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Meinungsmache durch digitale Medien – Gefahren für die Demokratie? | 16. Bensberger Gespräche 2019 | bpb.de

16. Bensberger Gespräche 2019 Keynote Address Simulation eines Cyberangriffs auf elektronische Systeme Warum ist es so schwer, den Cyberraum zu kontrollieren? Podiumsdiskussion: Herausforderungen für die Cybersicherheit Die helle und die dunkle Seite des Darknet Workshop 1: Cyber Crime und die Möglichkeiten der Bekämpfung Workshop 2: Hybride Kriegsführung und soziale Medien Workshop 3: Rüstungskontrolle vernetzter Systeme Workshop 4: Spannungsfeld Innere Sicherheit vs. IT-Sicherheit Workshop 5: Die Cybersicherheitsstrategie Großbritanniens Workshop 6: Das Wettrüsten um Künstliche Intelligenz Meinungsmache durch digitale Medien – Gefahren für die Demokratie? Führen im digitalen Zeitalter? Podiumsdiskussion: Politik und Kontrollmöglichkeiten von Cyber-Aktivitäten Fazit und Ausblick

Meinungsmache durch digitale Medien – Gefahren für die Demokratie?

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Prof. Dr. Caja Thimm von der Universität Bonn stellte fünf Thesen zu Entwicklungen und Auswirkungen der Kommunikation in sozialen Medien vor und plädierte für mehr Bildung für digitale Kompetenz.

Während vor zehn Jahren das Time Magazine noch getitelt habe "Person of the Year: YOU – You control the information age. Welcome to your world" seien wir von einer Kontrolle der eigenen Daten und Botschaften heute weit entfernt, eröffnete Prof. Dr. Caja Thimm von der Universität Bonn ihren Vortrag.

Prof. Dr. Caja Thimm stellte unter anderem fünf Thesen zu Entwicklungen und Auswirkungen der Kommunikation in sozialen Medien vor. (© bpb/BILDKRAFTWERK/Zöhre Kurc)

Bei traditionellen Medien gab es einen Sender und viele Empfänger. In Zeiten von Social Media sei hingegen jeder seine eigene PR-Agentur, jeder empfange und sende. Was im Vergleich zu früher bzw. zu den Traditionsmedien wie Zeitung, Radio oder Fernsehen fehle, sei eine Gate Keeping-Funktion. Es fehle eine Instanz, die Nachrichten filtert, überprüft und ausrecherchiert, so dass nur noch wenige als relevant erachtete Nachrichten bei den Empfängern landeten. Dies habe großen Einfluss auf den Diskurs – auf das, was "wir als Öffentlichkeit kannten", so Thimm. Sie präsentierte im Folgenden fünf Thesen, die hier kurz skizziert werden.

These 1: Fake News (Falschnachrichten) ist ein Ausdruck, der die Realität verschleiert

Es gehe den Verbreitern um Propaganda, Agitation, politische Hetze, sprich: um Lügen, so Thimm. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, das intendiere, dass Lügennachrichten gemeldet werden sollten (flagging), habe viele Mängel. Wolle man wirklich die Frage, was falsch und Hass ist einem Giganten wie Facebook überlassen? Thimm stellte einige prominente Falschmeldungen vor, etwa den Fall Lisa, auf den selbst der russische Außenminister Lawrow eingegangen sei. Prof. Dr. Thimm konstatierte, dass wir noch keine guten Gegenstrategien hätten, nicht gut vorbereitet seien, auf solche Falschmeldungen angemessen zu reagieren.

These 2: Lügen als politische Strategie

Anhand von Twitter seien Kommunikationsstrategien gut nachzuvollziehen, so Thimm. Donald Trump habe mit seinem Einsatz von Falschmeldungen auf Twitter die politische Kommunikation verändert und wurde vom Time Magazine auf dem Titel "Liar in Chief" genannt. Die Frage, ob es auch bei uns möglich wäre, dass offensichtliche Lügner an die Macht kämen, müsse man wohl mit Ja beantworten. Als Beispiel nannte Thimm den Politiker Krah, der mit Falschmeldungen zu überhöhten Gewaltopferzahlen auch über Twitter an die Öffentlichkeit ging. Diese seien schließlich von der Polizei dementiert worden. Thimm sprach von Verantwortungslosigkeit seitens solcher Politiker – Sie handelten nach dem Motto: "Irgendwas bleibt schon hängen." Positiv hob sie dagegen die Rolle der Polizei und einzelner Menschen und Organisationen hervor, die auf Falschmeldungen reagierten und Zahlen richtigstellten.

