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Die Rolle von Desinformation und "Fake News" | 18. Bensberger Gespräche 2023 | bpb.de

18. Bensberger Gespräche 2023 Einführende Bemerkungen Eröffnungsvortrag: Gedanken zum Verständnis und zu den Auswirkungen des Ukrainekrieges Podiumsdiskussion: Von der Friedens- zur Konfliktordnung? Perspektiven für eine (neue) europäische Sicherheitsstruktur Vortrag und Bilder des (Foto-)Journalisten Till Mayer Workshop 1: Die europäische "Zeitenwende" aus der Sicht Ostmitteleuropas Workshop 2: NATO, EU und die transatlantische Perspektive Workshop 3: Verteidigungs- und Wertediskussion in Deutschland: Dienen wofür? Workshop 4: Audiovisuelle Materialien für die politische Bildung Workshop 5: Der Schutz kritischer Infrastrukturen Workshop 6: Die Sicht Russlands Die Rolle von Desinformation und "Fake News" Politische Bildung in der "Zeitenwende": Was kann politische Bildung in Zeiten des Krieges leisten?

Die Rolle von Desinformation und "Fake News" Vortrag und Diskussion

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In Kurzvorträgen informierte zunächst Julia Smirnova, Senior Analyst beim Institute for Strategic Dialogue, über Akteure, Strategien und Formen der Desinformation und Propaganda im Kontext des Krieges. Anschließend stellten Vertreter/-innen vom Dezernat Propaganda Awareness im Zentrum Operative Kommunikation der Bundeswehr die Bedeutung von Desinformation für die deutschen Streitkräfte vor.

Major Moritz Bock stellte fest, dass politische Bildung in der Bundeswehr gefragter denn je sei, um die Soldatinnen und Soldaten in die Lage zu versetzen, Informationen einzuordnen und zu bewerten. (© Bundeswehr/Hunold)

Die russische Propaganda-Offensive habe bereits vor dem eigentlichen militärischen Angriff auf die Ukraine begonnen, so Smirnova. Russland stellte sich selbst als Beschützer der Menschen im Donbas dar, und die Ukraine wurde als von Nazis durchsetzt beschrieben. Ziel der russischen Desinformationen sei es, die westliche Unterstützung der Ukraine zu schwächen und die Gesellschaften zu spalten.

Relevante Akteure in Bezug auf Desinformation und Propaganda seien zum einen ausländische (vor allem russische) Akteure wie Regierungsvertreter/-innen, staatliche und private staatsnahe Medien, verdeckte staatliche Netzwerke und private Firmen. Zum anderen seien auch einheimische Akteure wie Parteien, Politiker/-innen, extremistische Gruppen und Influencer/-innen aktiv. Es sei nicht immer einfach, die Akteure und Verantwortlichkeiten zuzuordnen, gerade bei den privaten staatsnahen Medien in Russland, so Smirnova. In Russland spielten außerdem Formen der Zensur und der eingeschränkte Zugang zu unabhängigen Informationen eine wichtige Rolle. Die Propaganda- und Desinformationskampagnen seien dort bei einem Großteil der Bevölkerung sehr erfolgreich.

In der Ukraine gebe es viele Fälle von Online-Manipulation, Doxing (Veröffentlichen persönlicher Daten) von Militärangehörigen und neue Propaganda-Medien in den besetzten Gebieten. Die russische Propaganda sei dort jedoch deutlich weniger erfolgreich als 2014. Die Kampagnen zielten darauf ab, Panik zu säen; in den ersten Kriegstagen hieß es, der Krieg sei schon verloren, und es lohne sich nicht zu kämpfen. Die russische Armee wurde als Beschützer und Befreier präsentiert. In den besetzten Gebieten wurde schnell die Kommunikation übernommen und neue Medienseiten und Nachrichtenkanäle wurden eingerichtet.

Kurz nach Beginn des Krieges wurden die Seiten und Profile der staatlichen russischen Auslandsmedien in der EU unzugänglich gemacht, was zu einem starken Rückgang der Zugriffszahlen führte. Diese Verbote würden auf verschiedenen Wegen umgangen, etwa mit Mirror-Domains, Copy-Paste-Websites oder mit Ausbau der Online-Präsenz auf alternativen Plattformen.

Das russische Staatsmedium RT DE war bereits vor dem Beginn des Krieges eine beliebte Informationsquelle in Online-Communities von "Verschwörungsinfluencer/-innen und Covid-19-Skeptiker/-innen", aber auch von Teilen der russischsprachigen Bevölkerung in Deutschland. Die Propaganda knüpfe an deren generelles Misstrauen gegenüber etablierten Medien an, so Smirnova. Bereits in den Monaten vor dem Beginn der russischen Invasion teilten die entsprechenden Facebook-Gruppen auch russische Desinformationen über die Ukraine.

