Dr. Markus Böick, Historiker der Ruhr-Universität Bochum, leitete seinen Workshop mit dem Verweis auf aktuelle Publikationen zum Thema und den eigenen Erfahrungen einer Vortragsreise in die USA ein, wo ein Teilnehmender die Situation zwischen Deutschland in Ost und West mit dem Gefälle zwischen den Nord- und Südstaaten der USA verglich, das weiterhin und seit vielen Jahren andauere.
Böick stellte der scheinbaren wirtschaftlichen Stabilität der DDR der 1980er die wirtschaftliche Realität gegenüber, die höchstens im RGW-Raum (Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe) funktionierte und von zerfallenden Altstädten, massiven Umwelt- und Investitionsproblemen und Schulden geprägt war. Innerhalb des Ostblocks war zwar der Lebensstandard in der DDR recht hoch, doch wurde dieser von den Bürgern/innen mit demjenigen in Westdeutschland verglichen. Anfang 1990 verließen monatlich 200.000 bis 300.000 Bürger die DDR in den Westen – die Einführung der DM wurde somit auch als "Signal zum Bleiben" (Ingrid Matthäus-Maier) angesehen.
Im Zehn-Punkte-Plan Kohls betraf nur ein vage formulierter Punkt die Wirtschaft, während sich der Runde Tisch jenen zentralen Fragen gar nicht widmete. Wolfgang Ullmann (Demokratie Jetzt) beantwortete die Frage, was mit dem Volksvermögen geschehen sollte, mit einer Treuhandstelle und der Ausgabe von Anteilsscheinen an die Bevölkerung. Somit wollte man der Furcht vor einer Oligarchenbildung (wie sie beispielsweise in Russland geschah) und einer weiten Einflussnahme westlichen Kapitals begegnen. Eine große – und damit bis zum heutigen Tag ausstrahlende – Frage blieb die Bewahrung jenes Volksvermögens. Jener im März 1990 durch eine Verordnung der Modrow-Regierung gegründeten Treuhandanstalt wurde schließlich das Volksvermögen übertragen.
Böick erinnerte an den überaus emotional geführten Wahlkampf zur ersten frei gewählten Volkskammer der DDR. Die meisten politischen Beobachter erwarteten einen Triumph der SPD – doch diese schnitt schlecht ab, während die selbst überraschten Christdemokraten die Wahl deutlich gewannen. Die ambivalente Haltung der West-SPD zur Einheit und der Zukunft Deutschlands mag der primäre Grund gewesen sein.
Innerhalb weniger Wochen kehrte ein Treuhandgesetz den Auftrag um: Nun war das Ziel nicht mehr die Bewahrung, sondern die Entstaatlichung des Volkseigentums aus ca. 8.000 Betrieben mit 4 Millionen Beschäftigten. Reiner Maria Gohlke, Erster Präsident der Deutschen Bundesbahn und kurzzeitig erster Treuhand-Chef, betrachtete die Aufgabe als unlösbar und wurde nach wenigen Wochen durch Detlev Rohwedder abgelöst. Dessen paternalistischer Ansatz war es, die Menschen der DDR aus ihrer "wirtschaftlichen und sozialen Inferiorität" zu führen. Die Währungsumstellung wurde schon von Helmut Kohl als ökonomisch langfristig schwierig, aber politisch absolut notwendig beschrieben. Für die Treuhand wirkte sie auch als Schock: Die Betriebe benötigten allein 20 Mrd. DM zur Lohnfortzahlung.
Die Treuhand stellte 15 Niederlassungsleiter ein, allesamt Leiter mittelständischer Unternehmen im Westen. Einige waren erfolgreich, andere weniger – und alle waren sie schockiert über die andere Unternehmenskultur, die fehlende Kommunikationsinfrastruktur und die Unklarheit, was wirklich von ihnen gefordert war. Die Personalgewinnung gestaltete sich weiterhin schwierig; schließlich schrieb der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) seine Mitgliedsunternehmen an, um 150 für ein bis zwei Jahre entsandte Manager zu gewinnen – diese wurden von ihren bisherigen Unternehmen bezahlt, was natürlich Fragen nach Loyalität, Legitimität und nicht zuletzt der Zielsetzung aufwarf. Von 379 Mitarbeitenden (30.9.1990) wuchs die Treuhand auf 2.141 (31.3.1991) und schließlich 3.941 Mitarbeitenden (30.6.1992) an. Während das Personal zu Beginn fast nur ostdeutsch war, änderte sich dies schnell, bis ab 1992 die Leitungsebene ausschließlich westdeutsch besetzt war.
Innerhalb kurzer Zeit traten die wirtschaftlichen Probleme der ostdeutschen Unternehmen deutlich zutage, während der RWG-Raum mit der Sowjetunion zusammenbrach – und die Treuhand zur Zielscheibe des Protests in den neuen Bundesländern wurde. Nach der Ermordung Detlev Rohwedders durch die RAF leitete nach einer langen Suche Birgit Breuel die Treuhand – viele andere Wirtschaftslenker wie Edzard Reuter (Daimler-Benz AG) hatten dankend abgelehnt. Flexible Zulagen bei schnellerer Privatisierung wurden eingeführt; es mangelte jedoch an Kontrolle und Transparenz. Ab 1992 wuchs der Kontrolldruck, doch bis dahin war schon der Großteil der Unternehmen umgewandelt.
Zum 31.12.1994 löste sich die Treuhand selbst auf: ca. 13.500 Privatisierungen waren vollzogen worden; 80% der Unternehmen hatten westdeutsche, 5% ostdeutsche, 15% ausländische Käufer (insbesondere aus der Schweiz, dem Vereinigten Königreich, Österreich, den Niederlanden und Frankreich) gefunden. 30% der Unternehmen wurden stillgelegt; 70 Mrd. DM Einnahmen standen 270 Mrd. DM Defizit gegenüber. Auch heute wird die Treuhand primär negativ und als Kardinalfehler der deutschen Einheit wahrgenommen.
Dokumentation: Martin Bayer