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Workshop: Innere Führung | 17. Bensberger Gespräche 2020 | bpb.de

17. Bensberger Gespräche 2020 Eröffnungsvorträge: 30 Jahre Deutsche Einheit - 30 Jahre Armee der Einheit Podiumsdiskussion: Wie einig waren wir damals und wie viel Einheit braucht es heute? Europas Blick auf die deutsche Wiedervereinigung Workshop: Die Transformation Osteuropas: Kooperation oder Konfrontation? Workshop: Die Arbeit der Treuhandanstalt Workshop: Innere Führung Workshop: Innovation in der historisch-politischen Bildung Workshop: Politische Partizipation in Ost- und Westdeutschland Impulsvorträge: Wertewandel - Innere Führung und Gesellschaft Podiumsdiskussion: Einheit als gesellschaftliche Herausforderung – Integration, Abgrenzung und Polarisierung Zusammenfassung und Ausblick

Workshop: Innere Führung

/ 4 Minuten zu lesen

Oberst i.G. Reinhold Janke, Abteilungsleiter im Zentrum Innere Führung, erarbeitete mit den Teilnehmenden neben den Unterschieden zwischen der Nationalen Volksarmee und der Bundeswehr auch, welche Werte, Tugenden und Vorstellungen den Soldaten gemein waren. Gute Menschenführung erlaubte schließlich auch die Zusammenarbeit in einer "Armee der Einheit". (© bpb, BILDKRAFTWERK/Zöhre Kurc)

Oberst i.G. Reinhold Janke, Abteilungsleiter im Zentrum Innere Führung, leitete den Workshop zur Bedeutung der Inneren Führung mit dem Verweis auf unterschiedliche Selbstdarstellungen der beiden deutschen Streitkräfte ein; hierbei wurde insbesondere die bei der Nationalen Volksarmee (NVA) immer wieder berufene Gefechtsbereitschaft in Verbindung mit eindeutigen Feindbildern deutlich: So führt ein NVA-Soldat "auf Wacht für Frieden und Sozialismus" mit seinem Gewehrkolben einen Schlag auf eine Schlange aus, die mit "NATO"-Zähnen, Eisernem Kreuz, Hakenkreuz und Sigrunen als Zunge versehen ist. Ein weiterer Unterscheidungsaspekt zur Bundeswehr war die Bedeutung von Kontrolle und Überwachung. Dies zeigte sich unter anderem in der geradezu allgegenwärtigen Versiegelung und Geheimhaltung – doch führte dies gleichsam zu Ermüdungserscheinungen, denn wenn alles geheim ist, wird diese Klassifizierung entsprechend entwertet.

Im Workshop wurden diverse Leitfragen zur angeregt geführten Diskussion gestellt:

  • Was trennte die Angehörigen der NVA von denjenigen der "alten" Bundeswehr (d.h. bis 1990), sei es sozio-politisch/ideologisch, historisch, mental/soziologisch oder auch handwerklich/technisch?

  • Gab es gemeinsame Werte, Tugenden, Haltungen, Vorstellungen, Überzeugungen, Lebensziele, Wünsche?

  • Warum konnte die Armee der Einheit gelingen?

  • Welche Rolle spielte dabei die Innere Führung?

  • Gibt es heute noch Unterschiede und Barrieren?

  • Wenn ja, wie können sie beseitigt werden?

Diverse Teilnehmende verfügten über eigene Erfahrungen in den west-, ost- und gesamtdeutschen Streitkräften, was sich für die gemeinsame Diskussion als sehr bereichernd erwies. So wurde mehrfach darauf verwiesen, dass die technische Ebene problemlos integrationsfähig war – Motoren müssen beispielsweise mit entsprechender Expertise gewartet werden. Gleichsam spielte die Selbstwahrnehmung der (nun ehemaligen) NVA-Soldaten als "hart" (einsatzbereit, kampftauglich, etc.) und deren Wahrnehmung der Bundeswehr hingegen als "weich" (bzw. verweichlicht) eine immer wiederkehrende große Rolle. In diesem Zusammenhang unterstrich Janke, dass die Innere Führung nicht als sozialwissenschaftliches Konstrukt entwickelt wurde, um Soldaten ziviler erscheinen zu lassen, sondern vielmehr zielt sie "auf die Optimierung von Einsatz- und Gefechtsbereitschaft" ab. Ein Teilnehmender verwies auf russische Soldaten, für die das Konzept der Inneren Führung einen "inneren Wert" darstellte, die sie mit ihrer eigenen Einsatzerfahrung in Afghanistan abglichen.

