Als Tochter zweier Holocaust Überlebender kommt Altaras nach eigener Aussage nicht umhin, sich mit den Geschichten und Erinnerungen ihrer Familie auseinanderzusetzen. Im Gegenteil seien diese zu einem wichtigen Teil ihrer eigenen Identität geworden. Dass eine aktive Form der Vergangenheitsbewältigung in einer jüdisch-deutschen Familie nicht immer spannungsfrei ist, stellt sie in ihren Büchern mit amüsanten Alltagsepisoden klar. Testosterongeladene Machtkämpfe zwischen dem westfälischen Vater und ältesten Sohn und unbeholfene Nachbarn beim florierende Erinnerungs-Flohmarkt im jüdischen Elternhaus gehören genauso dazu wie die allabendliche Anrufe der deutsches Liedgut trällernden Schwiegermutter (Interner Link: Ausschnitt als PDF). Altaras versteht es aber nicht nur ein amüsantes Portrait ihrer Familie zu zeichnen, sondern auch ihre tiefgründigen Gedanken zur deutschen Erinnerungskultur präzise zu formulieren. Im Jahre 2011 sprach die in Zagreb geborene Jüdin anlässlich der Gedenkfeiern zur Reichspogromnacht am 9. November 1938 in der Paulskirche in Frankfurt. In dieser Rede, die auch Thema eines Kapitels in dem Buch "Doitscha" ist, spricht sie sich gegen ritualisiertes Gedenken aus, ohne sich damit automatisch auf die Seite organisierten Vergessens zu schlagen. Ihre mutigen und treffenden Worte greift sie auch in ihrer Lesung auf:
"Aber ehrlich – wenn Sie mich fragen: Ich bin kein Freund von verordneter Trauer. Punktgenau. Zeitgebunden. Handlich: Trauer to go. Verstehen Sie mich recht: Trauertage, Erinnern, Gedenken gehört zum Menschenleben wie Feste und Feiertage. Jede Gesellschaft macht sich mit offiziellen Feiertagen ein Bild von sich. Ich frage mich nur: Sind unsere Formen öffentlicher Trauer so noch durchführbar? Und was ist nach dem 9. November, an den anderen dreihundertvierundsechzig Tagen im Jahr? Ich bin mir sicher, ihre Trauer ist echt und ernsthaft. Aber in dem Moment, wo Trauer zur Gewohnheit, zum starren, verordneten Ritual wird, verliert sie ihren Sinn und ihre Wirkung nach innen, wie nach außen. Man hat es sich im Deutschland der vorbildlichen Trauerarbeit im jährlichen Gedenken ein wenig gemütlich gemacht."
"Erinnern for beginners" mit Adriana Altaras (© bpb, Mareike Bier)
"Erinnern for beginners" mit Adriana Altaras (© bpb, Mareike Bier)
Um Gedenken nicht zu einer inhaltsleeren und wirkungsarmen Pflichtübung verkommen zu lassen, sollten wir uns laut Altaras auf neue Formen der Erinnerung einlassen. Ein konkreter Vorschlag wäre, offizielle Gedenkfeiern im Bundestag anlässlich des 27. Januars oder 9. Novembers von Schulklassen gestalten zu lassen. Besonders wichtig an einem solchen Projekt wäre Altaras zufolge, die ernstgemeinte Einladung an die junge Generation, sich mit Geschichte auseinanderzusetzen. Angesichts der aktuellen Flüchtlingsströme nach Europa hält sie es für unheimlich wichtig, die Erfahrungen aus der Vergangenheit mit der Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen zu verknüpfen – sie seien es immerhin, die unsere Gesellschaft in Zukunft gestalten. Wirksam sind dabei laut Altaras vor allem haptische Zugänge zur Vergangenheit – Geschichte aktiv kennenlernen, kreativ gestalten und greifbar machen.
Wie in ihrem Buch verknüpft sie auch in ihrer Rede in der Paulskirche gekonnt persönliche Erfahrungen in ihrer Familie mit dem weiteren Bild der deutschen Gesellschaft.
"Sie (Altaras zwei Söhne) haben einen nicht jüdischen, einen deutschen Vater. Einen guten Vater, aber er ist halt kein Jude, was meiner Familie lange Zeit große Sorgen bereitet hat. Meine Eltern nannten ihn monatelang Hans und behaupteten, sie könnten sich beim besten Willen an keinen anderen Namen erinnern. Er hatte es nicht leicht, aber als guter Westfale hat er es ausgesessen. Und dennoch, manchmal mache auch ich ihn verantwortlich für Dinge, die weit vor seine Geburt liegen. Der Prozess der Begegnung, sehen Sie, läuft in unserer Familie noch immer auf Hochtouren. Das Thema Juden und Deutsche wird nie ein einfaches, das macht aber nichts. Es wird ein sensibles, leicht verletzliches Verhältnis bleiben, warum auch nicht. Es braucht keinen Schlussstrich und keinen Gedenkzwang. Die Bürger sind mündig genug, das Traurige, Ungelöste an dreihundertfünfundsechzig Tagen des Jahres auszuhalten. Da bin ich mir sicher."