Referentinnen und Referenten der
Prof. Dr. Steffen Mau, Universität Bremen / Bremen International Graduate School of Social Sciences (BIGSSS)
Dr. Oliver Nachtwey, Technische Universität Darmstadt
Dr. Judith Niehues, Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) e.V.
Dr. Brigitte Weiffen, Universität Sao Paolo, Brasilien
Moderation: Michael Hirz, Phoenix
Gemeinsamer Aufstieg und Abstieg
Schon 1986 bezog sich der kürzlich verstorbene Soziologe Ulrich Beck auf den Fahrstuhleffekt mit dem Grundgedanken, "dass die Klassengesellschaft gemeinsam eine Etage ‘höher‘ fahren würde."
In der sozialen Moderne bestand ein stabiles Wirtschaftswachstum und eine Dominanz des
Normalarbeitsverhältnisses (u.a. unbefristet, Kündigungsschutz: 80 Prozent der Beschäftigungsverhältnisse). Der soziale Aufstieg in Deutschland drückte sich beispielsweise in Form eines vierfach erhöhten Pro-Kopf-Einkommens (1950-1989), der Bildungsexpansion und der Entproletarisierung aus. Ungleichheiten bestanden zwar auch weiterhin, allerdings wurden sowohl die Reichen als auch die Armen reicher, wodurch eine stärkere soziale Integrität entstand. 2015 sieht die Situation anders aus: Dr. Oliver Nachtwey spricht von einer Art "inversem Fahrstuhleffekt", der in den letzten Jahren gesamtgesellschaftlich beobachtbar ist: ein kollektiver Abstieg und ein Anstieg der Ungleichheiten. Die Mittelschicht stiege zwar nicht unbedingt ab, aber die Verhältnisse verändern sich: Mittlerweile gebe es auf dem Arbeitsmarkt circa 60 Prozent atypische Beschäftigungsverhältnisse und immer mehr qualifizierte Arbeitskräfte, so würden sichere Arbeitsverhältnisse durch "Verdrängung" immer unwahrscheinlicher.
Wirklichkeit und Wahrnehmung von sozialer Ungleichheit
Dr. Judith Niehues vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln beschäftigt sich mit der Divergenz zwischen der Wirklichkeit und Wahrnehmung wachsender Ungleichheit in der Gesellschaft. In einer Studie wurde der Zustimmungswert zu Modellen der Einkommensverteilung abgefragt und es wurde deutlich, dass viele der Befragten von einer kleinen Elite, einer schmalen Mitte und einer breiten Unterschicht ausgingen. Die tatsächliche Einkommensverteilung und damit die "Wirklichkeit" deute aber in eine andere Richtung: Danach existiert eine breite Mittelschicht, die Vermögensanteile der Reichen bleiben gleich (in Deutschland), die Unterschicht ist schmal. Nach ihrer eigenen Lebenssituation gefragt gaben viele Studienteilnehmer zudem an, dass sie sich eher der Mittelschicht zuordnen würden. Das würde bedeuten, dass viele Bürgerinnen und Bürger sich und ihre Lage besser einschätzen und die Gesamtsituation der Gesellschaft eher zu pessimistisch sehen.