Eine weitere Herausforderung seien Kreml-freundliche Influencer/-innen. Allein zwölf westliche Influencer/-innen berichteten aus den besetzten Gebieten der Ukraine, sie verfügten im Mai 2022 zusammen über 1,57 Mio. Follower. Ihre Posts wurden von russischen Staatsmedien, russischen Beamten, aber auch von Persönlichkeiten in anderen Ländern wie China, Venezuela und Südafrika geteilt und verstärkt.

Die russische Propaganda und Desinformation zielen auf breitestmögliche Wirkung und verfolgen dabei verschiedene Taktiken: Sie nutzen Schlupflöcher in der Moderation oder in Empfehlungssystemen der Plattformen, formulieren Überschriften bewusst uneindeutig. Sie eignen sich die Faktencheck-Sprache an, um seriöse Nachrichtenquellen zu diskreditieren und Desinformationen zu verbreiten. Sie bauen Netzwerke von muttersprachlichen Übersetzer/-innen auf, wenden Doxing und Identitätsdiebstahl an, gefälschte Unterlagen und manipulierte Video-Inhalte werden verbreitet. Auch seriöse Medien werden gefälscht und unter ähnlichen Domain-Namen veröffentlicht.

Es werden Narrative verbreitet, die Anklang bei den jeweiligen Zielgruppen finden. Dazu gehören: Verunglimpfung der Ukraine als Nazi-Regime, falsche Anschuldigungen, die Ukraine bereite den Einsatz von Massenvernichtungswaffen vor, Anti-NATO-Stimmung, Leugnung der russischen Gräueltaten in der Ukraine, man dockt an Debatten um Inflation und steigende Energiepreise an, oder in Afrika an antikoloniale Narrative.

Zusammenfassend sagte Julia Smirnova, dass Russland erhebliche Ressourcen für Propaganda einsetze. Es seien jedoch auch heimische Akteure involviert, die häufig viel effizienter arbeiteten. Es reiche keinesfalls aus, russische Staatsmedien zu sperren. Nicht alles sei reine Desinformation, oft handle es sich um eine Mischung mit wahren Nachrichten bzw. eine gezielte Auswahl oder Dekontextualisierung. Ziel der Kampagnen sei es, wunde Punkte und bestehende Spaltungen in Gesellschaften zu finden und zu verstärken. Aus Smirnovas Sicht könne man diese Kampagnen nicht nur mit Faktenchecks bekämpfen, sondern es handele sich um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Es gehe darum, Medienkompetenz und politische Bildung zu stärken, in den Schulen, aber auch für Erwachsene.

Auf die Nachfrage, ob Künstliche Intelligenz (KI) helfen könne, gegen Propaganda vorzugehen, antwortete Julia Smirnova, dass diese sowohl Propaganda-Akteuren helfen könne als auch der Bekämpfung dienen könne. Es seien schon viele Fakes erkannt worden, doch KI könne Nachrichten nicht sauber in richtig oder falsch unterscheiden.

Befragt zur Rolle und Empfänglichkeit der russischsprachigen Community in Deutschland, sagte Smirnova, dass besonders ältere Menschen anfällig für die Propaganda seien, die auch vorher schon russische Staatsmedien, vor allem Fernsehen, konsumiert hätten, doch auch viele jüngere informierten sich aus russischsprachigen Quellen. Man dürfe die Menschen jedoch nicht unter Generalverdacht stellen. Eine Möglichkeit sei es, ihnen gezielt Bildungsangebote zu machen und ihnen zum Beispiel auch russischsprachige staatskritische Medien vorzustellen. Dies berge auch die Chance, dass sie in ihre Communities hineinwirken.

Die Rolle von Desinformation und "Fake News" für die Bundeswehr

Oberstleutnant Patricia Horwath gab einen Einblick in die Erkenntnisse des Dezernats in Bezug auf China: Der Großteil chinesischer Botschaften diene der positiven Selbstinszenierung. (© Bundeswehr/Hunold)

Das Zentrum Operative Kommunikation der Bundeswehr betrachte das Informationsumfeld weltweit, so Oberstleutnant Thomas Berger. Es werde vor allem Open Source Medienanalyse betrieben, um Konflikte frühzeitig zu erkennen und Aspekte, die für die deutschen Streitkräfte relevant sind, abzuleiten. Die Ergebnisse fließen in das militärische Gesamtlagebild ein. Seit der Annexion der Krim durch Russland werde der Blick verstärkt auch auf das deutschsprachige Informationsumfeld gerichtet. Denn externe staatliche Akteure wie Russland wirkten auch im deutschsprachigen Raum. Das Dezernat Propaganda Awareness sei gegründet worden, um hier eine Fähigkeitslücke zu schließen und nach Deutschland hineinwirkende Desinformation und Propaganda externer staatlicher Akteure zu analysieren. Bisher habe das Dezernat einen experimentellen Charakter, in Zukunft wolle man aber Bedarfsträger der Streitkräfte mit Expertise unterstützen, um Abwehr- und Resilienzmaßnahmen gegen Propaganda und Desinformation zu entwickeln, so Berger.

