Dr. Stephan Klingebiel vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik erläuterte, dass der globale Rahmen, in dem sich Entwicklungspolitik vollziehe, in den letzten Jahren sehr viel komplexer geworden sei. Das bringe einen steigenden Bedarf an effektivem gemeinsamen Handeln mit sich. Das Weltordnungssystem sei in einer Phase der Pluralisierung und Konfusion (nationalistische Strömungen in Europa, den USA und im globalen Süden), China und andere Gestaltungsmächte (rising powers) forderten die alten Weltmächte heraus. Auch in Deutschland werde die Entwicklungspolitik von immer mehr Organisationen und Fachministerien bearbeitet, die alle international aktiv seien.
Die entwicklungspolitische Perspektive auf diese Veränderungen zeige, dass die Partnerländer sehr differenzierte Entwicklungen genommen hätten. Auch wenn der Wohlfahrtszugewinn global sei, so sei der unterschiedliche Grad an Wohlstandsprofiten offensichtlich und das Wohlstandsgefälle in den ehemaligen Entwicklungsländern erheblich. Das typische Partnerland in der Entwicklungspolitik gebe es nicht mehr. Heute hätten Entwicklungsländer einen besseren Zugang zu eigener und externer Finanzierung, auch Akteure außerhalb der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) leisteten Beiträge in Form von Finanzierung, Wissen und strukturpolitischen Maßnahmen.
Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung
Der Referent erläuterte die Bedeutung der Agenda 2030 der UN als eine universale Agenda. Handlungsansätze – auch für die Sicherheits- und Verteidigungspolitik – gebe es für die lokale, nationale, europäische und globale Ebene. Als Defizit bezeichnete es der Referent, dass die Agenda 2030 kaum Innovationen zur trans- und internationalen Kooperation enthalte. Auffallend seien auch erhebliche Lücken zwischen den gesetzten Zielen und den erwartbaren Fortschritten bis 2030. Beispielsweise seien die maritimen Umweltschutzziele angesichts des Plastikmülls nicht realistisch.
Zentral für die Agenda 2030 seien Gestaltungsmächte wie China, Indien, Südafrika oder Brasilien. Mit diesen Ländern müsse intensiver kooperiert werden. Das gelte auch für die Süd-Süd-Kooperation, nicht zuletzt wegen der Bereitstellung globaler öffentlicher Güter wie z.B. Sicherheit.
Veränderungen und neue Strategien
Strukturveränderungen hätten sich in der EZ ergeben u.a. weil sich die Zahl der Bereitsteller von Mitteln erhöht habe (bilaterale Geber, vertikale Fonds, private Stiftungen, Süd-Süd-Kooperationen). Auf Seiten der "Nachfrager" sinke die Zahl der berechtigten Staaten, weil die Länder graduierten. Profile und Bedürfnisse der Hilfsempfänger änderten sich, deshalb müsse über bestehende Strategien und Instrumente der Kooperation neu nachgedacht werden.
Ausblick
Die EZ, so Dr. Klingebiel, sei ein wichtiger Faktor im System der internationalen Zusammenarbeit, allerdings würden noch weitere Ansatzpunkte zur Beförderung der Agenda 2030 mit ihren siebzehn Nachhaltigkeitszielen benötigt. Neue Kooperationsvereinbarungen seien daher ebenso wichtig wie die Formulierung von Normen und Standards für abhängige Staaten (Niedrigeinkommensländer, fragile Staaten). Die Ziele müssten klar formuliert werden, wenn Armutsbekämpfung nicht länger die zentrale Problemstellung sei. Wichtig sei eine strategische Allokation zukünftiger Finanzhilfen (z.B. Mittel, die im Kontext des Klimawandels vergeben werden). Benötigt würden ehrliche Bestandsaufnahmen, Kooperationen und Reformen.
Dokumentation: Christiane Toyka-Seid