Wertetransfer und Wertewandel: Wie entwickelte sich die Innere Führung?
Der einstige Kommandeur des Zentrums Innere Führung, Hans Christian Beck, betrachtete die Konzepte des Staatsbürgers in Uniform und der Inneren Führung als "kreativste politische Neuerung" der 1950er Jahre in der Bundesrepublik Deutschland und als gelungenes "Bündnis zwischen demokratischer Idee und militärischer Notwendigkeit". Von Anfang an habe es aber viele Missverständnisse gegeben, beispielsweise das idealisierte Menschenbild als Ausgangsbasis. Der Kritik, der Staatsbürger in Uniform sei heutzutage überholt, hielt er entgegen, man sollte erst über ein besseres Konzept verfügen, bevor man ein bewährtes streiche. Auch Beck verwies auf den Personalgutachterausschuss zum Beginn der Bundeswehr – ein ähnliches Verfahren habe es für Lehrkräfte, Ärzte und Juristen nicht gegeben. Zur Kritik an den vorgeblich zahlreichen Problemen der heutigen Bundeswehr verwies er auf die vielen Vorkommisse (und ihren Umgang) in den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens. Auch damals schon wurde so gern wie fälschlicherweise die Innere Führung verantwortlich gemacht. Jenen, die ihm gegenüber einst äußerten, in ihrer Einheit passiere "so etwas" nicht, hielt er entgegen, dass es sicherlich vorkomme, nur dass der Gesprächspartner es entweder nicht wisse oder es ihm nicht gemeldet werde.
Trotz der allgegenwärtigen Digitalisierung und den tiefgreifenden Veränderungen der Bundeswehr durch die Einsätze und die Aussetzung der Wehrpflicht bliebe doch der Mensch in seinem Denken und Wünschen prinzipiell gleich. Durch die Einsätze erlange die Innere Führung hingegen eine neue Relevanz: Themen wie Verwundung, Tod, Geiselhaft, posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) und Trauer sorgten für neue Herausforderungen und Belastungen der Soldatinnen und Soldaten.
Zur angeblich nur geringen Zahl der in die Bundeswehr übernommenen NVA-Soldaten verwies Beck auch auf die überwiegende Bürgermeinung, nach der jene Waffenträger des DDR-Regimes rundheraus abgelehnt wurden. Kritik übte der einstige Kommandeur des Zentrums Innere Führung und der Führungsakademie der Bundeswehr an der Politik: Diese müsse klare und eindeutige Begründungen und Ziele für die Einsätze liefern. Auch müsse deren Rechtmäßigkeit im Vorfeld geklärt sein, anders als beispielsweise beim Einsatz in Somalia. Ebenso beklagte er ein weit verbreitetes Unwissen über die Innere Führung – der er weiterhin und auch in Zukunft eine zentrale Rolle attestierte.
Gesellschaftliche Werte im Wandel
Die Soziologin und Islamwissenschaftlerin Dr. Yasemin El-Menouar stellte die Studie "Religionsmonitor" der Bertelsmann Stiftung vor. Ostdeutschland definierte sie als "die ungläubigste Region der Welt": 2011 gaben dort 80 Prozent an, konfessionslos zu sein. Westdeutschland habe hingegen eine lange Einwanderungsgeschichte und verfüge somit seit langem über auch religiöse Minderheiten; in Ostdeutschland kann dies nur mit den Flüchtlingsbewegungen der letzten Jahre und im kleinen Maße konstatiert werden. Nach der Säkularisierungsthese verliere die Religion in modernen Gesellschaften zunehmend an Bedeutung – dies sei zwar nicht ganz falsch, betrachte man auch die zahlreichen Austritte aus den Kirchen, doch werde somit die real existierende Bedeutung der Religion für viele Menschen vernachlässigt, sei es in der gesellschaftlichen Analyse wie auch in der politischen Bildung. Hieraus folgere ein "religiöser Analphabetismus" – ein mangelndes Verständnis, mit Religion und ihrer individuellen und somit auch gesamtgesellschaftlichen Bedeutung umzugehen. Aktuell definiere man moderne Gesellschaften eher dahingehend, dass sie religiösen Pluralismus aufweisen.
Etwa die Hälfte der Muslime und Katholiken sowie zwei Drittel der Protestanten in Deutschland fühlten eine mittlere Bindung an ihre Religion; bei den Muslimen – mit nur recht wenigen Abweichungen zwischen zugezogenen und in Deutschland geborenen Menschen – falle die hohe Bindung an die Religion von 37 bis 44 Prozent auf (Katholiken 26%, Protestanten 17%). Ebenso auffällig sei, dass die meisten konfessionslosen Menschen in Deutschland immer noch Bezug zur Religion hätten, auch wenn sie sich nicht mehr zu einer spezifischen Glaubensgemeinschaft zugehörig empfinden würden. Nahezu unabhängig von der Religionszugehörigkeit fühlen sich 93 bis 97 Prozent der Menschen mit Deutschland verbunden. Insbesondere beim Islam – der anders als z.B. der Katholizismus keine Zentralinstanz kennt – ist der Länderkontext von großer Bedeutung. Generell stellen dogmatische Glaubensvorstellungen die große Herausforderung dar: So sehen 90 bis 97 Prozent der undogmatischen Menschen (ob Christen, Muslime oder Atheisten) die Demokratie positiv, während es bei den dogmatisch Gläubigen 73 bis 78 Prozent (und bei den Atheisten gar nur 70%) sind.
In der Bundeswehr sind auch durch den hohen Anteil Ostdeutscher aktuell fast die Hälfte der Soldatinnen und Soldaten konfessionslos, während ca. ein jeweiliges Viertel Protestanten bzw. Katholiken sind; 1,7% (ca. 3.000) sind Muslime, 0,2% (ca. 300) sind jüdischen Glaubens. Allerdings handelt es sich hierbei nicht um exakt ermittelte, sondern hochgerechnete Zahlen. Ca. 15 Prozent der Soldatinnen und Soldaten verfügen über einen Migrationshintergrund. Die Gesellschaft wächst weiterhin zusammen, und die Bundeswehr ist dabei ein wichtiger Brückenbauer.
Dokumentation: Martin Bayer