„Ich muss ein Gefühl davon bekommen“ erzählt eine Schülerin in der arte- Dokumentation „Klassenfahrt nach Auschwitz“. Sie ist eine von etwa zwanzig SchülerInnen, die sich bewusst für einen Besuch in der Gedenkstätte Auschwitz entschieden haben. Menschenverachtende historische Geschehnisse, wie das der Shoa lassen sich schwer anhand von Büchern begreifen. Im Rahmen politischer Bildung sind emotionale Zugänge zu Geschichte deshalb unentbehrlich. Methoden wie der Besuch von Gedenkstätten oder Begegnungen mit Zeitzeugen werden daher sowohl in schulischer als auch in außerschulischer politischer Bildung angewandt, um Menschen zu helfen, das Ausmaß historischer Ereignisse besser nachvollziehen zu können.
Der 14. Bundeskongress politische Bildung setzte sich innerhalb eines Vortrages mit emotionalen Zugängen in der politischen Bildung auseinander. Hierzu wurden AkteurInnen aus dem pädagogischen, historischen, sowie psychoanalytischen Bereich eingeladen.
Der Professor für Geschichte Dr. Volkhard Knigge hat viel Erfahrung mit der Arbeit in Gedenkstätten. Schon oft hat er erlebt, wie unterschiedlich Menschen auf die Konfrontation mit „existenzieller Entborgenheit“, wie er den Zustand der damaligen Opfer des Holocaust nennt, reagieren. Wenn sich Menschen mit der Geschichte menschenverachtender Verbrechen auseinandersetzen, spielen Emotionen oftmals eine große Rolle bei der Verarbeitung dieses Erlebens. Zu diesen Gefühlen, so erzählt es der Leiter des Anne-Frank-Zentrums in Berlin, Patrick Siegele, gehören auch Langeweile oder Abwehr. Diesen gilt es, Raum zu geben und sich mit ihnen genau wie Mitleid, Schuld oder Trauer, auseinanderzusetzen. Siegele betont, dass es insbesondere bei Kindern und Jugendlichen wichtig sei, über diese Gefühle zu sprechen und sie anschließend gemeinsam in einen Kontext zu setzen. Denn „weinen allein bildet nicht“ stellt Knigge fest.
Anregung statt Ohnmacht
Dieser Satz bringt mich ins Nachdenken: Ich erinnere mich an meinen Besuch in einer der größten Gedenkstätten der Shoa, Yad Vashem, vor etwa einem Jahr. Nach etwa vier Stunden voller Eindrücke der schrecklichen Erlebnisse von den Millionen Menschen, die den Nazis zum Opfer fielen, fühlte ich mich ohnmächtig. Genau wie viele andere BesucherInnen konnte ich das Gesehene immer noch nicht richtig greifen und wusste nicht, wohin mit meinen Gefühlen. Aus meiner Sicht sollten sich nicht nur Schulklassen, sondern auch erwachsene BesucherInnen nach einem solchen Besuch weiter mit der Thematik auseinandersetzen. Ich hätte mir einen Ort gewünscht, an dem es im Anschluss an die Ausstellung in Yad Vashem ein Austausch möglich ist. Einen Ort, um auch über die erlebten Gefühle und den Umgang mit ihnen sprechen zu können. Eine Art Forum, in dem das Erfahrene in die Gegenwart geholt wird und gefragt wird, was man mit dem Wissen heute nun tun kann. Warum sind Lernwerkstätten, in denen zu Engagement und Selbstreflexion aufgerufen wird, nicht Bestandteil von der Arbeit in Gedenkstätten? „Verstehen heißt nicht hinnehmen, sondern entziffern“, findet auch der Historiker Knigge. Denn wenn heute geschichtsrevisionistische und menschenfeindliche Einstellungen in Deutschland wieder erkennbar werden, ist es umso wichtiger, aus Fehlern zu lernen. Wir müssen diese essenziellen Erkenntnisse in die Gegenwart holen.
Laut dem Bundesamt für Verfassungsschutz wurden im Jahr 2017 über 1000 rechte Gewalttaten in Deutschland verübt. Und das ist nur die Zahl derer, die überhaupt registriert wurden. Rassismus in Deutschland ist noch immer aktuell. Es ist unser aller Aufgabe zu verhindern, dass sich Teile der deutschen Geschichte wiederholen.
Siegele will Kindern und Jugendlichen beibringen, sowohl Gefühle als auch Reflexionen zuzulassen. Er nennt es „lernen, abstrakt zu denken und konkret zu fühlen“. Es gilt, die Gefühle anzuerkennen und ihnen Zeit zu lassen. Doch dabei darf es eben nicht bleiben. Emotionen und Selbstreflexion gehören zusammen, denn „auch Vernunft ist eine Leidenschaft“ betont Knigge. Wenn wir nicht wollen, dass sich unsere Geschichte wiederholt, sollten wir unsere Erkenntniesse also nutzen und uns gegen gruppenbezogene Fremdenfeindlichkeit heute einsetzen.