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Workshop 6: Die Sicht Russlands | 18. Bensberger Gespräche 2023 | bpb.de

18. Bensberger Gespräche 2023 Einführende Bemerkungen Eröffnungsvortrag: Gedanken zum Verständnis und zu den Auswirkungen des Ukrainekrieges Podiumsdiskussion: Von der Friedens- zur Konfliktordnung? Perspektiven für eine (neue) europäische Sicherheitsstruktur Vortrag und Bilder des (Foto-)Journalisten Till Mayer Workshop 1: Die europäische "Zeitenwende" aus der Sicht Ostmitteleuropas Workshop 2: NATO, EU und die transatlantische Perspektive Workshop 3: Verteidigungs- und Wertediskussion in Deutschland: Dienen wofür? Workshop 4: Audiovisuelle Materialien für die politische Bildung Workshop 5: Der Schutz kritischer Infrastrukturen Workshop 6: Die Sicht Russlands Die Rolle von Desinformation und "Fake News" Politische Bildung in der "Zeitenwende": Was kann politische Bildung in Zeiten des Krieges leisten?

Workshop 6: Die Sicht Russlands

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Dr. Susan Stewart, Senior Fellow der Forschungsgruppe Osteuropa und Eurasien der Stiftung Wissenschaft und Politik, beschäftigte sich im Workshop mit dem Thema "Russlands Sicht auf den Krieg in der Ukraine. Eliten und Gesellschaft".

Dr. Susan Stewart betonte, dass der Angriffskrieg am Ende des erfolglosen Versuches Russlands gestanden habe, auf anderem Wege Einfluss auf die Ukraine zu nehmen. (© Bundeswehr/Caldas Hofmann)

Der Workshop gliederte sich in zwei inhaltliche Schwerpunkte. Im ersten Teil wurden die Funktionsweisen der russischen Machteliten und ihre Perspektiven auf den Krieg reflektiert. Dr. Stewart betonte dabei die Intransparenz und den Mangel an Informationen, der Analysen erschwere und den Wissenstand immer lückenhaft bleiben lasse. Netzwerkanalysen könnten dennoch Kontakte herausarbeiten, die oftmals informell seien.

Innerhalb der russischen Eliten komme es immer wieder zu Machtkämpfen, von denen das System Putin profitiere. Es sei zu beobachten, dass Präsident Putin, der unangefochten an der Spitze des politischen Systems stehe, immer diktatorischere Züge aufweise. Dies stehe im Kontrast zu seiner frühen Regierungszeit, bei der er überwiegend als Moderator zwischen Interessen und Gruppierungen der Eliten aufgetreten sei.

Die Rolle Putins im russischen Angriffskrieg sei daher zentral. Der Präsident isoliere sich besonders seit Beginn der Corona-Pandemie zunehmend und erhalte seine Informationen nur über einen sehr begrenzten Personenkreis, was zu einer Anpassung und Selektion der zugelieferten Berichte führe. Nur wenige Personen seien somit in die Entscheidung zum Angriff auf die Ukraine eingeweiht gewesen.

Die russischen Eliten befanden sich zu Kriegsausbruch in einer "Schockstarre", wie Farida Rustamova in der Zeitschrift Osteuropa nach vielen Gesprächen mit den Betroffenen herausarbeitete. Dies spreche dafür, dass die Machteliten den Krieg weder gewollt noch erwartet hatten und die Erklärungen des Regimes über dessen Ursachen und Ziele kaum überzeugten.

Im Zuge des Krieges sei es allerdings zu einer Reorientierung innerhalb der Eliten gekommen. Offene Opposition sei mit großen individuellen Risiken verbunden und die Möglichkeit zur Flucht habe dazu geführt, dass viele Kritikerinnen und Kritiker des Regimes das Land verließen. Gleichzeitig bestünden Chancen, vom Krieg zu profitieren und eine nationalistische Unterstützung sei schichtübergreifend bemerkbar. Die Mitglieder der Machteliten seien somit heute mehrheitlich angepasst und Russland stelle sich auf einen langen Krieg bei unveränderten Kriegszielen ein.

Im zweiten Teil des Workshops richtete die Referentin den Blick auf die russische Gesellschaft. Grundlage der Analyse waren repräsentative Meinungsumfragen in der russischen Bevölkerung. Mit dem Lewada-Zentrum existiert weiterhin ein vergleichsweise unabhängiges Meinungsforschungsinstitut, das vom Staat als 'ausländischer Agent' eingestuft wurde. Die Zahlen des Instituts sind nach Einschätzung von Dr. Susan Stewart auch für das russische Regime von Interesse, weshalb das Lewada-Zentrum weiterhin arbeiten könne.

Die Meinungsumfragen zeigen, dass es eine breite Unterstützung von 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung für den russischen Angriffskrieg gibt. Während die Länder Belarus und China positiv wahrgenommen werden, kam es zu einer starken Verschlechterung der Wahrnehmung der Beziehungen zu westlich orientierten Ländern. Dies betrifft auch Deutschland, das lange Zeit überwiegend positiv eingeschätzt wurde. Die Mobilmachung innerhalb Russlands zeigte keine nachhaltigen Effekte auf die Meinungsumfragen.

Soziale Erwünschtheit, die Wirkung staatlicher Propaganda oder die Flucht großer Teile der Opposition erschwerten allerdings eine Bewertung der Ergebnisse und ihre Aussagekraft. In der Diskussion wurde von Teilnehmenden des Workshops ergänzend darauf hingewiesen, dass eine breite Mehrheit der Bevölkerung nicht an Umfragen teilnehme, die Erhebungen also kaum für die Gesamtgesellschaft repräsentativ seien.

Die angeregte Diskussion zu beiden Themenblöcken behandelte unter anderem die Ziele, Ursachen und den Verlauf des Krieges und das politische System um Machthaber Putin. Dr. Susan Stewart betonte, dass der Angriffskrieg erst am Ende des erfolglosen Versuches Russlands gestanden habe, auf anderem Wege Einfluss auf die Ukraine zu nehmen. Die russische Führung habe dabei das Handeln der Ukraine immer wieder falsch bewertet. Gleichzeitig weise das russische System neben autoritären zunehmend auch totalitäre Züge auf. Ein Ende des Regimes oder eine politische Nachfolge Putins seien nicht erkennbar. Zwar stünden lokale Machthabende häufig in der Kritik und würden sehr negativ gesehen. Dies werde aber selten auch auf die zentrale Führung in Moskau ausgeweitet. Es müsse daher davon ausgegangen werden, dass die russischen Machteliten und auch die breite Bevölkerung weiterhin zur Führung des Landes hielten, welche gleichzeitig zunehmend totalitär regiere.

Quellen / Literatur

Dokumentation: Julius Lübbersmann

Fussnoten

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