Im Vorfeld des Buko haben wir mit Anne Pallas und Andrea Gaede (Geschäftsführung) vom Externer Link: Landesverband Soziokultur Sachsen e.V. darüber gesprochen, welche Rolle Emotionen in der kulturellen Bildung spielen, wo sie ihrer Meinung nach die Verbindung zwischen kultureller und politischer Bildung sehen und ob in der kulturellen Bildung Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland festzustellen sind.
Beim Kongress geht es um das Thema "Emotionen in Politik und Gesellschaft". Inwiefern sind Emotionen in der kulturellen Bildung ein besonders relevantes Thema?
Neurowissenschaftlich betrachtet spielen Emotionen ja in jedem Bildungsprozess eine Rolle, weil sie sich bspw. motivierend oder demotivierend auf den Lernprozess auswirken. Ohne emotionalen Zugang ist es ungleich schwieriger, vermitteltes Wissen aufzunehmen und zu verarbeiten. In den Arbeitsfeldern der kulturellen Bildung wird explizit mit Emotionen gearbeitet. Diese sind oftmals sogar Arbeitsgrundlage, wenn es bspw. um körperlichen Ausdruck geht oder um das Hineinversetzen in Rollen bzw. Personen (Stichwort: Perspektivenwechsel oder Mitgefühl). Die Ansätze und Methoden kultureller Bildung basieren auf sinnlichem Erleben und Erfahren; sie können dabei unterstützen mit den eigenen Empfindungen umzugehen und sie erzeugen ein Gefühl von Selbstwirksamkeit.
Inwiefern sehen Sie Berührungspunkte zwischen kultureller und politischer Bildung?
Kulturelle und politische Bildung berühren sich besonders dort, wo es um die Vermittlung von Demokratie als Lebensform – oder anders ausgedrückt – um die Ausprägung einer demokratischen Haltung geht. Einen respektvollen Umgang miteinander, das Verständnis für unterschiedliche Mentalitäten oder die Nutzung von Mitgestaltungs- und Einflussmöglichkeiten muss man erfahren und ausprobieren können, um sie zu verinnerlichen und als sinnstiftend anzunehmen. Eine Methode ist zum Beispiel das Forum-Theater. Im Verständnis der sächsischen Soziokultur sind übrigens kulturelle und politische Bildung Partner, die sich wechselseitig ergänzen. Man könnte ganz vereinfacht sagen: Die politische Bildung gibt das Thema, die kulturelle Bildung liefert den Zugang.
Sie haben im Herbst letzten Jahres eine Tagung veranstaltet, bei der es um Kulturelle Bildung in Ost- und Westdeutschland ging und dabei sind Sie auf große Unterschiede gestoßen. Worin besteht denn der Unterschied im Kulturverständnis in Ost und West?
Auf den Punkt gebracht würden wir folgende, durchaus streitbare These formulieren:
Kulturelle Bildung im Osten ist in der Tendenz lebensweltlicher und gemeinschaftsbildender orientiert und wendet sich stärker der Gesellschaftsbildung zu. Kulturelle Bildung im Westen dagegen ist in der Tendenz stärker künstlerisch-ästhetisch orientiert und wendet sich stärker der individuellen Persönlichkeitsbildung zu.
Der Unterschied drückt sich vor allem in Tendenzen aus oder sagen wir, es gibt einen bestimmten Habitus kultureller Prägung, der eher typisch ostdeutsch oder westdeutsch sein könnte. Diese Einschätzungen beruhen noch auf Beobachtungen und Erfahrungen. Eine vertiefte wissenschaftliche Analyse steht dazu noch aus. Zum Beispiel gibt es im Osten eine spannende Ambivalenz im Hochkultur- und Breitenkulturverständnis, das sich von dem Westdeutschlands unterscheidet. Während im Westen mit der 68er Bewegung der affirmative Hochkulturbegriff geprägt und hinterfragt wurde, in dessen Windschatten sich auch die Soziokultur als Gegenentwurf entwickeln konnte, stand die Hochkultur im Osten so nie unter Verdacht. In der DDR konnte sich eher ein Hochkulturideal halten, weil es die Vorstellung des vollendet gebildeten Bürgers beinhaltete. In diesem Verständnis ist die Kultur nicht affirmativ, sondern visionär und bezieht sich auf das in der Zukunft zu erreichende Ziel einer besseren Gesellschaft. Diese Prägungen wirken auch heute noch und haben im Osten ein tendenziell anderes Hochkulturverständnis halten können.
Auf der anderen Seite existierte in der DDR ein sehr lebensweltlicher und viel breiter gefasster Kulturbegriff, der von Alltagskulturen und einer ausdifferenzierten Breitenkultur getragen wurde. Die Jugendarbeit gehörte genauso zur Kulturarbeit, wie Artistik und Zauberei. Die verbindende Klammer war, dass Kultur in der DDR generell eine hohe Bedeutung zugeschrieben wurde und Hoch- und Breitenkultur Hand in Hand gingen. Dieses Verständnis hat auch heute noch Spuren hinterlassen - ein breiterer Kulturbegriff mit gleichzeitiger Nähe zur Hochkultur. Übersetzt heißt das z.B. für die Sparte Soziokultur, dass sich die Akteure noch nie als Gegner der Hochkultur empfunden haben und unter Kulturarbeit auch Gemeinwesenarbeit, Jugendarbeit und Sozialarbeit verstehen. Wenn man dann die Geschichte der Kulturellen Bildung in Ost und West vergleicht, wird der wesentliche Unterschied im Grundverständnis noch einmal deutlich. Während sich in der alten Bundesrepublik die Kulturelle Bildung vor dem Hintergrund einer gesellschaftlichen Individualisierung entwickelte, stand die kulturelle Bildung bzw. das künstlerische Volksschaffen in der DDR für die Formung einer Menschengemeinschaft, die gemeinsam nach höheren Werten streben sollte.
Kommen diese Aspekte auch bei dem Workshop, den Sie beim Bundeskongress anbieten werden zum Tragen?
Selbstverständlich!