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Podiumsdiskussion: Alte und neue Allianzen: Aspekte internationaler Machtverschiebungen | 20. Bensberger Gespräche | bpb.de

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Podiumsdiskussion: Alte und neue Allianzen: Aspekte internationaler Machtverschiebungen

Martin Bayer

/ 4 Minuten zu lesen

In der Podiumsdiskussion wurden die Veränderungen im Machtgefüge von Staaten und Bündnissen thematisiert, wie auch der Einfluss und die Möglichkeiten deutscher Außenpolitik.

Teilnehmende der Podiumsdiskussion (v. l. n. r.): Prof. Dr. Daniela Schwarzer von der Bertelsmann Stiftung; Thorsten Benner, Direktor am Global Public Policy Institute; Prof. Dr. Miriam Prys-Hansen vom German Institute for Global and Area Studies; Prof. em. Dr. Wilfried von Bredow der Universität Marburg; Moderation Marion Sendker. (© Bundeswehr/Caldas Hofmann)

Die Journalistin Marion Sendker, Moderatorin der 20. Bensberger Gespräche, stellte zu Beginn der Diskussion „Alte und neue Allianzen: Aspekte internationaler Machtverschiebungen“ die Frage nach dem „Wir“: Sei dies noch die EU, oder gäbe es dort gar keine Einheit mehr? Prof. Dr. Daniela Schwarzer, Vorständin der Bertelsmann Stiftung in Berlin, unterstrich den Wunsch nach mehr Einheit, doch sei dies in einer EU aus 27 Mitgliedsstaaten nicht immer möglich. Vielmehr werde der Euro-Raum als Kern Gemeinsamkeiten voranbringen. Die EU werde nicht zerfallen; eine Vertragsreform bliebe aber eher unwahrscheinlich. Die engere Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich zwischen den meisten EU- und NATO-Staaten unter PESCO (Permanent Structured Cooperation) habe erst klein begonnen, doch dann wollten sich immer mehr Staaten beteiligen. Die EU werde mit Drittstaaten pragmatisch kooperieren: So habe man mit dem Vereinigten Königreich einen Kernstaat der EU verloren, doch innerhalb der NATO sei die Zusammenarbeit sehr gut.

Auf die Frage nach der Zukunft der EU unterstrich Prof. Dr. Daniela Schwarzer, Vorständin der Bertelsmann Stiftung, den Wunsch nach mehr Einheit, doch sei dies in einer EU aus 27 Mitgliedsstaaten nicht immer möglich. Vielmehr werde der Euro-Raum als Kern Gemeinsamkeiten voranbringen. (© Bundeswehr/Caldas Hofmann)

Prof. em. Dr. Wilfried von Bredow vom Institut für Politikwissenschaft an der Universität Marburg bezeichnete die NATO als die tragende Säule des transatlantischen Projekts und als historisch langlebige und formbare Organisation. Auch schon vor dem Ende des Kalten Krieges habe es Konflikte innerhalb des Bündnisses gegeben. Neben den Sonderinteressen der Türkei seien die Interessen der West- und Osteuropäer innerhalb der NATO verschieden, zwischen denen Deutschland nicht nur geographisch stünde. Viel zu lange hätten sich die Europäer hingegen auf die Fähigkeiten der USA verlassen, während sich das Vorgehen Russlands nicht erst seit dem Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 gezeigt habe, sondern auch schon im Krieg mit Georgien im Jahr 2008 und bei der Annexion der Krim im Jahr 2014. Die Herausforderung durch China sei zuallererst ein Thema für die USA, aber auch Europa werde sich dazu positionieren müssen. Trotz kleinerer Ansätze wie PESCO sah Bredow noch keine Fähigkeiten Europas, militärisch tatsächlich eigenständig auftreten zu können. Bei aller Beständigkeit der NATO bestünde die Gefahr, dass die USA das Gefüge zerstörten.

