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Vortrag: Multilateralismus ohne Amerika? Mythos, Realität und Antworten auf Trump 2.0 | 20. Bensberger Gespräche | bpb.de

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Vortrag: Multilateralismus ohne Amerika? Mythos, Realität und Antworten auf Trump 2.0

Claudia Sica

/ 3 Minuten zu lesen

Der Vortrag behandelte das Vorgehen des US-Präsidenten Trump in seiner ersten Amtszeit und hinterfragte diesbezügliche Wahrnehmungen. Hieraus wurden mögliche Reaktionen auf seine zweite Amtszeit miteinander abgewogen.

In der Sicherheitspolitik sollten europäische Regierungen mehr Eigenverantwortung übernehmen und gleichzeitig versuchen, die USA zum Verbleib in multilateralen Institutionen zu motivieren, so Dr. des. Tim Heinkelmann-Wild, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Geschwister-Scholl-Institut für Politikwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München (© Bundeswehr/Caldas Hofmann)

In seinem Vortrag verwies Dr. des. Tim Heinkelmann-Wild, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Geschwister-Scholl-Institut für Politikwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München, zunächst auf die derzeitige Besorgnis in Deutschland und Europa über die Zukunft der regelbasierten multilateralen Ordnung: Seit dem Beginn der zweiten Amtszeit von US-Präsident Trump habe dieser in rascher Folge Maßnahmen veranlasst, in denen er sich von multilateralen Abkommen oder Institutionen abwende oder deren Unterstützung an konkrete Zugeständnisse knüpfe.

Heinkelmann-Wild stellte in diesem Zusammenhang vier verbreitete Mythen und Annahmen zur Abkehr der USA von der liberalen Weltordnung in Trumps erster Amtszeit vor:

Ein erster Mythos besage, dass Trumps Rückzug aus multilateralen Institutionen ein neues Phänomen sei; doch dies sei vielmehr der vorläufige Höhepunkt einer historischen Entwicklung. Finanzielle, militärische und politische Ressourcen ermöglichten den USA seit 1945 immer wieder, internationale Ordnungen zu schaffen, aufrechtzuerhalten und auch wieder zu verlassen, wie die Beendigung der UNESCO-Mitgliedschaft unter Ronald Reagan oder die vollständige Budgetkürzung der UNESCO durch Barack Obama zeigten. Die USA seien in der Lage, entsprechende Reputations- und materielle Kosten zu absorbieren und ihre Ziele auf alternativen Wegen zu verfolgen.

Ein zweiter Mythos unterstelle, der Rückzug aus Institutionen oder Verträgen folge erratischen oder irrationalen Motiven. Tatsächlich basierten Trumps Entscheidungen nach Einschätzung von Heinkelmann-Wild jedoch auf strategischen Überlegungen, die denen vorheriger Präsidenten sehr ähnlich seien: Trump zog die USA vor allem aus Institutionen zurück, in denen diese geringen Einfluss hätten, wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der UN-Menschenrechtsrat (UNHRC). Dagegen blieben die USA Teil internationaler Organisationen, in denen sie Gestaltungsmacht (NATO, Weltbank) oder institutionelle Verhinderungsmacht über Vetorechte besäßen, wie die Welthandelsorganisation (WTO) und die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD).

Ein dritter Mythos argumentiere, der Rückzug der USA führe zum Scheitern multilateraler Institutionen. Während einige Institutionen – wie das UN-Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) – in der ersten Amtszeit Trumps tatsächlich kollabierten und das Atomabkommen mit dem Iran nach dem Ausstieg der USA scheiterte, zeigten andere UN-Organisationen wie der Bevölkerungsfonds (UNFPA) Resilienz, da ihm viele Mitgliedsstaaten treu blieben und ihre Beiträge sogar erhöhten.

Ein vierter Mythos behaupte, nichtwestliche Mächte wie China oder Russland würden das durch den Rückzug der USA gebildete Machtvakuum füllen. Tatsächlich übernähmen aber, so Heinkelmann-Wild, westliche Mächte, insbesondere die EU, entsprechende Verantwortung (beispielsweise für das Pariser Klimaabkommen).

Im Anschluss diskutierten die Teilnehmenden mögliche Antworten Europas auf Trump 2.0 und wogen Vor- und Nachteile von „Appeasement“ (Zugeständnisse machen, beschwichtigen) und „Substitution“ (Verteidigung multilateraler Institutionen gegen die USA, als alternative Führung einspringen) gegeneinander ab. Heinkelmann-Wild fasste das europäische Dilemma zusammen: Das Bewahren der transatlantischen Partnerschaft könne den Verrat an multilateralen Prinzipien bedeuten, das Festhalten an multilateralen Prinzipien könne wiederum die Sicherheit Europas gefährden und Gegenmaßnahmen der USA provozieren. Dieses Dilemma werde in der zweiten Amtszeit Trumps verstärkt, unter anderem durch das Infragestellen gemeinsamer Wertevorstellungen, den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und die globale Machtdiffusion durch weitere aufsteigende Mächte wie die BRICS-Staaten.

Als Handlungsoptionen sollten europäische Regierungen mehr Eigenverantwortung in der Sicherheitspolitik übernehmen und die USA zum Verbleib in multilateralen Institutionen motivieren, beispielsweise durch den Anstoß von Reformen und einer breiteren Verteilung der finanziellen Verpflichtungen. Wo Trumps Forderungen aber gegen Grundprinzipien der liberalen Weltordnung verstoßen, sollten die Zugeständnisse Europas enden; hierbei sei ein geschlossenes Auftreten Europas entscheidend.

Vortrag: Dr. des. Tim Heinkelmann-Wild, Geschwister-Scholl-Institut für Politikwissenschaft, Ludwig-Maximilians-Universität München

Moderation: Natali Rezwanian-Amiri, Gesellschaft der Europahäuser und Europäischen Akademien e.V.

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