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Vortrag: Demokratien unter Druck? | 20. Bensberger Gespräche | bpb.de

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Vortrag: Demokratien unter Druck?

Martin Bayer

/ 3 Minuten zu lesen

Der Vortrag untersuchte die Verbreitung von Demokratien anhand von Demokratiemodellen und Indizes und thematisierte den Umgang mit den gegenwärtigen Herausforderungen an die Demokratie.

Zwar sei bei den etablierten Demokratien durchaus ein kleiner Abschwung der Demokratieindizes in den letzten 10 bis 15 Jahren festzustellen, doch sei dieser nicht so groß, wie er oft wahrgenommen oder auch dargestellt würde, so Prof. Dr. Andreas Busch vom Institut für Politikwissenschaft an der Universität Göttingen. (© Bundeswehr/Caldas Hofmann)

In seinem Vortrag „Demokratien unter Druck?“ stellte Prof. Dr. Andreas Busch vom Institut für Politikwissenschaft an der Universität Göttingen diverse Wahrnehmungen und Fakten zur Entwicklung der Demokratie im 20. und 21. Jahrhundert vor. Die liberale Demokratie des Westens sei zentraler Baustein der liberalen Weltordnung, die zwar lange dominant gewesen sei, doch zunehmend unter Druck gerate.

Im 20. Jahrhundert habe sich die Demokratie weltweit ausgebreitet als auch funktional verstärkt. Es hätten zwar immer auch Gegenbewegungen existiert, wie sich auch an vielen kurzlebigen Demokratien nach dem Ersten Weltkrieg zeige, doch zum Ende des letzten Jahrhunderts habe es deutlich mehr Demokratien gegeben, während diese gleichsam im Inneren demokratischer geworden seien. Derzeit sei hingegen ein empirischer Rückgang der Demokratie in Zahl und Qualität zu beobachten: Waren im Jahr 2007 noch 123 von 193 Staaten demokratisch, kann dies im Jahr 2023 nur noch von 110 von 195 gesagt werden.

Eine zentrale Frage beträfe die Definition der Demokratie und die damit einhergehenden empirischen Maßstäbe. Als Möglichkeit der Klassifikation bot Busch drei Modelle an: ein „minimales“ mit fairen Wahlen als Kern; ein „mittleres“ mit darüber hinausgehenden Aspekten wie Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenkontrolle und weiteren politischen Partizipationsrechten (nach der die Demokratie als regelgebunden-systemische Ergebnisoffenheit gesehen werden könne); und ein „maximalistisches“ Modell mit weiteren Leistungen wie sozialstaatlichen Garantien und sozioökonomischer Absicherung. Busch empfahl die Konzentration auf das mittlere Modell, da viele weitergehende Leistungen auch von Diktaturen erbracht werden könnten, wohingegen zu hohe Hürden für den Erfolgsmaßstab von Demokratien diese wiederum schwächen würden.

Busch untersuchte die attestierten Probleme der liberalen Demokratien wie Erosion demokratischer Normen, Vertrauens- und Partizipationsrückgang sowie Populismus und politische Polarisierung. Analysiere man jedoch etablierte Demokratien in Nordamerika, Westeuropa und Ozeanien mittels des umfangreichen Langzeitforschungsprojekts „Varieties of Democracy“ der Universität Göteborg, so stelle man fest, dass nach dem Aufschwung der Demokratieindizes im 20. Jahrhundert zwar ein kleiner Abschwung in den letzten 10 bis 15 Jahren stattgefunden habe; dieser sei jedoch nicht so groß, wie er oft wahrgenommen oder auch dargestellt würde. Nicht zuletzt die deutsche Demokratie sei enorm krisenfest, was sich auch im Umgang mit den massiven Konflikten der früheren Bundesrepublik gezeigt habe, die keinesfalls zur Destabilisierung des Systems geführt hätten.

In der intensiven Diskussion mit den Teilnehmenden wurde auch angesprochen, ob man von der Situation Polens unter und nach der EU-kritischen PiS-Regierung lernen könne? Nach Busch war für die Abwahl der PiS (Prawo i Sprawiedliwość, deutsch „Recht und Gerechtigkeit“) eine glaubwürdige Führungsfigur und die Neutralisierung problematischer Themen bis nach der Wahl zentral. In Deutschland gäbe es jedoch kein Übereinkommen der Mitte-Parteien gegen die extremistischen Ränder, vielmehr beteiligten sich erstere an der gesellschaftlichen Spaltung. Laut Busch gäbe es keinen Rechtsruck in der Bevölkerung, vielmehr habe sich das Angebot im Politikbereich verändert. Kritik an der EU käme auch nicht notgedrungen von den rechten Rändern; so werde die EU im Vereinigten Königreich auch dezidiert von linker Seite als Projekt des Großkapitals kritisiert. Anders als beim ersten Aufkommen der Alternative für Deutschland (AfD) in den Landesparlamenten und im Bundestag habe sich die Partei inzwischen professionalisiert. Ein Parteiverbot sehe er als sinnlos an, doch solle man den Umgang mit ihr überdenken: Man könne nicht dauerempört reagieren, vielmehr solle man den lauten Meinungen Weniger nicht so viel Diskursraum geben, der sie aufwerte. Busch vertraue jedenfalls weiterhin auf die Stabilität unserer letztendlich offenen und inklusiven Gesellschaft.

Vortrag: Prof. Dr. Andreas Busch, Institut für Politikwissenschaft, Universität Göttingen

Moderation: Stephanie Böhm, Akademie Frankenwarte, Würzburg

Fussnoten

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