These 3: Rechte Gruppierungen schaffen sich eigene Mini-Öffentlichkeiten im Netz

Dort werden sie selten mit Gegenmeinungen konfrontiert, so dass sie sich ein emotionales Netzwerk schaffen können: einen digitalen Kokon. Populistische Bewegungen wie Pegida seien z.B. bei Facebook oder Twitter sehr aktiv und lobten einzelne Beiträge, gäben so direkte Unterstützung an die User. Posts wie "Ich bin Rassist und stehe dazu" würden so salonfähig. Medienkompetenz spiele eine wichtige Rolle, manipulierte Bilder und Videos würden häufig gepostet.

These 4: Glaubwürdigkeit und Vertrauen in politische Information gehen zunehmend verloren

Öffentlich-rechtliche Medien und Tageszeitungen genießen hohes Vertrauen. Boulevardpresse und Internet-Medien werde weniger vertraut. Dennoch beziehen laut einer Studie der Universität Mainz 52,8% der Jugendlichen ihre politischen Informationen aus dem Internet, 38% davon über Facebook. Die öffentlich-rechtlichen Medien seien zwar "out als Orte guter Unterhaltung, sie gelten aber als seriös und vertrauenswürdig in Bezug auf Nachrichten", so Thimm. Fact-Checking werde als wichtige Aufgabe für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (und die Zeitungen) angesehen. Sie lobte die Ansätze des öffentlich-rechtlichen Internet-Kanals FUNK. Es gebe eine Entfremdung zwischen Medien und Publikum, besonders bei Menschen, die sich vor allem auf Seiten von Alternativmedien und auf Videoplattformen informierten. Die Lügenpresse-Debatte hinterlasse Spuren, so Thimm. Es bestehe ein hoher Bedarf in Demokratie- und Medienbildung.

These 5: Viele der Propagandanachrichten ließen sich bisher durch journalistische Recherchen widerlegen – "deep fakes" sind eine ganz andere Form der Gefahr

"Deep fakes" sind Videos, die mit Software in einem Rendering-Verfahren z.B. Politikern beliebige Gesichtsausdrücke und Mundbewegungen "auflegen" können. Ihre Stimmen können nachgeahmt werden, so dass die Filme täuschend echt aussehen. Gerade in Zeiten politischer Anspannung berge dies hohes Manipulations- und Konfliktpotenzial.

Fazit: Digitale Zukunft = Digitale Kompetenz

Die wichtigste Aufgabe sieht Prof. Dr. Thimm in der Aufklärung der Bevölkerung, denn es handele sich nicht um ein vorübergehendes Problem. Das politische Ziel müsse sein: Erziehung zur "digitalen Lebenskompetenz". Dies sei auch eine zentrale Aufgabe für politische Bildung. Wir müssten uns auch mit der Frage "Was heißt digitale Werteordnung?" auseinandersetzen.

Dagegenhalten

Prof. Dr. Thimm spricht sich deutlich dafür aus, dass man dagegenhält – es sei wichtig, dass Menschen und Organisationen Fakten recherchieren und auch ihre anderslautenden Meinungen äußerten. Die Grundhaltung, dass Demokratie wehrhaft sein muss, könne jeder einzelne leisten. Es brauche aber mitunter viel Mut. Als Beispiel führt Thimm die Gruppe "Wir sind hier" an. In ihr haben sich Menschen, die viele Gegen-Postings veröffentlichen und dafür zum Teil im physischen Leben bedroht wurden, zusammengeschlossen. Man werde diejenigen, die Fake News verbreiten, nicht bekehren können. Aber es läsen viele mit, die man zum Nachdenken anregen könne, so Thimm.

Besonders öffentliche Institutionen sieht Thimm in der Pflicht, Fakten zu checken und falsche Zahlen und Meldungen zu korrigieren. Bisher habe man zu wenig investiert in digitale Demokratie. "Wir brauchen eine digitale Zivilgesellschaft und Kooperation mit digital kommunizierenden Kräften öffentlicher Ordnung", resümierte Prof. Dr. Caja Thimm.

Dokumentation: Katharina Reinhold

Fussnoten