In ihrem Eingangsstatement stellt die Sozialpsychologin Prof. Dr. Beate Küpper die Frage, ob die Einheit schon ein Wert an sich darstelle, oder ob es nicht vielmehr auf die Qualität jenes Prozesses und seiner Ergebnisse ankomme? Der Osten wurde "nicht auf Knopfdruck demokratisch" – und "alle zehn Jahre entdecken wir, dass wir gegenüber bestimmten sozialen Gruppen immer noch nicht gleichwertig sind". Sie verwies auf die Diskrepanz, dass ca. 93 Prozent der deutschen Bevölkerung die Demokratie positiv betrachten und diese auch hierzulande generell gut umgesetzt sehen würden – während ca. ein Drittel nicht sonderlich demokratische Einstellungen vertrete und gleiche Rechte für alle in Frage stelle. Ost- und Westdeutschland seien sich hierbei erstaunlich ähnlich, bis auf die Erfahrung mit und die Wertschätzung von Vielfalt. Dies zeige sich auch bei der jungen Generation, in der zunehmend die NS-Zeit verharmlost und sozialdarwinistische Ideen befürwortet würden. Die Gefühle einer kollektiven Bedrohung und Benachteiligung seien gesamtgesellschaftlich als große Herausforderung zu sehen.
Dr. Yasemin El-Menouar verwies auf die große Bedeutung der Medien: Nachrichten tendierten dazu, über Probleme und Schwierigkeiten zu berichten, und Formate wie Talkshows oder soziale Medien beförderten spezifische Wahrnehmungen, die sich an extremen Meinungen orientierten. Beate Küpper erinnerte daran, dass "wir oft nur das sehen, was wir zu sehen erwarten". Die Polarisierung bedeute nicht, dass sich die Bevölkerung in zwei Hälften aufteile, sondern dass sich eine große Mehrheit für Demokratie und Vielfalt positioniere, eine kleine, aber laute, gut vernetzte und sich radikalisierende Minderheit dagegen opponiere und somit über ihre reale Bedeutung hinaus wahrgenommen werde. Es helfe nicht, einfach nur mehr Mittel zu verteilen, um gegen das Gefühl der kollektiven Benachteiligung anzugehen. El-Menouar verglich Ostdeutsche mit Migranten/innen und ihre jeweiligen "Bindestrichidentitäten": Ihre Identitäten würden von der Gesamtgesellschaft nur bedingt wahrgenommen und anerkannt, woraus das Gefühl resultiere, "Bürger zweiter Klasse" zu sein.
Generalmajor a.D. Hans Christian Beck betonte die Notwendigkeit, darauf zu achten, dass sich die heutige Bundeswehr nicht allzu sehr von der restlichen Gesellschaft entferne. Über die Wehrpflicht fand einst ein reger Austausch mit der Gesamtgesellschaft statt. Doch auch mit den Einsätzen gäbe es mehrere parallele Realitäten: Soldatinnen und Soldaten gingen in die Einsatzländer und blieben über Monate von ihren Familien getrennt; und in Köln-Wahn träfen Urlauber mit voll ausgerüsteten Soldaten zusammen. Die Rekrutierung sei zentral für die Bundeswehr: Welcher Soldatentypus sei gewünscht – und ist es immer noch der Staatsbürger in Uniform? Gleichsam übte er Kritik am generalisierenden Negativ-Diktum der früheren Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, die Bundeswehr habe ein Führungs- und Haltungsproblem.
Küpper unterstrich die Bedeutung der Kameradschaft für die Integrationswirkung der Bundeswehr, da sie viele gesellschaftliche Disparitäten ausgleiche. Gleichsam sei nachzuhaken, was Kameradschaft im Guten wie im Schlechten leisten könne, und was die jungen Menschen in der Bundeswehr in ihrer Freizeit tun. El-Menouar betonte die Wichtigkeit, den Menschen zuzuhören und sie als gleichwertig wahrzunehmen; hierbei nannte sie das Beispiel Kanadas, wo nach einem transparenten Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern ein Kriterienkatalog für ein verbessertes Zusammenleben aufgestellt wurde. Küpper beschrieb die hiesigen traditionellen Vorstellungen Deutschlands als die einer homogenen Gesellschaft; Begrifflichkeiten wie "Volkskörper" und "Volksschädling" sowie Erfahrungen wie die systematische Ausgrenzung von Menschen bis hin zu deren massenhafter Ermordung sah sie ebenso als Teil hiesiger Traditionen. Zudem neigten Menschen dazu, Ähnlichkeiten zu ihnen selbst gutzuheißen, was sich auch in Bewerbungs- und Beförderungsprozessen niederschlage, worauf sie sich auf eigene Verhaltensmuster bezog.
In der folgenden lebhaften Diskussion unterstrich eine Teilnehmerin, dass sich benachteiligte gesellschaftliche Gruppen repräsentiert sehen wollen würden; dies sei bei den Bundesbehörden, zumal in der Führungsebene, nicht der Fall, und müsse entsprechend bei der Personalauswahl und beförderung verstärkt berücksichtigt werden. Kapitän zur See Dr. Jörg Hillmann hielt hierbei das Beispiel der Bundeswehr entgegen, in der nicht nur die politische Spitze durch Ministerinnen besetzt war und ist, sondern sich zahlreiche Frauen in den Dienstbehörden fänden, nicht zuletzt an leitenden Funktionen. Sicherlich gäbe es noch nicht viele Frauen im Generalsrang – doch dies benötige aufgrund der Laufbahnen und der Entscheidung von vor knapp 20 Jahren, Frauen zu allen Laufbahnen zuzulassen, entsprechende Zeit. Zudem sei es wichtig, sorgsam mit dem Begriff der Traditionen umzugehen. Beck warf die Frage auf, was denn die Politik für die Streitkräfte außerhalb der Diskussionen zum Wehretat leiste: Welche Ziele sollen in den jahrzehntelangen Einsätzen auf dem Balkan und in Afghanistan erreicht werden? Generalmajor Reinhardt Zudrop verwies auf die Herausforderungen der letzten Jahre, denen die Bundeswehr gerecht geworden sei: die Armee der Einheit, die Armee im Einsatz, und nun die erneute Refokussierung auf Landes- und Bündnisverteidigung. Es werde zwar eine ausführliche Diskussion zum Wertewandel geführt, doch man dürfe sich nicht darauf ausruhen.
Küpper stellte die provokante Frage, inwieweit überhaupt eine politische Bildungsarbeit vonnöten sei – denn die Quoten der Nichtwähler seien in anderen Ländern ohne solche Institutionen ähnlich. In anderen Ländern fänden sich Aspekte der politischen Bildung in andere Bildungsangebote integriert (z.B. die ausgeprägte Debattenkultur in Großbritannien). "Demokratie ist immer im Wachsen und im Wandel" – und demzufolge müsse immer wieder die Frage gestellt werden, wie wir zusammenleben wollen und was uns welche Aspekte wert seien?
Dokumentation: Martin Bayer