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Vortrag und Diskussion: Verstöße gegen die internationale regelbasierte Ordnung und Sanktionsregime | 20. Bensberger Gespräche | bpb.de

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Vortrag und Diskussion: Verstöße gegen die internationale regelbasierte Ordnung und Sanktionsregime

Martin Bayer

/ 4 Minuten zu lesen

Der Vortrag thematisierte Sanktionen als außenpolitisches Mittel und betrachtete Optionen, Wirksamkeit und Legitimität dieser Maßnahmen.

Prof. Dr. Christian von Soest, Leiter des Forschungsschwerpunkts „Frieden und Sicherheit“ am German Institute for Global and Area Studies (GIGA) in Hamburg, konstatierte ein „Zeitalter der Sanktionen“: Noch nie habe es so viele Sanktionen wie im 21. Jahrhundert gegeben. (© Bundeswehr/Caldas Hofmann)

Noch vor dem Vortrag „Verstöße gegen die internationale regelbasierte Ordnung und Sanktionsregime“ fragte die Journalistin und Moderatorin der 20. Bensberger Gespräche Marion Sendker die Teilnehmenden nach ihrer Einschätzung zur Wirksamkeit von Sanktionen: Zwei Drittel hielten sie für eine „mächtige Waffe“, ein Drittel für eine „hilflose Methode“, wobei dem Publikum eine eindeutige Festlegung vorgegeben war.

Noch vor dem Vortrag fragte die Moderatorin Marion Sendker die Teilnehmenden nach ihrer Einschätzung zur Wirksamkeit von Sanktionen. (© Bundeswehr/Caldas Hofmann)

Prof. Dr. Christian von Soest, Leiter des Forschungsschwerpunkts „Frieden und Sicherheit“ am German Institute for Global and Area Studies (GIGA) in Hamburg, konstatierte ein „Zeitalter der Sanktionen“: Noch nie habe es so viele Sanktionen wie im 21. Jahrhundert gegeben, mit rund 200 Sanktionsprogrammen (davon 48 von der EU) gegen 70 Länder (davon 33 von der EU). Die US-amerikanische Sanktionsliste SDN (Specially Designated Nationals and Blocked Persons List), die sanktionierte Personen und Unternehmen aufführt, verfüge über fast 65.000 Einträge, eine ähnliche der EU fast 5.300. Der UN-Sonderberichterstatter zu den negativen Auswirkungen einseitiger Zwangsmaßnahmen (2015-2020) Idriss Jazairy erinnerte daran, dass ein Drittel der Menschheit in Ländern lebe, die solchen Maßnahmen ausgesetzt seien. Verhängungsgründe für solche Sanktionen seien unter anderem Kriege und Konflikte sowie die Proliferation von Massenvernichtungswaffen.

In der Öffentlichkeit würden Sanktionen oft mit umfassenden Sanktionen (also einem vollständigen Handelsembargo) gleichgesetzt werden, doch dies sei nicht die Realität. Vielmehr handle es sich in der Regel um sektorspezifische Sanktionen, beispielsweise um ein Waffenembargo, Finanzsanktionen oder die Sperrung von Entwicklungshilfe.

Der Erfolg von Sanktionen sei auch in der Wissenschaft durchaus umstritten. Nach der Studie von Hufbauer/Schott/Elliott/Oegg (2007) seien 34 Prozent aller Wirtschaftssanktionen zumindest teilweise erfolgreich. Andere Studien kämen zu deutlich geringeren Erfolgsquoten (Pape 1997; Drury 1998), wieder andere (Dresner 2000/2003; Blake/Klemm 2006) zu höheren.

Die drei großen Funktionen von Sanktionen (nach Giumelli, 2011) seien die Verhaltensänderung (coercing), die Einschränkung des Handlungsspielraums (constraining) und die Bekräftigung völkerrechtlicher Normen als Unterstützungssignal (signalling). Die Stabilitätsbedrohung eines sanktionierten Regimes ließe sich direkt oder indirekt (beispielsweise durch die Wirkung einer dortigen Opposition) erhöhen.

