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Eine medienpädagogische Positionsbestimmung zu Big Data | Bonner Gespräche 2016 | bpb.de

Eine medienpädagogische Positionsbestimmung zu Big Data

Die Autoren

Der Beitrag wurde verfasst von Jun.-Prof. Dr. Sandra Aßmann, Niels Brüggen, Valentin Dander, Dr. Harald Gapski, Gerda Sieben, Prof. Dr. Angela Tillmann und Prof. Dr. Isabel Zorn.

Ziel

Als Veranstalter/innen dieses Workshops gehen wir davon aus, dass Pädagogik und insbesondere die Medienpädagogik ebenso herausgefordert ist, wie Politik, Recht und Wirtschaft, auf die fortschreitende 'Datafizierung' unserer Gesellschaft zu reagieren. Im Workshop werden im Rahmen einer medienpädagogischen Positionsbestimmung einige Herausforderungen für die Gestaltung von Bildungsprozessen benannt und relevante Forderungen mit den Teilnehmenden diskutiert.

Kontext

Im Zuge der Digitalisierung von Daten und der Entwicklung und Verbreitung leistungsfähiger Computertechnologien entstehen umfangreiche Praktiken der automatisierten Erhebung, Speicherung und Auswertung von Daten aus allen Lebensbereichen. Datensammlungen, die zu groß sind, um sie mit herkömmlichen Mitteln zu bearbeiten, nennen wir ‚Big Data‘, ihre Auswertung Big Data Analytics (BDA). Doch auch kleinere, personenbezogene Datenmengen können mit entsprechenden Technologien analysiert werden. Die Erhebungs- und Verarbeitungsmechanismen digitaler Daten operieren mit Algorithmen, also automatisierten, teils selbstlernenden Befehlsketten in Softwareprogrammen. Die Programmierung dieser Algorithmen erfolgt zunächst aufgrund definierter spezifischer Interessen und Fragen, - aufgrund der potenziellen Verfügbarkeit der Daten und der unabsehbaren zukünftigen technischen Entwicklungen sind auch hier unkontrollierbare Verselbständigungen möglich. Eine automatisierte Datenerhebung reduziert die Kontrollmöglichkeiten der Nutzenden über ihre Daten. Es zeichnen sich aber auch Potenziale ab. Problematisch wird es, wenn die Zwecke, der Zugriff auf Daten und Ergebnisse sowie ihre Löschung nicht geklärt sind. Wenn durch BDA z.B. Rückschlüsse auf Gesundheit, Konsumabsichten, politische Einstellungen oder Arbeitsplatztauglichkeit gezogen werden können, verschieben sich soziale Entscheidungsprozesse in Richtung scheinbar objektiv-rationaler Vorgaben von Algorithmen. Allerdings sind es stets Menschen, die Interessen in Algorithmen einschreiben und Fragen an Big Data stellen. Medienbildung und Politische Bildung zielen gleichermaßen auf eine selbstbestimmte Partizipation der Menschen an einer lebendigen demokratischen Öffentlichkeit. Dies wird durch die Datafizierung von Lebenswelten in neuem Ausmaß und in einer neuen Qualität eingeschränkt. Aus Perspektive der Medienpädagogik ist folglich eine kritische Sicht auf die Interessen und Prozesse hinter der Erhebung, Speicherung und Auswertung kleiner und großer Datenmengen in allen Lebensbereichen von großer Bedeutung.

Herausforderungen

1) Privatheit und Öffentlichkeit demokratiepolitisch denken
Die Medienpädagogik muss ihre informationsethische Position schärfen sowie die politische Bedeutung von Privatheit in der digitalen Gesellschaft betonen und herausarbeiten, etwa gegenüber der Rede "Ich habe doch nichts zu verbergen!" Gleichzeitig ist das Internet eine Arena politischer Öffentlichkeit. Die nicht-transparente Personalisierung seiner Nutzung kann zur Desintegration dieser Öffentlichkeit führen. Entsprechende Sensibilisierungsmaßnahmen sollten dieses Spannungsverhältnis und die politische Bedeutung von Privatheit und Öffentlichkeit berücksichtigen.

2) Grenzen der informationellen Selbstbestimmung erkennen
Digitale Daten werden potenziell langfristig gespeichert und sind zukünftig unter anderen Prämissen weiterhin auswertbar. Die Medienpädagogik muss diese Grenzen der informationellen Selbstbestimmung und die Wirksamkeit von Datensparsamkeit unter den Bedingungen von Kontrollverlust realistisch bewerten. Medienpädagogisches Handeln muss dabei letztlich auf politisches Handeln zielen, da die Einforderung informationeller Selbstbestimmung über pädagogische Fragestellungen hinaus reicht.

3) Alle Überwachungspraktiken berücksichtigen
Internet-Konzerne, Geheimdienste und andere teil-/öffentliche Organisationen (Bildungsinstitutionen, Krankenkassen, Energieversorger etc.) nutzen intransparente Strategien der Datenanalytik - oder können dies. Die Medienpädagogik sollte transparente Werkzeuge der digitalen Kommunikation bevorzugen, die soweit möglich mit Schutzfunktionen (z.B. Verschlüsselung) ausgestattet sind, und sich an ihrer Entwicklung beteiligen. Zugleich sollten Konzepte zur Aufklärung über digitale Überwachung und die Grenzen von Schutzfunktionen weiter-/entwickelt und verbreitet werden.

4) Den Informationskapitalismus verstehen
Um die Kommunikationsprozesse in der digitalen Gesellschaft zu verstehen, bedarf es eines Grundverständnisses über den Wert von Daten und die Geschäftsmodelle von Internetunternehmen. Medienkompetenzförderung muss sich verstärkt mit informationsökonomischen Hintergründen auseinandersetzen.

5) Die Berechenbarkeit des Menschen hinterfragen
Wenn mittels BDA zukünftiges Verhalten mit Wahrscheinlichkeiten prognostiziert werden kann, droht eine Steuerung sozialen Verhaltens. Medienpädagogik muss diese Mechanismen kritisch reflektieren. Dabei geht es auch um die Reflexion von Werten wie Solidarität oder Freiheit.

6) Das neue Miteinander von Mensch und Maschine bedenken
Menschliches Handeln wird in sozio-technischen Anordnungen immer mehr mit ‚Handlungen‘ nicht-menschlicher Akteure verwoben. Fragen der subjektiven Autonomie und Abhängigkeit stellen sich auf neue Art und Weise. Die Medienpädagogik muss hierzu Reflexionsangebote entwickeln, die das Menschsein in seiner Besonderheit und Abgrenzung von künstlichen Intelligenzen thematisieren.

Folgerungen

Medienpädagog/innen stehen vor der Herausforderung, nicht nur Positionen, sondern auch Handlungsmöglichkeiten für datensparsame Nutzung von Informationstechnologie zu entwickeln. Einige Anknüpfungspunkte medienpädagogischen Handelns wurden benannt. Zu ihrer Umsetzung bedarf es der Ausdifferenzierung von Bildungsbereichen, Akteuren, Zielgruppen und der Entwicklung geeigneter Strategien. Die Komplexität der digitalen Gesellschaft lässt sich nur im Zusammenwirken pädagogischer Diskurse mit rechtlichen, technischen, politischen und wirtschaftlichen Diskursen bearbeiten. Angemessene Handlungspraktiken zu entwickeln, eröffnet ein neues Feld medienpädagogischer Praxis.