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Aktuelle Stunde: Entwicklungen im Nahen Osten | 20. Bensberger Gespräche | bpb.de

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Aktuelle Stunde: Entwicklungen im Nahen Osten

Martin Bayer

/ 4 Minuten zu lesen

In der aktuellen Stunde wurden Entwicklungen im Nahen Osten, ihre Hintergründe und die unterschiedlichen Interessen der Staaten beleuchtet.

Für den Iran sei das Ende des Assad-Regimes ein großer Verlust, habe man doch lange in das System investiert, während nun ein regionaler Machtverlust hingenommen werden müsse, konstatierte Dr. Ali Fathollah-Nejad, Direktor des Center for Middle East and Global Order (CMEG) in Berlin. (© Bundeswehr/Caldas Hofmann)

Dr. Ali Fathollah-Nejad, Direktor des Center for Middle East and Global Order (CMEG) in Berlin, sah in seinem Beitrag zur aktuellen Lage im Nahen Osten den Sturz Assads in Syrien als „Kulmination des Arabischen Frühlings“ an. Die Hauptunterstützer des Assad-Regimes hätten andere Prioritäten: Russland den andauernden und ressourcenintensiven Krieg gegen die Ukraine, während dem Iran mit der Zerschlagung der Hisbollah die „Achse des Widerstands“ (die zusammen mit der Hamas und der Hisbollah gebildet wurde) verloren gegangen sei. Zudem habe das Assad-Regime die Unterstützung in der eigenen Armee nicht zuletzt aufgrund des schlechten Solds verloren. 10 bis 13 Prozent der syrischen Bevölkerung seien Alawiten, die auch das einstige Herrscherhaus stellten – es sei offen, wie die neuen Machthaber mit ihnen und anderen Minderheiten umgehen werden.

Für den Iran sei das Ende des Assad-Regimes ein großer Verlust, habe man doch mit hohen Krediten und kostenfreien Öllieferungen lange in das System investiert, während nun ein regionaler Machtverlust hingenommen werden müsse: In Syrien habe der Iran nun keinerlei Einfluss mehr, eine Umkehr der vorigen Lage. Russland werde sich hingegen auch mit den neuen Machthabern arrangieren, während die Rollen der USA und Israels zentral seien. Israel habe im September 2024 die Hisbollah zerschlagen; die beiden iranischen Angriffe auf Israel – unter Zugzwang aufgrund der israelischen Angriffe gegen die „Achse des Widerstands“ – seien wirkungslos geblieben, da die iranischen Raketen und Drohnen fast ausnahmslos zerstört werden konnten. In ihrem Gegenangriff schaltete die israelische Luftwaffe die gesamte iranische Luftabwehr aus und konnte somit frei agieren und gegen iranische Flughäfen, Öl- und Atomanlagen wirken.

Die Proteste in den Jahren 2017 bis 2019 im Iran seien aus der Unterschicht gekommen, die davor als Stütze des Regimes angesehen worden sei. Mehr als zwei Millionen Menschen beteiligten sich an den Protesten, erneut nach der Erhöhung der Energiepreise im November 2019. Die Niederschlagung dauerte mehr als drei Monate. Eine Nachfolgerregelung für den bald 86-jährigen „Obersten Führer“ Irans, Ali Chamenei, gebe es nicht. Zusammen mit den Revolutionsgarden bilde er nach wie vor eines der Machtzentren im Iran. Der seit 2024 amtierende Präsident Massud Peseschkian werde wie andere Präsidenten vor ihm vom Westen als „liberal“ gefeiert, doch sei er ein Ultrafundamentalist gewesen und gegenüber dem Regime absolut loyal. Letztendlich habe der Präsident im Iran keine Macht.

Fathollah-Nejad verwies auf mehrere strukturelle Probleme der Region: eine hohe Jugendarbeitslosigkeit, die Unbeschäftigung von Frauen und die höchste Diktaturendichte. Die Inflation im Iran betrage offiziell 50 Prozent, inoffiziell bereits 100 Prozent. Mit der Islamischen Revolution von 1979 sei der politische Islam auf die Welt gekommen. Trotzdem sei die iranische Gesellschaft die prowestlichste und proamerikanischste in der Region.

Beim Arabischen Frühling sei die zweite Welle zu wenig betrachtet worden, als in Algerien, Libyen, im Sudan und Iran soziale Gerechtigkeit und politische Partizipation eingefordert wurden. In Ägypten seien die Islamisten „die Trittbrettfahrer der Revolution“ gewesen: Die damalige US-Außenministerin Hillary Clinton sprach von einer ordentlichen Machtübergabe an die Muslimbruderschaft, die man als Stabilitätsfaktor verstanden habe; ähnlich habe die EU argumentiert.

In der anschließenden Diskussion kam auch die Frage nach der Rolle der Türkei in der Region auf, die von der Moderatorin Marion Sendker beantwortet wurde, die seit Jahren als Korrespondentin aus der Türkei berichtet: Die Türkei sei das einzige Land gewesen, das in Nordsyrien (auch außerhalb der kurdischen Regionen) aktiv war. Die Türkei habe großen Einfluss auf die in Syrien siegreiche Miliz Haiʾat Tahrir asch-Scham (HTS) und betrachte die von kurdischen Einheiten angeführten Syrian Democratic Forces (SDF) als Terroristen.

Fathollah-Nejad verwies darauf, dass es nach Abbruch der Nuklearvereinbarung durch die erste Trump-Administration zwei Aktionen durch den Iran gegeben habe: Erstens iranische Angriffe auf die Energieproduktion im Persischen Golf; so sei beispielsweise die saudische Ölproduktion nach einem iranischen Drohnenangriff halbiert worden – ohne, dass es zu einer Reaktion der USA gekommen wäre. Zweitens sei das iranische Atomprogramm hochgefahren worden, um (erfolgreich) Alarmismus in Europa auszulösen, damit schnellstmöglich wieder an den Verhandlungstisch zurückgekehrt werden könne. Es sei geradezu eine „Obsession mit der Atomfrage“ festzustellen, während der Iran beispielsweise das Mittelmeer als Teil der eigenen Einflusssphäre betrachte.

Auf die Frage nach dem Vorhandensein zivilgesellschaftlicher Träger in Syrien erinnerte Fathollah-Nejad an die zahlreichen syrischen Flüchtlinge in Deutschland, die auch entsprechende Organisationen aufgebaut hätten. Der Vortragende attestierte Präsident Trump zudem ein gutes Bewusstsein über die Quellen der US-Macht; der jordanische König habe nach einem Besuch bei Trump eingeschüchtert gewirkt, und vielleicht sei Trumps Ansatz zur Umsiedlung der Gaza-Bewohnenden auch auf die Erdgasvorkommen vor der Küste der Region bezogen. Jedenfalls solle das Abraham-Abkommen zur Normalisierung der Beziehungen zu Israel unter Trump auch auf Saudi-Arabien ausgedehnt werden.

Fussnoten

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