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Podiumsdiskussion: Von der Friedens- zur Konfliktordnung? Perspektiven für eine (neue) europäische Sicherheitsstruktur | 18. Bensberger Gespräche 2023 | bpb.de

18. Bensberger Gespräche 2023 Einführende Bemerkungen Eröffnungsvortrag: Gedanken zum Verständnis und zu den Auswirkungen des Ukrainekrieges Podiumsdiskussion: Von der Friedens- zur Konfliktordnung? Perspektiven für eine (neue) europäische Sicherheitsstruktur Vortrag und Bilder des (Foto-)Journalisten Till Mayer Workshop 1: Die europäische "Zeitenwende" aus der Sicht Ostmitteleuropas Workshop 2: NATO, EU und die transatlantische Perspektive Workshop 3: Verteidigungs- und Wertediskussion in Deutschland: Dienen wofür? Workshop 4: Audiovisuelle Materialien für die politische Bildung Workshop 5: Der Schutz kritischer Infrastrukturen Workshop 6: Die Sicht Russlands Die Rolle von Desinformation und "Fake News" Politische Bildung in der "Zeitenwende": Was kann politische Bildung in Zeiten des Krieges leisten?

Podiumsdiskussion: Von der Friedens- zur Konfliktordnung? Perspektiven für eine (neue) europäische Sicherheitsstruktur

/ 4 Minuten zu lesen

In der Podiumsdiskussion wurden vielfältige Folgen des Angriffskrieges von Russland auf die Ukraine in Bezug auf Deutschland und die europäische Sicherheitsordnung thematisiert.

Teilnehmende der Podiumsdiskussion (v. l. n. r.): Dr. Gerd Koenen, Publizist und Historiker; Gesine Weber, German Marshall Fund of the United States; Moderatorin Julia Weigelt; Dr. Erich Vad, Brigadegeneral a.D.; Dr. Anne Holper, Europa-Universität Viadrina. (© Bundeswehr/Caldas Hofmann)

Anlässlich des 60-jährigen Jubiläums des Elysée-Vertrages ging es zunächst um die Beziehungen von Deutschland und Frankreich, die seit Jahren im Bereich der Sicherheitspolitik belastet sind. Auch die Reaktionen beider Länder auf den Angriff in der Ukraine fielen recht unterschiedlich aus.

Gesine Weber vom German Marshall Fund of the United States konstatierte, dass es zwischen den beiden Ländern im Bereich Rüstung am meisten "knirsche", etwa beim gemeinsamen Projekt "Future Combat Air System (FCAS)", das vor allem politisch mit großem Druck verfolgt werde. Sie betonte, dass in der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU Einstimmigkeit notwendig sei und es daher oft nur Minimalkonsens-Entscheidungen gebe. Die Frage sei jedoch, wie man strategisch denke und ob man vorausschauend plane. In Zukunft sei es denkbar, dass sich eher eine "Koalition der Willigen" beteilige und das Einstimmigkeitsprinzip nicht mehr für alle Entscheidungen gelten werde. Sie regte an, die EU anders zu denken: Mit einem Kerneuropa, das die Verträge komplett umsetzt, plus einem weiteren Ring von assoziierten Partnerstaaten.

In einer Live-Umfrage via Smartphone, ob Deutschland sich künftig bei internationalen Krisen stärker engagieren oder weiterhin eher zurückhalten solle, votierten 63% der Teilnehmenden im Publikum für ein stärkeres Engagement, 37% dagegen.

Die Frage eines EU-Beitritts der Ukraine sahen die Podiumsgäste eher skeptisch und betonten, dass dies momentan noch nicht zur Debatte stehe. Der Historiker Dr. Gerd Koenen betonte, dass es wichtig sei, die Ukraine politisch zu unterstützen, dass man jedoch schauen müsse, wie das Land aus dem Krieg herauskomme.

