung wichtiger erscheinen, als andere über die nicht oder kaum berichtet worden sei. Der Effekt der gesteigerten Wahrnehmung auf der einen Seite, bedeute häufig eine Verdrängung anderer ebenso katastrophaler Entwicklungen auf der anderen Seite. Als Beispiel führte Bickel die Entwicklungen im Jemen an.
Heterogenität der Stimmen gewährleisten
Als wichtiges Element seriöser Berichterstattung nannte Bickel vor allem die Diversifizierung der Gesprächspartner. Nicht nur politische Eliten sollten befragt werden, sondern auch Vertreter der Zivilgesellschaft, etwa Künstler oder Musiker. "Nur so lassen sich Aspekte vermitteln, die in eindimensionaler Politikanalyse untergehen", so Bickel in seinem Vortrag. Milizenführern oder Parteichefs ginge es um Deutungshoheit und nicht um die Nuancen, die eine Gesellschaft eigentlich bestimmten. Auch den Opfern eine Stimme zu geben, sei Aufgabe der Journalisten vor Ort.
Eurozentrische Position reflektieren
Sind westliche Deutungsmuster hinsichtlich der kulturellen und ideologischen Realität vor Ort angemessen? Sind besondere Begriffe ("Demokratiebewegung", "Islamisten" etc.) auch in anderen kulturellen Kontexten treffend? Kulturelle Unterschiede müssten bei der Arbeit immer reflektiert werden, betonte Bickel. Journalisten müssten sich und ihre möglicherweise eigene eurozentrische Positionen immer wieder selbst hinterfragen.