Major Moritz Bock stellte erste Ergebnisse in Bezug auf russische Desinformation vor. Russische Propaganda in Deutschland sei kein neues Phänomen. Im Gegenteil, Deutschland stehe sogar besonders im Fokus. Ziel der Propaganda sei es, die Gesellschaft zu spalten, die Regierung zu delegitimieren und (Existenz-)Ängste zu schüren. Die Bundeswehr sei dabei ein "Vehikel" russischer Propaganda und werde mit einem repressiven Staat assoziiert, der Einsätze gegen die eigene Bevölkerung vorbereite. In Litauen habe es zum Beispiel erste Desinformationsangriffe gegeben. Dort wurden Posts veröffentlicht, die behaupteten, deutsche Soldaten hätten ein litauisches Mädchen vergewaltigt. Auch gefälschte Bilder von deutschen Kommandeuren neben russischen Offiziellen seien aufgetaucht. So solle Misstrauen gegen die Bundeswehr geschürt werden. Außerdem seien Soldatinnen und Soldaten ein mittelbares Ziel, "erfolgreiche" Propaganda könne also den Einsatzwert der Streitkräfte verringern.

Handlungsmöglichkeiten, um dem entgegenzuwirken, seien zum Beispiel eine verbesserte Sensibilisierung der Soldatinnen und Soldaten für russische Propaganda. Hier gebe es noch erheblichen Aufholbedarf, besonders bei Mannschaften und Unteroffizieren, so Bock. Außerdem sollte eine verstärkte Ausbildung in Medienkompetenz mit einem Schwerpunkt auf Soziale Medien stattfinden, denn jeder werde dort zum Sender und Empfänger. Politische Bildung sei in der Bundeswehr gefragter denn je, um die Soldatinnen und Soldaten in die Lage zu versetzen, Informationen einzuordnen und zu bewerten. Wichtig sei weiterhin eine verbesserte strategische Kommunikation der Streitkräfte im gesamtgesellschaftlichen Rahmen.

Oberstleutnant Patricia Horwath gab einen kurzen Einblick in die Erkenntnisse des Dezernats in Bezug auf China, die sich ganz anders darstellten als in Bezug auf Russland. Chinesische deutschsprachige Staatsmedien hätten nur eine geringe Reichweite. Der Charakter der chinesischen Kommunikation sei subtiler, es handle sich dabei oft nicht um Propaganda, sondern um nüchterne Pressearbeit. Eigene Botschaften würden dabei subtil über die Auswahl der Themen, des Weglassens oder durch Überbetonen einzelner Fakten oder Ereignisse platziert. Das betreffe auch Statements offizieller Vertreter Chinas, die über Monate und Jahre hinweg wiederholt würden. Der größte Teil der Botschaften diene der positiven Selbstinszenierung im Sinne von: "China ist friedlich, China ist grün, China ist die Zukunft und ein zuverlässiger, gewinnbringender (Handels-)Partner". Der wesentlich kleinere Teil diene der negativen Darstellung "der anderen". Gemeint seien hier insbesondere die USA, die als egoistisch, skrupellos und aggressiv dargestellt würden.

Es sei bislang keine schädigende Absicht gezielt gegen die deutschen Streitkräfte oder deutsche Bürger erkennbar, es bestehe jedoch grundsätzlich die Möglichkeit, dass die Botschaften durch die konsequente Wiederholung bei entsprechend empfänglichen Rezipienten verfangen könnten, so Horwath. Sie geht jedoch davon aus, dass jemand, der in demokratischen, westlichen Werten gefestigt sei, kaum anfällig für derartige Propaganda sei. Es handle sich also um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, zu der jeder einen Beitrag leisten könne.

Auf die Nachfrage, ob wir China schon genug Aufmerksamkeit schenken, antwortete Oberstleutnant Horwath, dass China starke wirtschaftliche Interessen verfolge und daher in vielen Bereichen kein Interesse habe zu schädigen. Sie plädiere jedoch für ein Bewusstsein dafür, dass gewisse Ziele verfolgt würden.

Danach gefragt, wie man auf die digitale Kriegsführung aus Russland reagieren könne, sagte Major Bock, dass ein großes Problem die Attribuierung sei. Es sei schwer genau zu bestimmen, woher die Angriffe kämen. Ohne Nachweis, dass es sich um staatlich gesteuerte Angriffe handle, seien Staatsvertreter nicht befugt, etwas zu unternehmen. In Diskurse etwa dürfe man nicht eingreifen. Hier hätten Zivilgesellschaft und Journalismus die Aufgabe übernommen, dem entgegenzutreten.

Oberstleutnant Horwath ergänzte, dass der Cyber War verschiedene Ebenen habe, er reiche vom sichtbaren Informationskrieg bis zum Hacking. Unternehmen müssten sich mit sicheren Systemen vor Betriebsspionage schützen und dürften nicht naiv sein.

Quellen / Literatur

Dokumentation: Katharina Reinhold

Fussnoten

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