Referentinnen und Referenten der
Dr. Nils aus dem Moore, Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung
Prof. Dr. Michael Braungart, Lehrstuhl für Cradle to Cradle Innovation und Qualität, Rotterdam School of Management (Erasmus Universität), Universität Twente und Lüneburg, EPEA Hamburg
Dr. Christa Henze, Universität Duisburg-Essen
Dr. Eugen Pissarskoi, Institut für ökologische Wirtschaftsforschung
Moderation: Kathrin Latsch, Journalistin und Autorin
Dr. Nils aus dem Moore begann mit Überlegungen zur "Great Acceleration", der rasanten sozio-technischen Entwicklung seit 1950. Die negativen Folgen davon seien in den alarmierenden Entwicklungen des Klimawandels, der biologischen Vielfalt und des globalen Stickstoffkreislaufs zu erkennen, die ungerechte Verteilung der Güter wäre eine weitere Herausforderung. Wachstum sei weder gut noch schlecht, so Nils aus dem Moore. Aber er müsse innerhalb der möglichen und akzeptablen Grenzen stattfinden. Die Menschen müssten lernen, dass sie sich nicht in einem unendlichen Raum ausbreiten könnten.
"Nachhaltigkeitskonzept grundlegend falsch"
Polarisierend stieg Prof. Dr. Braungart in die Diskussion ein: Mit lebhaften Beispielen betonte er die Verantwortung jedes Einzelnen für die gesellschaftliche Entwicklung und brachte seine Zuhörer mitunter zum Lachen. Zum Beispiel mit dem Vorschlag, dass "Nacktfliegen" oder die Einnahme von Abführmittel vor Flugreisen den CO2-Ausstoß mindern könnten. Insgesamt riet er davon ab, an zukünftige Generationen zu denken: Es reiche, an sich selbst zu denken und sich bewusst zu verhalten. So vertrat Braungart die Meinung, dass das "Nachhaltigkeitskonzept grundlegend falsch" ist und wir mit einem geringeren Ressourcenverbrauch den Kollaps nur verzögern würden. Stattdessen stellte er das von ihm entwickelte Prinzip des "Cradle to cradle" vor: Das will sogenannte Stoffströme so perfektionieren, dass daraus geschlossene Kreislaufwirtschaften resultieren. "Wir sind ein Teil der Natur, wir müssen lernen, darin zu leben", sagte Braungart.
Bildung ist nicht die Feuerwehr
Dr. Christa Henze setzte sich mit der "Dekade Bildung für nachhaltige Entwicklung" (BNE-Dekade) auseinander, die ihrer Ansicht nach das Verständnis dafür gefördert habe, dass BNE in Bildungsprozessen stärker verankert werden müsse. Sie wies aber auch auf die Schwierigkeit dabei hin: So waren viele von der BNE-Dekade ausgezeichneten Projekte Einzelerfolge, es gäbe keine ausreichende Zusammenarbeit zwischen den Hochschulen im nationalen und internationalen Kontext. Henze betonte auch, dass die Bildung nicht als Feuerwehr für die von Politik und Gesellschaft ungelösten Probleme dienen könne. Bildung könne unterstützen und Diskurse anstoßen, die im Bereich der sogenannten Post-Wachstumsökonomie und in nachhaltiger Entwicklung wichtig wären.
Stärkere Gesetze
Dr. Eugen Pissarskoi vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung sieht einen Ausweg im genügsamen Umgang mit materiellen Gütern, z.B. durch eine längere oder intensivere Nutzung. Mehr Zeit für gesellschaftliche Aktivitäten wie die Nachbarschaftspflege und weniger Aufwand für Erwerbstätigkeit solle eingeplant werden. Die kommunale Selbstverwaltung und eine stärkere Gesetzgebung für ökologische Nachhaltigkeit wären zielführend. Für bessere gesetzliche Rahmenbedingungen plädierte auch Nils aus dem Moore. Für globale Ungerechtigkeit, die durch das menschliche Eingreifen in die Umwelt entsteht, stellte Pissarskoi mögliche Lösungen vor. Seine Vision sei, dass wir das Prinzip der intergenerationellen Gerechtigkeit einhalten würden: Wir müssen in unserem Handeln an die zukünftigen Generationen denken und dementsprechend verantwortungsvoll agieren. Pissarskoi warf auch die Frage nach dem "guten Leben" auf: Es bestünde kein gesellschaftlicher Konsens darüber, was man darunter versteht. "Gutes Leben" müsse aber für alle grundlegende Elemente beinhalten, zum Beispiel psychisches und physisches Wohlbefinden, Anerkennung, soziale Zugehörigkeit, Kontrolle über die eigene Umwelt oder Meinungs- und Bewegungsfreiheit. Generell müsse ein stärkerer öffentlicher Diskurs über Ungerechtigkeit geführt werden und bei der Einführung von neuen Gesetzen sei besser zu berücksichtigen, wie sich wirtschaftliche Prozesse auf die Schwächsten in der Gesellschaft auswirken. Dabei könne Bildung das Bewusstsein schärfen, Ungleichheit als politische und gesamtgesellschaftliche Herausforderung zu begreifen.
von Svetlana Alenitskaya und Max Schmidt