Freiwilligkeit oder Verpflichtung?
Zum Einstieg in ihren Impulsvortrag erzählte die ehemalige Verteidigungsministerin und frühere Parteivorsitzende der CDU, Annegret Kramp-Karrenbauer, von ihrer 1929 geborenen Mutter: Diese musste während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft ein Pflichtjahr erdulden, das sie als Zwang und Zeichen der Ausbeutung billiger Arbeitskräfte erfuhr; Zeit ihres Lebens lehnte ihre Mutter somit einen Pflichtdienst jeglicher Couleur ab. Diese Bevorzugung der Freiwilligkeit gegenüber eines Pflichtdienstes prägte auch ihre Tochter.
Frage man Personen, die von der früheren Wehrpflicht betroffen waren – seien es eingezogene Soldaten oder auch ihre Angehörigen –, so würden zu einem kleineren Teil der Beitrag zur Landes- und Bündnisverteidigung sowie jener zur allgemeinen Ertüchtigung vorgehoben; der weitaus größere Teil der Befragten nenne dafür eigene – wenn auch sicherlich im Laufe der Zeit teils verklärte – Erfahrungen. An oberster Stelle stehe hierbei die Beurteilung der Dienstzeit als einzige Zeit ihres Lebens, in der sie mit unterschiedlichsten Menschen „zusammengeworfen“ worden waren, unabhängig von Herkunft und sozialer Stellung. Damit ginge die zu Demut führende Anerkennung einher, dass andere (und dabei nicht zuletzt sozial schlechter gestellte) Personen in vielen Aspekten besser als man selbst sein konnten. Hinzu kämen natürlich auch Äußerungen von Müttern, die sich darüber freuten, dass der einst chaotische Sohn nun „ordentlich“ durchs Leben gehe, und dazu eine gewisse Portion Selbstständigkeit gelernt habe.
Bei einem Werkstattgespräch innerhalb der CDU zu einem allgemeinen Gesellschaftsdienst, zu dem auch die Konzeptentwickler des Bundesfreiwilligendienstes geladen waren, sei der massive Eingriff in die Persönlichkeits- und Freiheitsrechte der Betroffenen konstatiert worden. Selbst bei unterschiedlichen Rechtsauffassungen kam man überein, dass hierfür eine Anpassung des Grundgesetzes unvermeidbar wäre.
Bei der Bundeswehr lief der Modellversuch unter dem Namen „Ein Jahr für Deutschland“. Doch wie könnten die Rahmenbedingungen verbessert und die soziale Verträglichkeit sichergestellt werden? „Es darf kein Billigmodell sein“, so Kramp-Karrenbauer – der Dienst müsste entsprechend entlohnt werden, einschließlich entsprechender sozialer Absicherung. Somit würde er den Staat zumindest zu Beginn viel Geld kosten – doch auf lange Sicht würde er auf vielfältige Weise hilfreich sein.
Ein Dienst für alle
Der Dienst müsse alle Geschlechter und auch alle Menschen mit verfestigtem Aufenthaltstitel in Deutschland (und nicht nur deutsche Staatsbürger) umfassen, gegebenenfalls mit der Option einer beschleunigten Einbürgerung. Mit dem Modell des gemeinsamen Gesellschaftsdienstes könnte ein gemeinsames Staatsbürgerverständnis geschaffen werden, der auch einen Integrationsaspekt enthält. Innerhalb der Bundeswehr würden Optionen mit nichtdeutschen Staatsbürgern jedoch kritisch gesehen: als mögliche Wahrnehmung des Outsourcings der Sicherheit an andere, da nicht mehr ausreichend deutsche Bürger dazu bereit seien. Hierbei verwies Kramp-Karrenbauer auf Hannah Arendt und ihren Fokus auf die an konkretes Handeln gebundene Verantwortung als Lösung.
