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Miteinander reden | 14. Bundeskongress politische Bildung 2019 | bpb.de

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Miteinander reden

Helene Fuchs

/ 4 Minuten zu lesen

Die politische Bildung ist auf der Suche nach neuen Methoden. In Zeiten fortschreitender gesellschaftlicher Polarisierung muss wieder mehr miteinander gesprochen werden, so der Konsens des Kongresses. Der Kampf gegen diese Spaltung soll mit innovativen Gesprächsstrategien gewonnen werden. Die Dilemma-Diskussion ist eine davon. Auf dem BuKo wird sie ausprobiert.

In Raum 410 der Volkshochschule Leipzig müssen die vorhandenen Stühle zusammengerückt und noch mehr Stühle geholt werden. Anstelle der angemeldeten 47 sind knapp 60 Teilnehmende da. Der Workshop „Meinungsaustausch mal anders“ verspricht Möglichkeiten des Diskurses auch bei konträren Meinungen - und der Bedarf dafür ist offensichtlich hoch. Nun sitzt also eine bunt gemischte Runde aus jungen BesucherInnen des Kongresses und gestandenen politisch Bildenden an einem Tisch und lauscht Kursleiterin Sieglinde Eichert. „Wie kann man miteinander reden, wenn es um schwierige Themen geht?“, fragt sie und verspricht, Ansätze dazu mit der Gruppe direkt zu erproben.

Begonnen wird mit einer simplen wie effektiven Übung: Zwei sich vorher unbekannte Menschen haben eine Minute Zeit, sich auszutauschen und dabei Gemeinsamkeiten zu finden. Die Runde fördert Kurioses zutage: Zwei Teilnehmende sprechen zum Beispiel über ihr Seepferdchen-Abzeichen, eine weitere Gruppe besitzt kein Auto, dafür aber zwei Fahrräder. Die Erkenntnisse sorgen für Belustigung, machen aber gleichzeitig deutlich, wie selten wir uns im Alltag die Zeit nehmen, Gemeinsamkeiten zu finden. Workshopleiterin Eichert ist überzeugt, dass schon diese eine Minute des Austausches „auf rein menschlicher Ebene“ eine Grundlage für das Sprechen über kontroverse Themen legen kann.

Lehrer, Krankenschwester, Bürgermeister

Die lassen nicht lange auf sich warten. Denn als nächstes geht es um eine Beurteilung von Entscheidungen. Auf einer Skala von 0 bis 6 soll eingetragen werden, wie schwierig eine Entscheidung ist. Dazu werden drei Beispiele präsentiert: Ein Referendar muss entscheiden, ob er gegenüber einer Schülerin Position bezieht- und damit möglicherweise seine Lehrprobe gefährdet. Eine Krankenschwester überlegt, ob sie für Grundwerte und Freiheit demonstrieren geht, obwohl es sie und ihre Kinder gefährdet - oder nicht demonstriert und damit sich selbst und ihre Familie schützt. Schließlich geht es um einen Bürgermeister, der einen Bauauftrag an eine Firma erteilen soll, deren Geschäftspraktiken fragwürdig sind. Schon hier differenzieren sich die Meinungen, selbst bei sonst klaren Tendenzen gibt es einige Ausreißer. Die Debatte wird erhitzter, die Emotionen spürbar. Wie wild wird spekuliert, wie andere zu ihrem Skalenwert gekommen sind. Kein Beispiel ist einfach. Diese Erkenntnis ist klares Ziel der Übung. Zum ausführlichen Vergleichen bleibt keine Zeit, denn die Hauptaufgabe des Workshops folgt noch.

Das Dilemma

Hierfür wird eine neue Situation geschildert: Eine Krankenschwester findet ihre seit langem schwer kranke Patientin leblos in ihrem Zuhause. Neben ihr eine leere Packung Schlaftabletten und einen Zettel mit der Bitte „Lasst mich sterben“. Die Patientin atmet noch und hat einen Puls. Die Krankenschwester greift zum Telefon, um den Notruf zu wählen - und zögert.

Hier ergibt sich bei der Abstimmung ein sehr diverses Bild. Von 0 bis 6 sind alle Schwierigkeitsgrade dabei. Es folgt das Ende der Geschichte: Die Krankenschwester wählt den Notruf nicht, sondern hält die Hand der Sterbenden. Nach einer Denkpause wird erneut abgestimmt: Die Teilnehmenden sollen äußern, ob sie die Entscheidung in Ordnung finden. „Müssen wir uns entscheiden?“, schallt es aus mehreren Ecken. Eichert sieht es pragmatisch: „Mir wäre es schon lieb, denn im Leben müssen sie sich auch immer entscheiden!“

Die Gruppe wird also geteilt, die zwei Parteien sind sogar fast gleich groß. Zu dritt werden nun Argumente für die eigene Meinung gesammelt. Dazu soll auch überlegt werden, wer von dieser Entscheidung noch betroffen ist. So ergibt sich ein ganzheitliches Bild. Nach Diskussions- und Bedenkzeit folgt der Austausch nach einem Ping-Pong-Prinzip: Jede Gruppe darf abwechselnd ihre Argumente vorbringen, die Gegenseite entkräften, Szenarien entwerfen. Hierbei erhitzen sich die Gemüter schnell, fast alle beteiligen sich an der Runde. Zwischendurch hört man immer wieder empörtes Schnaufen, aufgeregtes Flüstern oder verwirrte Nachfragen aus den Gruppen. Am Ende kommt die Gruppe trotz Benennung der besten Argumente der Gegenseite nicht auf einen Konsens. Die erneute Abstimmung am Ende zeigt, dass niemand seine Meinung geändert hat.

Menschenwürde und Moral

Auffällig ist hierbei aber, auf welche unterschiedlichen Grundlagen sich die Argumentation stützt - die Menschenwürde, das Strafgesetzbuch, die eigene Moralvorstellung. Genau diese Vielfalt sei doch die Stärke der Demokratie, meint ein Teilnehmer: „Ich möchte ja wissen, wie mein Gegenüber zur eigenen Einschätzung kommt.“

Die Kritik folgt auf dem Fuße: „Was mich interessiert, ist nicht Sterbehilfe, sondern wie ich mit PEGIDA reden kann!“, formuliert es eine Teilnehmerin. In der Tat sei diese Methode dafür nicht geeignet, räumt Eichert ein. Prävention ist hier das Stichwort. Um an politischen Diskursen überhaupt teilnehmen zu können, müssen sich Menschen zuallererst eine eigene Meinung bilden. Neben der Erfahrung, diese in einer Gruppe überhaupt zu äußern, ziele die Dilemma-Diskussion auf Grundlegendes ab: „Für viele ist es das erste Mal, dass sie einen ‚Feind‘ gegenüber haben und niemand geht sich an die Gurgel“, erzählt die Kursleiterin. Die wichtigste Lektion: „Es geht auch anders. Man kann miteinander reden.“

Fussnoten