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Podiumsdiskussion: Einsatz für die Gesellschaft und die Demokratie als Bürgerpflicht? Braucht eine starke Demokratie eine Dienstpflicht? | 19. Bensberger Gespräche 2024 | bpb.de

19. Bensberger Gespräche 2024 Zusammenfassung Einführende Bemerkungen Eröffnungsstatements Podiumsdiskussion: „Dienen“ für Deutschland Aktuelle Stunde zum Nahost-Konflikt Open Space Workshop 1 - Opferbereitschaft von Soldatinnen und Soldaten Workshop 2 - Debatte zur Wiedereinsetzung der Wehrpflicht Workshop 3 - Strategische Kultur Workshop 4 - „Geistige Landesverteidigung“ Workshop 5 - Die Werteentwicklung in der Gesellschaft Vortrag - Vergleich der Dienste an der Gesellschaft Impulsvortrag und Diskussion: Ideen für ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr für alle Podiumsdiskussion: Einsatz für die Gesellschaft und die Demokratie

Podiumsdiskussion: Einsatz für die Gesellschaft und die Demokratie als Bürgerpflicht? Braucht eine starke Demokratie eine Dienstpflicht?

Martin Bayer

/ 5 Minuten zu lesen

In der multiperspektivischen Podiumsdiskussion zeigte sich, wie unterschiedlich die Ansätze und Hintergründe für die Gestaltung eines gesellschaftlichen Dienstes ausfallen können.

Teilnehmende der Podiumsdiskussion (v. l. n. r.): Lasse Rebbin, stv. Bundesvorsitzender der Jusos; Annegret Kramp-Karrenbauer, Bundesministerin der Verteidigung a.D.; Dr. Jörn Fischer, Universität zu Köln und Mitherausgeber der Zeitschrift „Voluntaris“ sowie Yasemin Soylu, Geschäftsführerin von Teilseiend e.V. und der sich in Gründung befindlichen Muslimischen Akademie Heidelberg (© Bundeswehr/Caldas Hofmann)

Status quo soziales Engagement

Zu Beginn der kontroversen Diskussion fragte die Moderatorin Dr. Kristin Becker nach eigenen Erfahrungen mit einem Freiwilligendienst. Yasemin Soylu, Geschäftsführerin von Teilseiend e.V. und der sich in Gründung befindlichen Muslimischen Akademie Heidelberg, ging nach ihrem Schulabschluss mit dem Europäischen Freiwilligendienst in die Türkei, die sie davor nur aus dem familiären Umfeld kannte. Für sie war die Zeit mit der Erkenntnis verknüpft, dass eigenes Handeln wahrgenommen wird – eine Erkenntnis, die ihr den Anstoß zu ihren Projekten Teilseiend e. V. und die Muslimische Akademie Heidelberg gab. Dr. Jörn Fischer, Senior Research Associate an der Universität zu Köln und Mitherausgeber der „Voluntaris – Zeitschrift für Freiwilligendienste“, ging seinerzeit nach Uruguay – für ihn mit der bleibenden Erkenntnis, wie gut es den Menschen in Deutschland gehe.

Der stellvertretende Bundesvorsitzende der Jusos, Lasse Rebbin, ärgerte sich darüber, dass immer wieder die Debatte aufkomme, die jungen Menschen sollten endlich etwas zur Gesellschaft beitragen. Die Frage nach der gesellschaftlichen Solidarität werde damit abgetan, dass man sie mit einer Pflicht durchsetzen wolle – doch 63 bis 66 Prozent der Jugendlichen engagierten sich bereits laut einer Erhebung des Deutschen Kinder- und Jugendhilfswerks. Rebbin betrachtete es als fraglich, ob ein freiwilliges Engagement mit einer Verpflichtung gestärkt werden könne. Auch Fischer attestierte, dass es nicht viele Pflichten in Deutschland gäbe, doch eine weitere Pflicht würde das Staatswesen kaum befördern – viel klüger sei es, „keine weitere Pflicht hinzuzufügen, sondern ein weiteres Recht“. Ein erster Schritt sei der Abbau vorhandener Hürden: Jeder Mensch solle das Recht auf einen Freiwilligendienst haben, was auch entsprechend gesetzlich verankert werden müsse – beim bisherigen Freiwilligendienst gäbe es eine klare Bevorzugung von Abiturienten; ebenso müssten die Freiwilligendienststellen entsprechend gefördert werden. Auf die Rückfrage nach der Notwendigkeit eines entsprechend aufwändigen Qualitätsmanagements antwortete Fischer, das Bundesamt für [Familie und] zivilgesellschaftliche Aufgaben habe noch Kapazitäten. Rebbin pflichtete ihm bei, dass zuerst die Rahmenbedingungen geschaffen werden müssten, bevor man über eine Dienstpflicht reden könne.

Die ehemalige Verteidigungsministerin und frühere Parteivorsitzende der CDU, Annegret Kramp-Karrenbauer, betrachtete die Debatte zu Recht oder Pflicht für einen Dienst als zutiefst deutsch: Zuerst müssten alle Rahmenbedingungen bis ins Kleinste ausgearbeitet werden, bevor etwas getan würde – bis dahin könne man warten. Hier seien andere Gesellschaften schneller, die auch mal etwas ausprobieren und dann anpassen würden. Rebbin erinnerte an die neuen Formen des sozialen Engagements: junge Menschen gingen auf die Straße oder machten etwas online.

