Flüchtlinge versus Gutmenschen - Wort und Unwort des Jahres 2015 spiegelten das beherrschende Thema in Medien und gesellschaftlicher Debatte wider, so Thomas Krüger. Es sei sehr bedeutsam, wie in Deutschland über Fluchtzuwanderung gesprochen werde – denn Sprache schaffe Realitäten und präge das Bild von der Wirklichkeit, so Krüger.
Gerade in den Medien würden durch Begrifflichkeiten wie "Ansturm", "Flutwelle", "Flut" Bedrohungsszenarien entworfen, die an Naturkatastrophen erinnerten. Gruppierungen wie Pegida oder die Partei AfD schürten mit ihrer verallgemeinernden negativen und dämonisierenden Wortwahl Ängste in der Bevölkerung.
Als positive Entwicklung sah Krüger die "größte bürgerschaftliche Bewegung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland" im Engagement für die Flüchtlingshilfe. Dass die Helfer/-innen und Unterstützer/-innen von anderen abfällig als "Gutmenschen" bezeichnet würden, diffamiere ihre Hilfsbereitschaft als naiv.
Aktuelle Herausforderungen
Deutschland und Europa stünden nun vor vielen Aufgaben: zum Beispiel die Bekämpfung krimineller Schlepperbanden, in die auch die Bundeswehr im Rahmen der Operation Sophia im Mittelmeer involviert ist, sowie die Bekämpfung von Fluchtursachen, etwa durch eine stabilisierende Nachbarschaftspolitik mit Libyen. Leider sei die Europäische Union gespalten, die Tendenzen gingen in vielen Staaten in Richtung geschlossener Grenzen und Obergrenzen für Flüchtlinge. Krüger sieht den Schengen-Raum in Gefahr.
Ängste und Gefahren
Islamistische oder frauenverachtende Gewalt zum Beispiel bei den Anschlägen von Paris 2015 und die Ausschreitungen von Köln in der Silvesternacht schürten Ängste und Gefühle von Bedrohung in der Bevölkerung, so Krüger. Zwar agiere die Terrororganisation IS zunehmend international und auch in Europa. Krüger stellte jedoch in Frage, ob die Gefahr durch als Flüchtlinge getarnte eingereiste Terroristen wirklich so groß sei. Die Diskussion brächte in jedem Fall die Gefahr einer Stigmatisierung von Flüchtlingen als potenzielle Gewalttäter mit sich. Ausländer- und islamfeindliche Einstellungen seien in der Bevölkerung bereits weit verbreitet.
Rolle der politischen Bildung
Krüger wies darauf hin, dass es dringend einer kritischen Zivilgesellschaft bedürfte. Diese brauche überparteiliche politische Bildungsangebote, sowohl kurz- als auch langfristig. Als Zielgruppen identifizierte er zum einen die neu ankommenden Menschen, die mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung Deutschlands vertraut gemacht werden müssten. Hinzu kämen die aufnehmende Gesellschaft sowie die haupt- und ehrenamtlichen Helfer/-innen. Viele der Geflüchteten seien gekommen, um zu bleiben. Wichtig sei nun eine beiderseitige Integration und die Anpassung von Strukturen. Es sei wichtig, Vorurteile zu entkräften und sich gegen Diskriminierung einzusetzen. "Das gesellschaftliche ‚Wir‘ wird umfassender und vielschichtiger", so Krüger. Die Debatte müsse zwar nicht emotionslos, jedoch sachlich geführt werden, um eine Spaltung der Gesellschaft zu verhindern. Er hoffe, dass die politische Bildung und diese Tagung einen Beitrag dazu leisten könnten, "Licht in das Dunkel" zu bringen.
Dokumentation: Katharina Reinhold