Betrachte man die aktuellen Sanktionen gegen Russland, so handle es sich erstens um sektorspezifische Sanktionen wie Embargos wichtiger Güter (beispielsweise Technologie, Energieträger oder Waffen) und Finanzsanktionen (Wirkung auf die Devisenreserven, Ausschluss von russischen Banken aus dem SWIFT-System (Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication)); zweitens seien individuelle Sanktionen erhoben worden, beispielsweise das Einfrieren von Vermögenswerten, Kontosperrungen oder Einreiseverbote.

Als Fazit betrachtete von Soest Sanktionen als ein zentrales Mittel der Außenpolitik, auch wenn ihre Legitimität hoch umstritten sei, insbesondere bei unilateralen Sanktionen. Die hierbei eingesetzten Zwangsmaßnahmen seien umfassender geworden, beispielsweise gegen Länder wie Syrien, Russland, Nordkorea oder Iran. Die Erfolgsaussichten bezüglich gewünschter Verhaltensänderungen seien jedoch nicht zu überschätzen; vielmehr wirkten Sanktionen eher in den beiden anderen Bereichen des constraining und signalling. Sanktionen zeigten ebenfalls durchaus Wirkung, sofern sie mit anderen außenpolitischen Instrumenten eingesetzt würden, beispielsweise Diplomatie, humanitärer Hilfe oder auch Waffenlieferungen.

In der Zukunft werde es nach von Soest vermutlich noch mehr Sanktionen geben, insbesondere Individualsanktionen gegen Personen und Unternehmen sowie Finanzsanktionen (aufgrund der internationalen Verflechtung des Finanzwesens). Sanktionen seien weiterhin zeitgemäß, sofern man sie sparsam und gezielt einsetze. Ebenso wurde auf die unscharfe Trennung zwischen Sanktionen und Ausfuhrkontrollen hingewiesen.

In der Diskussion erinnerte von Soest daran, dass die Umsetzung von (Waffen-)Embargos oft ein zentrales Problem sei; so seien Kleinwaffenembargos kaum durchsetzbar. Bei der Analyse der Sanktionen gegen Russland seit dem Angriff auf die Ukraine hätten viele angenommen, dass die Maßnahmen einen größeren wirtschaftlichen Effekt hätten; bei einer vollständigen Durchsetzung hätte es jedoch zu massiven Kosten in Europa (Abhängigkeit vom russischen Gas) und ebensolchen Folgen für die russische Bevölkerung geführt. Das vollständige Verbot russischer Energieexporte hätte nur die globalen Energiepreise in die Höhe getrieben; vielmehr wollte man, dass das russische Öl auf dem Markt bleibe, jedoch zu einem geringeren Verkaufspreis, wovon unter anderem Indien profitiere. Allerdings würde sich Russland immer wieder schnell an die Sanktionen anpassen, beispielsweise mit seiner „Schattenflotte“ – diese gelte es nun zu sanktionieren.

Autoritäre Regimes seien oft gewillt, hohe Kosten für die eigene Bevölkerung in Kauf zu nehmen (die wiederum weniger Reaktionsmöglichkeiten habe), wie sich auch an den langen Sanktionen gegen Kuba zeige, die nicht zu einem Regimewechsel geführt hätten. Im Falle des damaligen Apartheidstaats Südafrika sei die Situation durch den Ausschluss aus dem internationalen Sport stark in die Bevölkerung hineingetragen worden. Sekundärsanktionen, die nicht direkt das Sanktionsziel adressierten, sondern Dritte, seien hoch umstritten (beispielsweise dürften Unternehmen, die mit Iran zusammenarbeiten, nicht mehr mit den USA Geschäfte eingehen): In der EU seien sie negativ konnotiert, auch wenn es zunehmend einige ausgewählte Sekundärsanktionen gegen Unternehmen gebe, die explizites sanction busting (Umgehen von Sanktionen) betrieben. Letztendlich seien Sanktionen aber immer nur ein Mittel; wirksamer sei oft ein Wechselspiel mit positiven Anreizen.

Fussnoten

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