Zunächst beschäftigt sich Meseth mit der Rezeption der Formel "Erziehung nach Auschwitz", die im Laufe der vergangenen Jahrzehnte immer mehr zur unhinterfragten Legitimation für politische Interventionen und pädagogische Forderungen wurde. Folge dieser Instrumentalisierung sei auch eine Vereindeutigung der Erinnerung. Die Pädagogisierung und Moralisierung der NS-Geschichte resultiere zudem in einem Spannungsfeld zwischen moralischem und historischem Lernen. Warum diese Doppelbestimmung problematisch sein kann, veranschaulicht Meseth auf Nachfrage anhand eines Beispiels: Ein Schüler, der im Matheunterricht die binomischen Formeln nicht beherrsche, sei eben ein schlechter Mathematiker. Teile ein Schüler im Geschichtsunterricht allerdings nicht bestimmte ethisch-moralische Bewertungen der NS-Verbrechen, laufe er Gefahr als schlechter Mensch wahrgenommen zu werden.
Vor diesem Hintergrund identifiziert Meseth zwei gegenwärtige Herausforderungen der historisch-politischen Bildung: die Frage der Reflexivität des Wissens und die Frage der bildungstheoretischen Implikationen. Meseth versteht Jugendliche als reflexive Mitspieler in der Erinnerungskultur, denn sie sind bezüglich des Themas Nationalsozialismus keine unbeschriebenen Blätter. Vermittelt über Medien, Familie und Peers verfügen die Schülerinnen und Schüler laut Meseth über Vorwissen, das implizite Kenntnisse über die öffentlich anerkannte ethisch-moralische Bewertung der NS-Verbrechen und sozial-erwünschte Sprachregelungen und erwartete Haltung beinhaltet. Dieses Wissen bringen sie auch reflexiv in den Unterricht mit ein, was einerseits vielseitige Lernmöglichkeiten bietet, aber andererseits eine didaktische Herausforderung darstellt. Es bedürfe seitens der Lehrkräfte daher einer angemessenen situativen Falleinschätzung basierend nicht nur auf guten pädagogischen und fachlichen Fähigkeiten, sondern auch auf fundiertem Wissen über die Wirkungsgeschichte des moralisch aufgeladenen Themas. Denn es seien diese Kompetenzen, die es ermöglichen, zum Beispiel eine Provokation nicht nur als Störung wahrzunehmen, sondern konstruktiv für den Lernprozess zu nutzen.
Welche Schlussfolgerungen sollten vor diesem Hintergrund für den Umgang mit der NS-Geschichte im Unterricht gezogen werden? Meseth identifiziert eine kognitiv-historische, eine ethisch-moralische und eine affektiv-erinnerungsbezogene Thematisierungsform. Während es Sinn mache, diese analytisch getrennt zu betrachten, sollten sie im Unterricht verknüpft werden. So könnten die unterschiedlichen Geschichtsbedürfnisse bedient und Aneignungsformen ermöglicht werden. Eine Beilegung des Streits über die Angemessenheit der verschiedenen Thematisierungsformen sei daher überfällig. Eine solche bildungstheoretische Perspektive distanziere sich von der Kompetenzorientierung der Lehrpläne, um den Blick auf die vielfältigen Bildungsmöglichkeiten zu richten, die das Thema Nationalsozialismus biete.