Referentinnen und Referenten der
Andreas Botsch, Deutscher Gewerkschaftsbund
Dr. Ulrike Guérot, "The European Democracy Lab", eusg – European School of Governance
Isabell Hoffmann, Bertelsmann Stiftung, Büro Brüssel
Prof. Dr. Dietrich Thränhardt, Westfälische Wilhelms-Universität Münster
Moderation: Ulrike Winkelmann, Deutschlandfunk
Der europäische Gedanke ist bestimmt von Freiheit, Gleichheit, Toleranz. Zumindest in der Idealvorstellung. Tatsächlich bestimmen Krisen und täglich erlebte Ungleichheiten den Alltagsdiskurs. Dem Thema
Plädoyer für politische und soziale Gleichheit
"Wenn wir in der Eurozone nicht bald politisch, emotional und intellektuell verstehen, dass der Grundsatz der politischen und sozialen Gleichheit bei uns in allen Politikfeldern gilt, dann haben wir verloren", macht die Politikwissenschaftlerin Dr. Ulrike Guérot zu Beginn ihres Kurzvortrags deutlich. Den Grundsatz der politischen und sozialen Gleichheit müsse man also auf jeden Bereich des gesellschaftlichen Zusammenlebens herunterbrechen. So plädiert Guérot zum Beispiel für gleiche Einkommens- und Umsatzsteuern sowie gleiche Mindestlohngrenzen innerhalb der EU, damit Nationen und ihre Bürger nicht mehr gegeneinander ausgespielt und am Ende in die Arme eurokritischer Populisten getrieben würden. Momentan stehe Technokratie gegen Populismus, gefragt sei aber eine parlamentarische Demokratie für das gesamte Euroland. Kritisch hinterfragt Guérot, ob die Diskurse um Partizipationsstrukturen innerhalb der Europapolitik nicht zu abgeschottet von den alltäglichen Begebenheiten "auf der Straße" geführt werden, wo die Bürger ihren alltäglichen Problemen ausgesetzt sind.
Mit Angst – ohne Vertrauen
Aus einem ökonomischen Blickwinkel betrachtet anschließend Andreas Botsch vom Deutschen Gewerkschaftsbund die Thematik: "Für einen Gewerkschafter ist die Frage nach Inklusion und Exklusion eine fundamentale Frage nach dem Wert von Arbeit." Botsch blickt auf die EU-Krisenpolitik der letzten Jahre zurück und stellt für sich fest, dass diese seit 2010 dabei sei, die soziale Marktwirtschaft zu zerstören. Das geschwächte Sozialmodell sei Ursache für eine zunehmende Abkehr der Arbeitnehmer von einem geeinten Europa, da das Bündnis teils auch als Bedrohung für Lebensstand, Vermögen und Zukunft folgender Generationen angesehen würde. Botsch kritisiert die EU-Sparpolitik und mahnt an, dass der Bankensektor in Europa von einem "Diener der Finanzwirtschaft zu einem Spekulationsprofi" geworden sei. Am Ende ginge viel Vertrauen verloren: So sei zum Beispiel das Vertrauen der Deutschen in die EU auf durchschnittlich 30 Prozent im Jahr 2014 von noch 43 Prozent im Jahr vor der Finanzkrise gesunken. Die große Verantwortung hierfür trage die Politik selbst.
Freier und ungleicher Raum
Politikwissenschaftler Prof. Dietrich Thränhardt nimmt sich der Thematik von Europa als offenem Raum der Personenfreizügigkeit an. Thränhardt stellt fest, dass innerhalb Europas der Nutzen dieser Freizügigkeit sehr verschiedene Auswirkungen hätte, sie also Ungleichheiten produziere. Er skizziert die sich gegenüber stehenden Situationen "Triple Win" bzw. "Triple Lose", die für Arbeitnehmer, Niedrig- und Hochlohnländer entstehen könnten. Als positives Beispiel für Freizügigkeit nannte Thränhardt Schweden, wo Einheimische etwa gleich viel wie ausländische Mitarbeiter verdienten, auch gebe es keine Lohnabsenkungen der unteren Lohnklassen. Anders sehe es in Großbritannien aus, wo zum Beispiel polnische Arbeitskräfte bevorzugt eingestellt würden und dies eine Beschäftigungskrise bei einheimischen Arbeitnehmern auslöse. Auch in Deutschland hätten sich "im Souterrain des Arbeitsmarktes unhaltbare Zustände verbreitet." Der offene europäische Raum ermögliche also sehr unterschiedliche und ungleiche Entwicklungen. Doch Nationalstaaten, so Thränhardts Appell, hätten immer die Chance, Ungleichheiten entgegenzuwirken.
Drei weiße Ritter der Europapolitik
Als letzte Rednerin erläuterte Isabel Hoffmann von der Bertelsmann Stiftung die für sie wichtigen "drei weißen Ritter der Europapolitik": erstens die Politisierung, also das Vorantreiben von Rückkopplungsfunktionen in der Europapolitik (Problemanalyse, Diskussionen, Maßnahmenauswahl, Implementierung etc.), zweitens die Parlamentarisierung (Wie kann man auch nationalen Parlamentarismus besser einbeziehen in Brüsseler Entscheidungsprozesse?) sowie die Teilhabe von Bürgern, die auf kommunaler Ebene schon oft funktioniere, auf der "großen Bühne" aber nicht. Auch wenn man merke, dass sich an mancher Stelle eine Art Hilflosigkeit breitmache, dürfe man die Hoffnung nicht aufgeben: "Die EU ist nicht perfekt, aber sie ist der beste ordnungspolitische Zustand, den wir gerade haben und wir alle haben die Möglichkeit, ihn mitzugestalten", fasste Hoffmann zusammen.
von Imke Emmerich