Moritz Brake, Doktorand am King‘s College London und Marineoffizier, nannte zum Einstieg in die Thematik der Seenotrettung Zahlen des Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen: Etwa 65,5 Millionen Flüchtlinge gibt es weltweit. Davon sind etwa 40 Millionen Binnenflüchtlinge. Etwa 2 Millionen Menschen fliehen in Richtung Europa. Zu den größten Aufnahmeländern gehören die Türkei (etwa drei Millionen Flüchtlinge) und der Libanon (etwa eine Million Flüchtlinge). Rückläufig sind die Zahlen der Menschen, die seit 2015 über das Mittelmeer nach Europa geflohen sind. Den Hauptgrund dafür sieht Brake in der EU-Türkei-Vereinbarung. Laut UN-Angaben sind zwischen 2014 und 2017 etwa 14.500 Menschen im Mittelmeer ertrunken, die Dunkelziffer liegt weit darüber.
Bei der Annährung an das Thema unterschied der Referent zwischen Akteuren und Interessen: Zu den Akteuren zählte er Flüchtlinge, die EU und ihre Aufnahmestaaten, die Türkei, die Herkunftsländer und Schleuser. Die Interessen umfassten neben moralischen und rechtlichen Überlegungen auch pragmatische Sachzwänge. Brake verwies auf Dilemmata, die einfachen Lösungen entgegenstünden. Wie sich diese Probleme in maritime Strukturen einpassen und welche Governance Rules zum Tragen kommen, wurde kontrovers diskutiert.
Für Seeleute sei es rechtliche wie menschliche Verpflichtung, Menschen in Seenot zu retten. An Rettungsaktionen beteiligten sich Marine- wie auch Handelsschiffe, seit 2015 auch Nichtregierungsorganisationen mit gecharterten Schiffen. Grundsätzlich seien Kooperationen zwischen zivilen und militärischen Stellen erforderlich, um Rettungsmaßnahmen effizient durchzuführen.
Es gebe zwischen den Beteiligten Gesprächsformate mit verschiedenen Gruppen, gleichwohl ohne Einbindung von Reedereien. Viele Containerschiffe seien jedoch aufgrund der Höhe ihrer Schiffswände nicht in der Lage, Menschen aufzunehmen. Wenn aber Flüchtlinge gerettet würden, könne das für die aufnehmenden Schiffe problematisch sein, beispielsweise da an Bord keine ausreichende Versorgung gewährleistet ist.
Dass es an vorausschauenden Planungen und Strategien fehle, zeige sich u.a. an der Situation in Libyen. Italien habe vor dem internationalen Militäreinsatz in Libyen 2011 klar gemacht, dass die internationale Gemeinschaft sich um den Wiederaufbau des Landes kümmern müsse. Dies sei nicht erfolgt mit dramatischen Folgen wie u.a. der großen Zahl von Flüchtlingen aus diesem Land, von denen viele auf dem Meer den Tod fänden.
Diskutiert wurde die Rolle von Frontex, die ein "Werkzeug in der Hand der EU" sei und keine eigenen Interessen verfolge. Es gebe, so Brake, kein Mandat für Frontex, Flüchtlinge aus Europa herauszuhalten oder abzudrängen. Kein Schiff bringe Flüchtlinge nach Libyen zurück. Allerdings gäbe es die Kooperation mit der libyschen Küstenwache, die Flüchtlingsboote daran hindern solle, die 12 Seemeilen-Grenze zu erreichen.
Die nationalen Rechtsvorschriften zum Umgang mit Flüchtlingen auf See seien unterschiedlich. Auf US-amerikanischen Schiffen gebe es Schnellverfahren zur Klärung der Asylberechtigung. Aber Flüchtlinge müssten den gleichen Zugang zu Gerichten wie Staatsbürger haben. Die beste Voraussetzung für Staaten, auf See mit Flüchtlingen umzugehen, seien bilaterale Abkommen wie zwischen der EU und der Türkei.
Im Kontext der Flüchtlingsfrage müssten neben rechtlichen, politischen und moralischen Fragen auch Sachzwänge diskutiert werden wie z.B. der Wählerwille. Hier traf Brake eine klare Aussage: "Wir haben noch immer kein volles Boot, sondern wir sollten uns darauf vorbereiten, unser europäisches Boot seetüchtiger zu machen"
Dokumentation: Christiane Toyka-Seid