Thorsten Benner, Direktor des Global Public Policy Institutes (GPPi) in Berlin, erinnerte daran, dass die regelbasierte Ordnung auch immer eine machtbasierte Ordnung gewesen sei; die größte Macht USA habe aber lange die liberale Weltordnung garantiert, doch statt der Stärke des Rechts präferiere man unter Trump nun das Recht des Stärkeren. So wandle sich die USA derzeit von einer Schutzmacht zu einem reinen Machtanspruch, was sich auch in den Ansätzen gegenüber Grönland, Kanada, dem Gazastreifen und dem Panamakanal zeige. Viele der internationalen Regelwerke seien bisher keinem Stresstest unterzogen worden: So sei Litauen aus dem Ottawa-Abkommen wieder ausgetreten, das die Herstellung, Lagerung, Weitergabe und vor allem den Einsatz von Antipersonenminen verbietet – doch letztere können für die Verteidigung gegen einen starken Gegner überaus effektiv sein. Auch seien die Möglichkeiten ungeklärt, gegen die Angriffe auf Unterseekabel vorzugehen, die zumeist in internationalen Hoheitsgewässern liegen. Dem aktuellen Bundestagswahlkampf attestierte Benner „surrealen Eskapismus“, würden doch weder die Sicherheit Deutschlands ohne US-amerikanischen Schutz noch die Rolle Chinas diskutiert.

Prof. Dr. Miriam Prys-Hansen, Leiterin des Forschungsschwerpunkts „Globale Ordnungen und Außenpolitiken“ am Hamburger German Institute for Global and Area Studies (GIGA), sah einen wachsenden Transaktionalismus in einer global zunehmenden interessensbasierten Außenpolitik. Ein Beispiel hierfür sei die Multivektor-Außenpolitik Indiens: Man sei für alles offen, würde aber immer den eigenen Interessen folgen. Auf diese Weise könne Indien gemeinsam mit China innerhalb von BRICS auftreten (dem ursprünglich aus Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika gebildeten Staatenbund mit inzwischen zehn Mitgliedsstaaten), trotz des Grenzkonflikts zwischen beiden Staaten; und obwohl einer der primären Ansätze von BRICS die Zerschlagung der US-Hegemonie sei, argumentierte der indische Premierminister Modi (nach der Drohung von US-Präsident Trump, BRICS-Waren mit 100 Prozent Zoll zu belegen, sollte der Staatenbund eine eigene Währung anstreben) , dass BRICS nichts in dieser Richtung unternehmen werde.

Laut von Bredow sei ein Gegensatzpaar aus interessenbasierter und wertebasierter Außenpolitik wenig zielführend, denn auch Werte müssten an Interessen gebunden werden. Die Vorstellung, dass unsere Werte wie Demokratie als die überlegenen letztendlich siegen werden, habe wenig mit realistischer Analyse als mit Wunschdenken gemeinsam. Geld als Anreiz habe ebenso wenig funktioniert und nur zur Fortsetzung von Korruption und Heuchelei geführt. Prys-Hansen zitierte einen Botschafter des Globalen Südens: Spreche man mit Deutschland, erhalte man einen Vortrag; spreche man mit China, bekomme man einen Flughafen.

In der angeregten Diskussion verwies Benner auf den damaligen und kürzlich verstorbenen Bundespräsidenten Köhler, der aufgrund seiner Äußerung, die internationalen Seewege seien für deutsche Interessen zu sichern, massiv kritisiert wurde und daraufhin im Jahr 2010 zurücktrat. Es sei sinnvoll, von deutschen Interessen offen zu reden (und nicht nur verbrämt von „Verantwortung“), auch, um dies nicht den Parteien an den politischen Rändern zu überlassen. Schwarzer argumentierte, dass sich durch das Staatenbündnis BRICS zwar neue Dynamiken ergeben würden; dieses jedoch keine klassische Allianz sei, da die Interessen der Einzelstaaten zu sehr divergierten. Laut von Bredow habe sich Deutschland am Aufbau des Internationalen Strafgerichtshofs intensiv beteiligt, doch heute sei es zunehmend bedeutungsärmer. Das Ende des Kalten Krieges sei keine Weltrevolution gewesen, sondern ein Strukturwandel des internationalen Systems; Veränderungen auf dieser Ebene seien eher minimal und mühselig, was im innenpolitischen Diskurs in Deutschland oft ausgeblendet werde.  

Fussnoten

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