In Deutschland sei oft eine hohe Erwartungshaltung der Bürgerinnen und Bürger an die Politik anzutreffen, die für sie Lösungen schaffen soll. Doch anders als in anderen Ländern, wo Geld oder soziale Herkunft (z.B. geknüpft an den Besuch spezifischer Eliteschulen) entscheidend seien, könne jeder in Deutschland Politikerin oder Politiker werden. Viele Menschen engagierten sich auch freiwillig, ob in der Politik, in Vereinen oder anderweitig ehrenamtlich, doch alle ließen sich mit reiner Freiwilligkeit nicht erreichen. In einer Gemeinschaft hätten alle Rechte, aber eben auch Pflichten – und mit einem gemeinsamen Dienst könnte dies unterstrichen und praktisch ausgestaltet werden. Auf jeden Fall müsse er alle gesellschaftlichen Bereiche beinhalten, somit nicht nur die Bundeswehr und den sozialen Sektor, sondern auch THW/Feuerwehr/Rotes Kreuz, ökologische Dienste, kulturelle Bereiche, oder auch ein Dienst im europäischen Ausland (letzterer sei bereits mit dem Bundesfreiwilligendienst möglich). Eine offene Frage wäre, ob die Ableistung der Dienstzeit an einem Stück oder in Etappen erfolgen würde. Auf jeden Fall habe ein solches Gesellschaftsjahr die große Chance, alle Bürgerinnen und Bürger zusammenzubringen.
In der anschließenden lebhaften Diskussion verwies die Moderatorin Dr. Kristin Becker auf den ungeliebten Pflichtdienst in der DDR und fragte, wie man sich von diesem abgrenzen könne. Kramp-Karrenbauer erinnerte an die bei vielen jungen Menschen anzutreffende Orientierungslosigkeit nach dem Ende der Schulausbildung – ein Gesellschaftsdienst könne auch hier erlebte Orientierung bieten. Vielleicht gäbe es auch die Möglichkeit, innerhalb der Dienstzeit die Bereiche zu wechseln, um mehr und unterschiedliche Erfahrungen sammeln zu können. So erzählte Kramp-Karrenbauer von einem Soldaten, der nach seinem COVID-Hilfseinsatz in einem Pflegeheim die Bundeswehr verließ, da er seine berufliche Bestimmung im Pflegebereich gefunden hatte – eine Vorstellung, die ihm zuvor völlig abwegig erschienen war, und für den auch zuvor ein Freiwilliges Soziales Jahr keine Option gewesen war.
Selbstverständlich wurden auch die zu erwartenden hohen Kosten durch Fragen thematisiert: Hier sei eine Debatte über die Kernaufgaben des Staates notwendig, sowie ein generelles Wirtschaftswachstum, um die steigenden Kosten in jeglichem Bereich zu bewältigen, und die klare Einsicht in die Notwendigkeit zu sparen. Eine Sanktionierung von Totalverweigerern sei schwer möglich – doch ein Pflichtentzug ohne Konsequenzen entzöge der Pflicht jegliche Grundlage. Somit sollten gegebenenfalls Anreize den Dienstantritt sicherstellen. Ein weiteres Thema war die Generationengerechtigkeit – denn keinen der Tagungsteilnehmenden würde ein solches Pflichtjahr betreffen.
Die Frage, wie ein Freiwilligendienst attraktiver gestaltet werden könnte, wurde ebenfalls gestellt, wäre doch der Aufwand enorm hoch, einen solchen Pflichtdienst einzuführen, während er vermutlich eher unattraktiv bliebe. Kramp-Karrenbauer erläuterte daraufhin, dass zuvorderst das Bewusstsein und der Wille stehe, sein eigenes Land zu verteidigen – wird dies nicht adressiert, wird der Dienst niemals wirklich interessant sein. Die Debatte um eine mögliche Dienstpflicht sollte jedoch nicht die Bestrebungen aufhalten, einen freiwilligen Dienst so attraktiv wie möglich zu gestalten.
Auch die Dringlichkeit eines Dienstjahres aus sicherheitspolitischen Erwägungen wurde intensiv diskutiert. Kramp-Karrenbauer unterstrich hierbei die große Dringlichkeit, denn Russland habe schnell auf Kriegswirtschaft umgestellt. Grundsätzlich sei zu klären: „Wie verteidigungsbereit sind wir?“ Die baltischen Länder hätten hier eine andere Bedrohungswahrnehmung, ebenso Schweden, das sich nun für eine NATO-Mitgliedschaft entschieden habe. „Der Hauptpunkt ist, dass wir begreifen, nicht auf einer Insel der Glückseligen zu leben – wir müssen letztendlich für unsere eigene Sicherheit sorgen.“, so Kramp-Karrenbauer.
Dokumentation: Martin Bayer