Befragt nach Perspektiven für einen Ausgang des Krieges, antwortete die Konfliktforscherin Dr. Anne Holper, dass derzeit die militärische Strategie des Westens sei, die Verteidigungsfähigkeit der Ukraine so hochzufahren, dass man eine Patt-Situation herbeiführe, damit die Ukraine nach ihren eigenen Bedingungen verhandeln könne. Erst wenn Putin sehe, dass er auf einem anderen als dem militärischen Weg mehr erreichen könne, sei der Verhandlungstisch tatsächlich attraktiv. Es stelle sich jedoch die Frage, ob man dann gut vorbereitet sei und etwa eine Infrastruktur für Verhandlungen habe. Sie sagte, dass man vom Antagonismus zum Agonismus kommen, also eine Koexistenz anstreben müsse. Dafür sei die gegenseitige Anerkennung der Existenzberechtigung beider Konfliktparteien die Voraussetzung und Grundlage.

In einer Live-Umfrage und in Kleingruppengesprächen positionierten die Teilnehmenden sich zu der Frage, ob der Umfang der deutschen Waffenlieferungen in die Ukraine angemessen sei (34%), zu weit gehe (11%) oder nicht weit genug gehe (55%). (Anmerkung: Die Diskussion und Abstimmung fanden zwei Tage vor der offiziellen Ankündigung der Bundesregierung, Leopard-2-Panzer zu liefern, statt).

In den deutschen Medien wurde und wird viel über das deutsche und europäische Engagement im Krieg, und vor allem über Waffenlieferungen diskutiert und debattiert. Brigadegeneral a.D. Dr. Erich Vad war und ist seit Februar 2022 ein beliebter Gast in Nachrichtensendungen und Talkshows als Vertreter einer kritischen Haltung zu Waffenlieferungen. Er hatte sich in einem Interview sehr kritisch über die Einladungspolitik der Sender geäußert und ein Ungleichgewicht in der Darstellung bemängelt. Darauf angesprochen sagte er, dass er in den Talkrunden mit seiner Meinung zu Waffenlieferungen stets in der Minderheit gewesen sei und dass nicht wirklich kontrovers diskutiert wurde, obwohl eine Mehrheit in der Bevölkerung gegen Waffenlieferungen gewesen sei. Dr. Koenen, der Waffenlieferungen an die Ukraine befürwortet, mahnte, dass die Ukraine als größtes europäisches Land nicht kollabieren dürfe. Einige Osteuropa-Historiker hätten schon seit Jahren davor gewarnt, dass Russland beabsichtigt, die Ukraine zu zerschlagen. Sie seien – auch von den Medien – nicht ernstgenommen worden.

Dr. Holper stellte eine starke Polarisierung im gesellschaftlichen und medialen Diskurs und gegenseitige Anfeindungen fest. Es sei jedoch wichtig, dass man sich auch anderen Meinungen stelle und diese anhöre und dass man miteinander im Gespräch bleibe.

Auf die Frage aus dem Publikum, wie man wieder eine Friedensordnung herstellen könne, und ob man nun mit aller Kraft das System zerschlagen müsse, antwortete Dr. Koenen, dass man nicht Russland in der Ukraine zerschlagen könne. Man könne nur der Ukraine helfen, nicht zerstört zu werden. Es sei nicht "an uns in Deutschland oder Westeuropa, zu entscheiden, wie es nach einem Kriegsende oder nach einem möglichen Zerfall Russlands mit dem Land weitergehen könne, sondern an den Menschen in Russland". Dort gebe es "eine gebildete, zivilisierte Elite", die derzeit stummgemacht werde. Das Land müsse seine eigenen Potenziale entwickeln. Es werde zudem immer wieder gesagt, Deutschland habe eine besondere Verantwortung infolge seiner Geschichte. Diese Verantwortung gelte aber nicht nur in Bezug auf Russland, sondern auch und besonders gegenüber Ländern wie Polen, Belarus und der Ukraine, die unter der Vernichtungspolitik des NS-Regimes und anschließend der Sowjetarmee besonders gelitten haben.

Dr. Vad wies darauf hin, dass aus den USA nun vermehrt Überlegungen öffentlich würden, wie man an den Verhandlungstisch kommen könne und wie man politisch-strategisch aus dem Konflikt herausgehen könne. Er sei froh, dass diese Frage jetzt diskutiert werde. Aus seiner Sicht sei es wichtig, der Ukraine zu helfen und sie zu stabilisieren. Russland sei jedoch militärisch nicht besiegbar, der beste Weg seien politische Verhandlungen.

Quellen / Literatur

Dokumentation: Katharina Reinhold

Fussnoten

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