Umweltmigration
Bereits zu Beginn stellte die Referentin Dr. Jeannette Schade (Universität Bielefeld) klar, dass sie die Begriffe "Umwelt"- oder "Klimaflüchtlinge" skeptisch sieht. Es handle sich dabei um strategische Begriffe, mit denen verschiedene Organisationen versucht hätten, zum Beispiel bei internationalen Klimaverhandlungen Druck auszuüben und Lobbyarbeit zu betreiben. Der inhaltliche Schwerpunkt des Workshops lag sie daher auf dem Thema Umweltmigration.
Der Workshop begann mit einer Brainwriting- Übung, bei der die Teilnehmenden gemeinsam eine Definition des Begriffs Umweltmigration entwickeln sollten. Anschließend wurden konkrete Ursachen aus den Bereichen Umwelt und Klima gesammelt, die Menschen dazu veranlassen, ihre Heimat zu verlassen. Dabei unterschied Dr. Schade zwischen Auswirkungen des menschlich verursachten Klimawandels, natürlichen und menschgemachten Umweltveränderungen.
Dr. Schade stellte eine Definition für Umweltmigranten des IOM Glossary on Migration vor: "Umweltmigranten sind Personen oder Personengruppen welche vorwiegend aus Gründen plötzlicher bzw. fortschreitender Veränderung ihrer Umwelt und damit einhergehender nachteiliger Veränderung ihres Lebens oder ihrer Lebensverhältnisse ihre Häuser permanent oder zeitweilig verlassen müssen bzw. sich dazu entscheiden dies zu tun und somit innerhalb ihres Landes oder international migrieren."
Man könne verschiedene sogenannte Kontinua unterscheiden, so Schade – etwa, ob die Umweltveränderung natürlich oder menschgemacht sei, oder ob die Geschwindigkeit plötzlich oder schleichend verlaufe. Auch bei der Migration müsse man unterscheiden, ob sie temporär oder permanent sei, ob die Entfernungen geringer oder höher seien, wie hoch der Grad persönlicher Entscheidungsmacht sei: ob die Migration freiwillig oder unfreiwillig geschehe. Man könne interne und grenzüberschreitende Migration unterscheiden und Stadt oder Land als Ziel.
Haushalts- und Anpassungsstrategien
Dr. Schade referierte anschließend über Migration als Haushalts- oder Anpassungsstrategie an Umweltveränderungen. Zahlreiche Familien des globalen Südens schickten eines oder mehrere Familienmitglieder an andere Orte, um dort Geld zu erwirtschaften, von dem sie Teile nach Hause zu ihrer Familie zurücküberweisen. Für zahlreiche Haushalte, deren Lebensgrundlage von Klima- oder Umweltveränderungen bedroht wird, sei dies bereits gelebte Überlebensstrategie, so Schade. In Afrika südlich der Sahara machten solche Rücküberweisungen nach einer Studie der Weltbank teilweise 80% der Haushaltseinkommen aus. Diese Rücküberweisungen helfen, Notlagen zum Beispiel aufgrund von Dürre und Nahrungsmittelengpässen zu überbrücken.
Power-Walk Handlungsspielräume
Bei der Methode "Power Walk" erhielten 8 Workshopteilnehmende einen Zettel mit einer Rollenbeschreibung und einigen Informationen über Wohnort, soziale Bindungen und den Einfluss einer Natur- oder Klimakatastrophe auf das Leben der Person. Alle 8 Teilnehmenden stellten sich nebeneinander auf eine Linie. Dr. Schade stellte einige Fragen zu Migrationswünschen und –möglichkeiten der verteilten Rollen. Entsprechend durften die Teilnehmenden einen Schritt vor oder zurückgehen. Die Beobachter/-innen gaben nach dem Spiel Einschätzungen über die Rollen ab. Im Anschluss stellten die Teilnehmenden ihre Rollenbiografien vor. Dabei wurde deutlich, wie unterschiedlich die Voraussetzungen und Handlungsspielräume für eine Migration aus Umwelt- oder Klimagründen sind, wie unterschiedlich auch Beweggründe sein können, seine Heimat zu verlassen oder auch nicht.
Die Teilnehmenden diskutierten über die Vor- und Nachteile von Migration als Haushaltsstrategie und den sozialen Druck, den dies für die Migranten bedeutet.
Lösungsvorschläge
Lösungsmaßnahmen im Hinblick auf klima- und umweltbedingte Verschlechterung der Lebensverhältnisse seien verbessertes Katastrophenmanagement in vielen Staaten, geplante Umsiedlungen (die allerdings sozial schwierig umzusetzen und zu verdauen wären), Stadtplanung und bessere Landnutzungsplanung, die verwundbare Gruppen schütze und stärke. Wichtig sei auch die Stärkung von Mobilität. Stellschrauben sehe sie in der Migrationspolitik der Herkunfts- und Zielländer, der Flüchtlingspolitik und in einer kohärenten Klimapolitik, so Schade. Als weitere mögliche Anpassungsstrategien an Umweltveränderungen nannte Dr. Schade etwa Investitionen in dürreresistentes Saatgut oder andere Tierarten, außerdem Investitionen in die Bildung der Kinder.
Ihr Anliegen sei es, bei Umweltmigration genau und differenziert hinzuschauen und sie nicht nur negativ zu betrachten, sagte Dr. Schade. Umweltmigrationspolitik sei kein neues Politikfeld, sondern vielmehr ein klassisches Querschnittsthema.
Dokumentation: Katharina Reinhold