Soylu erklärte, dass ein Freiwilliges Soziales Jahr in vielen Familien keine Selbstverständlichkeit sei, sondern hart erkämpft werden müsse: Nicht zuletzt abhängig vom sozialen Umfeld seien Ausbildung, Studium und vor allem der Eintritt in das Berufsleben von größter Bedeutung. Sie selbst habe vom Europäischen Freiwilligendienst erst dadurch erfahren, dass sie Leute kennengelernt hatte, die dort aktiv waren. Wie kann man also die jungen Menschen besser erreichen? Die emotionale Ebene sei dabei zentral: „Es hat etwas mit mir zu tun“, die Frage nach dem Sinn; dieser könne auch die Pflege eines Großelternteils sein. Für viele Menschen seien die Impulse da, etwas freiwillig zu leisten, doch sei es fraglich, ob auch die Räume zur Entfaltung vorhanden seien.

In einer live am Veranstaltungsort durch Fischer durchgeführten Online-Umfrage unter den Teilnehmenden wählten 18 Prozent den absolut verpflichtenden Dienst; 25 Prozent den Pflichtdienst mit bedingtem Opt-Out (Sachgründe sprechen hierbei für eine Befreiung vom Dienst); 15 Prozent einen Pflichtdienst mit der Möglichkeit, ihn abzuwählen; 8 Prozent die Information an alle Jugendlichen mit einer verpflichtenden Rückmeldung, ob man sich beteiligen wolle; 5 Prozent die Information an alle Jugendlichen ohne eine solche Erklärungspflicht; 0 Prozent die Fortführung des aktuellen Modells; und 28 Prozent das von Fischer propagierte Modell einer Einladung zum Freiwilligendienst an alle Jugendlichen mit Rechtsanspruch auf einen Dienstplatz.

Zwischen Pflichten und Möglichkeiten

Der stellvertretende Bundesvorsitzende der Jusos Rebbin unterstrich, dass es förderlich sein könne, Menschen in einer bestimmten Lebensphase zusammenzubringen, damit sie etwas gemeinsam erleben – eine Pflicht sei dabei aber nicht hilfreich, denn diese genannten Möglichkeiten gäbe es ja bereits, nur müssten diese mehr gefördert werden. Falls eine Dienstpflicht so gut für die Integration sei, müssten auch andere Altersgruppen miterfasst werden. Soylu sah eine Dienstpflicht als Möglichkeit einer besseren Integration insofern als kritisch, als dass sich dort die erlebte Ausgrenzung in den angebotenen Räumen wiederholen würde; somit müsse sichergestellt werden, dass sich alle sicher und repräsentiert fühlten. In ihrem Bildungsträger arbeite ein 17-jähriger Schulabbrecher im Rahmen des Bundesfreiwilligendienstes – er hatte sich bewusst für einen muslimischen Bildungsträger entschieden, da er dort das Gefühl habe, verstanden zu werden; hierfür sei zudem viel psychosoziale Betreuung notwendig. Kramp-Karrenbauer betonte, dass wirkliche Integration nur erreicht sei, wenn auch Menschen ohne Migrationshintergrund bei Soylus Bildungsträger arbeiten würden – und verwies gleichzeitig auf die wachsende Fragmentierung innerhalb der Gesellschaft, dem ein allgemeiner Bundesfreiwilligendienst im Positiven zuwiderlaufe.

Die Dringlichkeit einer erhöhten Wehrhaftigkeit wurden auch in dieser Debatte adressiert: Kramp-Karrenbauer betonte die Bedeutung eines diesbezüglichen Bewusstseins in der Gesellschaft. Mit dem Verweis auf den einstigen Bundeskanzler Helmut Schmidt und dessen Ansatz zur Abschreckung unterstrich sie, dass es sich hierbei nicht nur um mehr Ausrüstung und Personal für die Bundeswehr handle, sondern um ein anderes Mindset. Rebbin erläuterte, dass bei den Jusos nun mehr verteidigungspolitische Debatten geführt würden, bis hin zur Unterstützung von Waffenlieferungen für die ukrainischen Streitkräfte und Vorstellungen zu einer europäischen Armee. Zwar hätten sich die Jusos gegen das Sondervermögen für die Bundeswehr gestellt, doch nicht wegen des Nutznießers, sondern da es eine Möglichkeit sei, die Schuldenbremse zu umgehen, und es somit auch ein Sondervermögen für Bildung, Soziales etc. benötige. Soylu verwies auf die Anfragen von Schulen, Bildungsangebote zu entwickeln, um „die Besprechlichkeit beizubehalten“. Kramp-Karrenbauer erinnerte daran, dass in Bundeswehr/THW/Feuerwehr ausgebildete Menschen in Krisensituationen oft anders reagierten – den Erste-Hilfe-Kurs als Basiswissen könnte man auch immer wieder auffrischen, doch nur die wenigsten würden dies auch tun.

Dokumentation: Martin Bayer

Fussnoten

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