Für die schulische und außerschulische Bildungsarbeit ist die Auseinandersetzung mit Ursachen und Folgen von immer komplexer werdenden Konflikten eine Herausforderung. Gerade weil die Welt heute so stark wie noch nie vernetzt ist und Informationen jederzeit und überall innerhalb von Sekunden abrufbar sind, erhält der Politikunterricht als staatlich beaufsichtigter Lernraum die Aufgabe, junge Menschen bei der Analyse von Konflikten und politischen Prozessen zu unterstützen.
Politische Bildung ist nicht quantitativ messbar
Sowohl Thomas Krüger als auch Ulrich Commerçon kritisierten einleitend, dass die politische Bildung in vielen Schulen nach einem regelrechten ‚Pisa-Schock‘ lange Zeit zu Gunsten einer Fokussierung auf naturwissenschaftliche Schulfächer in den Hintergrund gerückt worden sei. Die Priorisierung der sogenannten MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) und die damit einhergehende Entwicklung, dass das Schulfach Politik häufig fachfremd unterrichtet würde, hätten dazu geführt, dass politische Bildung lange Zeit keine Konjunktur gehabt habe. Den Grund dafür sahen beide vor allem darin, dass die Ergebnisse eines erfolgreichen Politikunterrichts nicht quantitativ messbar seien. Im Unterschied zum Mathematikunterricht, bei dem zu einer spezifischen Problemstellung eine einzige korrekte Lösung gehöre und sich das Leistungsniveau von Schülerinnen und Schülern über Tests abfragen ließe, lebe der Politikunterricht davon, Multiperspektivität und Raum für Pluralität zu schaffen, ohne „richtige“ Antworten auf politische Herausforderungen anzubieten. Im Politikunterricht könne eben keine absolute Wahrheit angeboten werden.
Widersprüche aushalten
Auch Markus Gloe schloss sich dieser Einschätzung an, indem er erklärte, dass sich gute politische Bildungsarbeit an Schulen vor allem dadurch auszeichne, den Disput im Klassenraum zu führen, ihn auszuhalten und dabei die politische Debatte selbst zum Ziel des Unterrichts zu machen. Nicht die Beantwortung aller Fragen müsse ins Zentrum der politischen Bildung rücken, sondern zukünftig die Entwicklung von kritischen Fragen zu unterschiedlichsten gesellschaftspolitischen Themen eine stärkere Wertschätzung im Lernalltag erfahren. Nach Gloe müssten sich die Lehrkräfte darauf einlassen, die Schülerinnen und Schüler nach einer Politikstunde mit mehr Fragezeichen aus dem Lernraum zu entlassen als sie zu Beginn einer jeweiligen Unterrichtsstunde mitgebracht hätten. Denn gerade weil sie dadurch angeregt würden, eigenständig weiter über politische Themen nachzudenken und sich untereinander auszutauschen. Da, wo Politik wieder stärker zum Diskussionsgegenstand von Bildungsarbeit gemacht würde, bestehe die Chance, junge Menschen in der Entwicklung ihrer eigenen Urteilskraft und Meinungsfähigkeit und folglich in ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu unterstützen.
Tilo Wedemeyer wies aus Sicht der pädagogischen Praxis an Schulen allerdings darauf hin, dass Rahmenlehrpläne die Freiheit des Politikunterrichts soweit einschränken würden, dass der tatsächliche Raum für politische Debatten anlässlich aktueller Konfliktherde faktisch noch sehr begrenzt sei und von den Lehrkräften meist immer noch klassische Leistungsüberprüfungen verlangt würden. Für Tilo Wedemeyer war es wichtig, dass vor allem die Möglichkeit zur Perspektivenübernahme unterschiedlicher Konfliktparteien im Rahmen von Planspielen und Konfliktsimulationen im Lernverband geboten werde. Dies führe zu einer Sensibilisierung für die Komplexität unterschiedlicher Konfliktherde und habe sich als didaktische Methode in der pädagogischen Praxis bewährt.
Thomas Krüger erklärte, dass die politische Bildungsarbeit in Zukunft weiterer Innovation bedürfe, um Jugendliche in ihren Lebenswelten zu erreichen und eine rein textbasierte Auseinandersetzung mit politischen Themen nicht länger zeitgemäß sei. So wies er exemplarisch auf die bpb-Projekte mit bekannten YouTube-Stars hin, die in Kooperation mit der bpb Erklärvideos unter dem Titel "Begriffswelten Islam" produziert hätten.
Markus Gloe und Tilo Wedemeyer lobten zwar ebenfalls die Möglichkeiten des Einsatzes neuer Medien für den Politikunterricht, betonten aber auch, dass politische Bildung auch in Zukunft nicht ohne die Lektüre von Fachliteratur möglich sei, wolle man Themen tiefgründig behandeln. Insgesamt prognostizierten die Diskutanten eine in der Zukunft optimistische Entwicklung der Bildungslandschaft in Deutschland, wenn der derzeitig vorsichtig erkennbare Trend eines Bedeutungszuwachses des Politikunterrichts an Schulen weiter verfolgt würde. Auch müssen weiterhin Investitionen in die außenschulische Bildung von Seiten der Politik erfolgen.