Die Sektion zum Indo-Pazifik wurde mit einer Umfrage mit Mehrfachnennung unter den Teilnehmenden eingeleitet, in der 80 Prozent der Region eine hohe Bedeutung für den Welthandel attestierten, 53 Prozent für die globale Sicherheit und 43 Prozent für die liberale Weltordnung und die Menschenrechte – und nur 5 Prozent meinten, die Region sei für uns nicht wichtig. Marc Saxer, Leiter des Regionalprojekts „Geopolitik und Weltordnung“ der Friedrich-Ebert-Stiftung, wurde aus Bangkok digital zugeschaltet. Er leitete seinen Vortrag „Der Indo-Pazifik als Epizentrum der Weltumordnung?“ mit den Thesen ein, die Zeit der Unipolarität sei vorbei, während der Indo-Pazifik ein „Powerhouse“ (nicht nur) der Weltwirtschaft sei.
Der Einstieg erfolgte mit der Etymologie der Bezeichnung „Indo-Pazifik“: Diese beziehe sich einerseits auf den Fluss Indus und andererseits auf die Wortschöpfung mar pacífico („friedliche See“) des portugiesischen Seefahrers Fernando Magellan – eine indigene Bezeichnung für die Region existiere hingegen nicht. China lehne diese Begrifflichkeit ab und spreche nur von Asien oder dem Globalen Süden.
Regionalpolitisch hätten Japan, Südkorea, Taiwan, Australien und die Philippinen unter der Führung der USA lange Zeit eine westlich orientierte Gruppe gebildet. Indien und Indonesien hätten im Kalten Krieg als blockfreie Staaten agiert. Während der Entspannungsphase des Kalten Krieges habe sich China an die USA und Indien an die Sowjetunion angenähert. Der Verband Südostasiatischer Staaten (ASEAN) wurde bei der Gründung im Jahre 1967 von Indonesien, Malaysia, Philippinen, Singapur und Thailand gebildet: Ursprünglich eine Gemeinschaft zur Zusammenarbeit bei wirtschaftlichen, politischen und sozialen Fragen, erweiterten sich nicht nur die Mitglieder um Brunei, Kambodscha, Laos, Myanmar und Vietnam, sondern auch die Ausrichtung, die nun auch Sicherheits-, Kultur- und Umweltaspekte beinhalte.
In einer Tour de Force behandelte Saxer die unterschiedlichen sicherheitspolitischen Situationen der zahlreichen Akteure: So verfügten neben China und Russland auch Indien, Pakistan und Nordkorea über Nuklearwaffen. Anders als im Kalten Krieg sei Russland eher der „Juniorpartner Chinas“, was sich auch im Umgang mit dem Ukrainekrieg zeige. China (und nicht zuletzt Südkorea) betrachte jedoch Russlands Annäherung an Nordkorea mit Sorge. Indien suche die Nähe zu den USA, da es zunehmend von China bedroht sei. China wiederum sehe seine Aktivitäten als Initiativen für neue Marktzugänge und zur Sicherung der eigenen Interessen; hierbei betreibe es eine Militarisierung des südchinesischen Meeres und stoße auch in den Westpazifik vor. Nicht nur Japan nehme diese Aktivitäten als Aggression war.
Die demokratische Mongolei sei von China und Russland eingeschlossen; mit einer Nachbarschaftspolitik zu beiden Staaten versuche man sich Handlungsoptionen offen zu halten. Malaysia verfolge eine aktive Neutralität: gegenüber dem Westen als Standort für die IT-Produktion, gegenüber China als Offshore-Produktionsstandort. Auch Singapur sei einerseits Standort von US-Marineverbänden und gleichzeitig ein wichtiger Handelspunkt für China. Laos und Kambodscha verbinde wiederum eine enge Partnerschaft mit China; diese werde von der thailändischen Militärregierung noch angestrebt.
Der indisch-pakistanische Konflikt sei bestimmend für Südasien: China weigere sich, Pakistan vor dem Staatsbankrott zu retten. Nepal versuche trotz innenpolitischer Probleme China zu widerstehen. Die Malediven seien ein wichtiger maritimer Versorgungspunkt für Chinas „Perlenkette“. Auch Bangladesch stehe unter dem Einfluss Chinas, während Indien den Ausgleich versuche, um eigene Handlungsspielräume zu maximieren.
Während China und Nordkorea Russland im Krieg gegen die Ukraine unterstützten, agierten Australien, Japan und Südkorea zunehmend auf Seiten der Ukraine. Im Nahostkonflikt, in dem die Türkei und der Iran um die regionale Vorherrschaft rängen, konstatiert Saxer über das Staatenbündnis BRICS einen größeren Einfluss Chinas.
Durch einen Krieg in der indo-pazifischen Region wären die globalen Lieferketten bedroht. Zudem habe ein solcher Konflikt in Ostasien (gerade auch ein Krieg um Taiwan) Potenzial für einen Weltkrieg, da die Kerninteressen beider Supermächte auf dem Spiel stünden. Derzeit habe allerdings keine Seite strategisches Interesse an einem Krieg. Ein Krieg mit China sei auch kaum zu gewinnen. Der Konflikt werde somit auf den Feldern Technologie und Wirtschaft ausgetragen. Ähnliche Entwicklungen seien im Finanzsektor zu erwarten, wenn die BRICS-Staaten folgten.
Insgesamt werde die Region von „Hard Power“ angetrieben; Europa fehle eine entsprechende Strategie für einen Umgang. Muskelspiele wie die Entsendung von Marinekontingenten würden als bloße Symbolpolitik belächelt. Europa solle moralisierende Bewertungen beenden und sich auf die westfälischen Prinzipien besinnen: Außenpolitik dürfe nicht wertebestimmt sein, sondern müsse einen realistischen Ansatz verfolgen, um Aussicht auf Erfolg zu haben. Dementsprechend solle sich Europa darauf konzentrieren, die eigene Region und die instabile Nachbarschaft zu sichern. Als Folge könne Europa als Partner zwischen den Großmächten China und USA mit offenen Armen im Indo-Pazifik empfangen werden.
In der intensiven Diskussion mit dem Publikum unterstrich Saxer, dass eine Fokussierung Europas auf die eigene Region und das Umfeld zumindest unter der aktuellen US-Regierung alternativlos sei. Europa werde durch die immensen Kosten für den Wiederaufbau der Ukraine weniger Ressourcen für die eigene Absicherung zur Verfügung haben und für 10 bis 15 Jahre „mit dem Rücken zur Wand“ stehen. Frankreich (als wichtiger Waffenexporteur beispielsweise nach Indien) und die Niederlande (bei der Halbleiterproduktion) seien bereits wichtige regionale Akteure. Japan sei zwar aus dem „Dornröschenschlaf“ aufgewacht und stärke seine Streitkräfte, doch habe es trotz seiner (wenn auch abnehmenden) wirtschaftlichen Bedeutung keine ordnungspolitische Macht. Indien werde im Westen gern als demokratisches Gegengewicht zu China wahrgenommen, doch habe Indien kein Interesse an Allianzen, die seinen Handlungsspielraum reduzierten.