Zunächst stellte Lehmann die Defizite im Flüchtlingsschutz vor, vor allem anhand von Zahlen und Studien des UNHCR. Besonders die adäquate Unterbringung von Geflüchteten sei ein großes Problem – in Syrien etwa lebten nur 5% der Flüchtlinge in angemessener Behausung, so Lehmann. Auch Staatenlosigkeit, Statusbestimmung, Kinderschutz, sexuelle Gewalt und Bildung seien unter anderem als thematische Defizite in UNHCR-Einsätzen erkannt worden.
Die Gründe für diese schlechte Lage im Flüchtlingsschutz seien vielfältig und regional unterschiedlich, dazu gehöre, dass zu wenig Geld da sei um die Bedürfnisse zu decken, hinzu käme fehlender Zugang zu Asyl und zu Schutz in anderen Staaten, die zunehmende Urbanisierung oder der fehlende Zugang zum Arbeitsmarkt. "Das humanitäre System ist bankrott", so Lehmann. Zwar sei so viel Geld im Topf wie nie zuvor, jedoch sei auch der Bedarf so hoch wie nie. Im Südsudan etwa seien etwa nur 1% des Bedarfs an Mitteln für den Flüchtlingsschutz gedeckt. Bestimmte humanitäre Krisen würden vergessen, je nachdem, welche Region gerade im Zentrum medialer Aufmerksamkeit stünde.
Auch die hohe Anzahl der Organisationen, die in der Flüchtlingshilfe tätig seien, sei nicht nur positiv zu bewerten, denn die Koordination beanspruche viel Zeit und Ressourcen, der bürokratische Aufwand sei hoch, so Lehmann. Er bemängelt eine fehlende Verschränkung von humanitärer Hilfe und längerfristigen Entwicklungsperspektiven. Zu oft handle die internationale Gemeinschaft reaktiv statt präventiv. Zudem sei der internationale Rechtsrahmen sehr biegsam.
Zur Frage, welche Handlungsempfehlungen man der deutschen Politik geben könne, sagte Lehmann, dass eine Möglichkeit wäre, mehr Geld zu geben. Man müsse sich aus seiner Sicht einige Fragen stellen: Handeln wir pflichtgeleitet oder pragmatisch? Orientieren wir uns am Kriterium Bedarf oder Mehrwert? Deutschland als humanitärer globaler Akteur könnte sich einiger Aspekte annehmen: Es könnte sich einsetzen für eine stärkere Zentralisierung des humanitären Systems sowie für den stärkeren Einsatz von Barmitteln statt Sachspenden, so Lehmann. Leider geschehe vielerorts und auch aktuell in Deutschland genau das Gegenteil. Dabei reduziere der Einsatz von Barmitteln den Aufwand erheblich. Deutschland könnte sich auch einsetzen für neue Mechanismen der Verantwortungsteilung mit Anreizen für die Flüchtlingsaufnahme per Resettlement. Auch ein neues Finanzierungsmodell des UNHCR sei bedenkenswert sowie der Aufbau von Asylsystemen dort, wo es realistisch sei und die entsprechenden Institutionen fehlten.
Dokumentation: Katharina Reinhold