Ein großer Teil der Diskussion im Workshop behandelte das unterschiedliche Traditionsverständnis. So verwies ein Diskutant auf die Bedeutung von ehemaligen Offizieren der Wehrmacht für den Aufbau der Bundeswehr und von ehemaligen Wehrmachts-Unteroffizieren für denjenigen der NVA. Gleichsam habe es bei der Bundeswehr eine recht tiefgehende Untersuchung über die politische Vorgeschichte der Soldaten gegeben, während man bei der NVA unkritischer vorging. Andere Teilnehmende verwiesen auf die Generalfeldmarschälle Friedrich Paulus und Ferdinand Schörner; ersterer war für die NVA tätig, letzterer galt als überzeugter Nationalsozialist, hatte nach seiner Freilassung aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft das Angebot zur Übernahme in die NVA abgelehnt, siedelte nach München über und wurde dort als Kriegsverbrecher verurteilt. Die Kasernennamen wurden ebenfalls diskutiert: Während in der DDR oft ein klarer antifaschistischer Namensbezug erfolgte, wurden bei der Bundeswehr häufig frühere Namen fortgeführt; die erste Benennung nach einem Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime erfolgte mit der Julius-Leber-Kaserne erst nach der deutschen Einheit. Bei Namensgebungen der Bundeswehr der 1960er Jahre wurde häufig ausgeblendet, dass die Wehrmacht eben nicht rein militärisch und damit losgelöst von der Politik agierte, sondern immer ein Herrschaftsinstrument der nationalsozialistischen Diktatur war. Die Diskussion wurde bis zu den Herausforderungen des dritten Traditionserlasses fortgeführt. Kann man sich wirklich auf die Bundeswehr selbst zur Traditionsstiftung reduzieren – oder gibt es nicht auch Möglichkeiten, ideenpolitische Vorläufer zur Revolution 1848/1849 oder zu den Einigungskriegen einzubeziehen?

Die ethische Dimension wurde ebenso diskutiert: Die NVA war von ihrer Grundrichtung marxistisch (Primat der Ökonomie) und leninistisch (führende Rolle der Partei), während die ethische Dimension eher ausgeblendet wurde. Vielmehr forderte die NVA – wie die Wehrmacht – unbedingten Gehorsam. Ebenso wurde auf den Lebenskundlichen Unterricht (LKU) in der Bundeswehr verwiesen: In jenen geradezu revolutionären Einheiten besprechen Soldaten auf gemeinsamer Augenhöhe ethische Fragestellungen. Die Wehrpflicht als bestimmender Faktor beider Streitkräfte wurde ebenfalls adressiert, bis hin zu den einsatzbedingten Kontakten zur Bevölkerung (z.B. Ernteeinsätze der NVA, die eigentlich im Widerspruch zur hohen Gefechtsbereitschaft standen).

An gemeinsamen Werten wurden soldatische Tugenden wie Tapferkeit und Patriotismus definiert – und gleichsam die Schwierigkeiten eines heutigen Patriotismus‘ adressiert. "Nationale Volksarmee" enthielte hingegen gleich "drei toxische Begriffe, mit denen heute viele ihre Schwierigkeiten haben". Ein anderer Teilnehmender sah wiederum durch den "gelebten Zwang" (Zitat aus dem "Handbuch für Mot-Schützen") der NVA keine gemeinsame Basis für Werte und Tugenden. Letztendlich wurden ca. 11.000 Soldaten der NVA in die Bundeswehr übernommen, dazu viele zivile Angestellte. Der Erfolg wurde mit der guten Menschenführung und dem im besten Falle gegenseitigen Respekt begründet. Auch hier wurde die Degradierung der in die Bundeswehr übernommenen NVA-Soldaten adressiert: In der NVA wurde ausschließlich nach Dienstzeit befördert, nicht nach Dienstposten, was zu zahlreichen auch höheren Offizieren führte. Zudem konnten viele Dienstposten vom Leutnant bis zum Oberstleutnant (also nahezu alle Offiziersgrade unterhalb der Generalsränge) besetzt werden – während dieselben Tätigkeiten in der Bundesehr oft von Unteroffizieren oder gar Mannschaftsdienstgraden wahrgenommen wurden.

Zur Frage der immer noch vorhandenen Barrieren hieß es, es gäbe in der Bundeswehr keine sichtbaren Unterschiede, sondern den auch in den Medien konstruierten Ost-West-Diskurs, während andere Diskutanten auf die vereinigende Bedeutung der Musik verwiesen, oder darauf, dass die Bundeswehr aufgrund der Durchmischung der Einheiten und der frühzeitigen Verlagerung zahlreicher Ausbildungseinrichtungen und anderer Behörden in den Osten eher vereinigt war als viele andere Bereiche unserer Republik. An bleibenden Herausforderungen wurden die sich heutzutage verfestigenden Milieus genannt, da die Soldatinnen und Soldaten heimatnäher und unter Vermeidung häufiger Versetzungen dienen.

Dokumentation: Martin Bayer

Fussnoten