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Sektion 1 – Arm und Reich – Soziale Ungleichheit | 13. Bundeskongress Politische Bildung – Ungleichheiten in der Demokratie | bpb.de

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Sektion 1 – Arm und Reich – Soziale Ungleichheit

/ 3 Minuten zu lesen

"Wohlstand für alle" ist das zentrale Versprechen der sozialen Marktwirtschaft. Doch wie erreicht man diesen Zustand und wie hat sich die Ungleichheit in der Gesellschaft in den letzten 50 Jahren entwickelt? In Sektion 1 wurden die grundlegenden Entwicklungen und Tendenzen sozialer Ungleichheit betrachtet.

Referentinnen und Referenten der Interner Link: Sektion 1:

Prof. Dr. Steffen Mau, Universität Bremen / Bremen International Graduate School of Social Sciences (BIGSSS)
Dr. Oliver Nachtwey, Technische Universität Darmstadt
Dr. Judith Niehues, Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) e.V.
Dr. Brigitte Weiffen, Universität Sao Paolo, Brasilien


Moderation: Michael Hirz, Phoenix

Gemeinsamer Aufstieg und Abstieg

Schon 1986 bezog sich der kürzlich verstorbene Soziologe Ulrich Beck auf den Fahrstuhleffekt mit dem Grundgedanken, "dass die Klassengesellschaft gemeinsam eine Etage ‘höher‘ fahren würde."

In der sozialen Moderne bestand ein stabiles Wirtschaftswachstum und eine Dominanz des

Vertiefungsworkshop zu Sektion 1 mit Moderatorin Dr. Asiye Öztürk und Prof. Dr. Steffen Mau (© bpb/Smilla Dankert)

Normalarbeitsverhältnisses (u.a. unbefristet, Kündigungsschutz: 80 Prozent der Beschäftigungsverhältnisse). Der soziale Aufstieg in Deutschland drückte sich beispielsweise in Form eines vierfach erhöhten Pro-Kopf-Einkommens (1950-1989), der Bildungsexpansion und der Entproletarisierung aus. Ungleichheiten bestanden zwar auch weiterhin, allerdings wurden sowohl die Reichen als auch die Armen reicher, wodurch eine stärkere soziale Integrität entstand. 
2015 sieht die Situation anders aus: Dr. Oliver Nachtwey spricht von einer Art "inversem Fahrstuhleffekt", der in den letzten Jahren gesamtgesellschaftlich beobachtbar ist: ein kollektiver Abstieg und ein Anstieg der Ungleichheiten. Die Mittelschicht stiege zwar nicht unbedingt ab, aber die Verhältnisse verändern sich: Mittlerweile gebe es auf dem Arbeitsmarkt circa 60 Prozent atypische Beschäftigungsverhältnisse und immer mehr qualifizierte Arbeitskräfte, so würden sichere Arbeitsverhältnisse durch "Verdrängung" immer unwahrscheinlicher.

Wirklichkeit und Wahrnehmung von sozialer Ungleichheit

Dr. Judith Niehues vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln beschäftigt sich mit der Divergenz zwischen der Wirklichkeit und Wahrnehmung wachsender Ungleichheit in der Gesellschaft. In einer Studie wurde der Zustimmungswert zu Modellen der Einkommensverteilung abgefragt und es wurde deutlich, dass viele der Befragten von einer kleinen Elite, einer schmalen Mitte und einer breiten Unterschicht ausgingen. Die tatsächliche Einkommensverteilung und damit die "Wirklichkeit" deute aber in eine andere Richtung: Danach existiert eine breite Mittelschicht, die Vermögensanteile der Reichen bleiben gleich (in Deutschland), die Unterschicht ist schmal. Nach ihrer eigenen Lebenssituation gefragt gaben viele Studienteilnehmer zudem an, dass sie sich eher der Mittelschicht zuordnen würden. Das würde bedeuten, dass viele Bürgerinnen und Bürger sich und ihre Lage besser einschätzen und die Gesamtsituation der Gesellschaft eher zu pessimistisch sehen.

Dr. Judith Niehues im Interview

Wachsende Ungleichheiten in Europa

Prof. Steffen Mau widerspricht der Auffassung seiner Vorrednerin und verweist auf den realen Zuwachs in den oberen Einkommensgruppen. Die Ungleichheit in der Einkommensverteilung sei gleich geblieben, obwohl seit 2005 mehr Menschen in Beschäftigung sind. Die Hoffnung und Annahme, dass sich die Schere zwischen Interner Link: Arm und Reich dadurch schließe oder sie zumindest kleiner werde, habe sich nicht bestätigt. Ein Prozent der reichsten Bürgerinnen und Bürger würden ein Drittel des gesamten Vermögens besitzen. Diese Ungleichheit hat laut Mau direkte und indirekte Auswirkungen auf unterschiedliche Bereiche der Gesellschaft und Wirtschaft, vor allem hätten die Statusunterschiede auch Effekte auf die Einkommensmobilität: Eltern geben ihren Status an ihre Kinder weiter – das entkräfte auch das liberale Modell des Aufstiegs durch individuelle Lernbereitschaft und Leistung. 
Die Ungleichheit behindere außerdem das ökonomische Wachstum, denn mit höherem Einkommen steige nicht automatisch der Konsum, es steigen eher die Investitionen im Anlagebereich. Maus Statement endet mit einem Appell an eine fairere und chancengleichere Verteilungspolitik.

Die internationale Perspektive

Dr. Brigitte Weiffen untersucht die Entwicklungen von demokratischen und die damit einhergehenden Veränderungen gesellschaftlicher Strukturen, zurzeit an der Universität São Paolo/Brasilien.

Die Hemmnisse für eine funktionierende Demokratie liegen Weiffens Ansicht nach teilweise in der Ungleichheit einer Gesellschaft: Eine kleine Mittelschicht, eine hohe Arbeitslosenquote, die ungleiche Verteilung materieller Ressourcen (z.B. Einkommen und Wohlstand) und intellektueller Ressourcen (Bildung und Wissen) erschweren die Etablierung einer stabilen Demokratie. Bisherige Forschungsergebnisse weisen laut Weiffen einer Gesellschaft mit einer hohen sozioökonomischen Gleichheit ein höheres Demokratieniveau nach.

von Theresa Kramer

Fussnoten