Martin Wöckener, Referent u.a. für politische Bildung im Niedersächsischen Kultusministerium, stieg mit einem Ausschnitt aus dem Podcast „Was tun, Herr General?“ in die Thematik ein: Sollten aufgrund des darin konstatierten geringen Bildes zur Bundeswehr an den Schulen mehr Jugendoffiziere in die Schulen gehen, und sollten die Themen Bundeswehr und Sicherheitspolitik verstärkt im Unterricht aufgegriffen werden? Dies sei allerdings nicht nur die Frage nach einer quantitativen, sondern auch einer qualitativen Auseinandersetzung mit einer alles andere als einfachen Thematik.
Sogleich wurden die Teilnehmenden mit der an sie gerichteten Frage eingebunden, wann sie zuletzt (beruflich) an einer Schule tätig waren. Die Rückmeldungen reichten von „vor wenigen Wochen“ (z.B. als Bildungsreferent und abgeordnete Lehrkraft für den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V.) bis zu „einigen Jahren“ (z.B. als ehemaliger Jugendoffizier).
Wöckener definierte im Anschluss die zeitgenössischen Rahmenbedingungen: Multiple Krisen (Klimawandel, Extremismus, Rechtspopulismus, Digitalisierung/Künstliche Intelligenz, Pandemien, Medienkonsum, internationale Konflikte), damit einhergehender Partizipations- und Vertrauensverlust sowie diverse Versuche der politischen Einflussnahme auf Schulen (in diesem Zusammenhang verwies er auf die Handreichung der Kultusministerkonferenz „Demokratiebildung an Schulen“ aus dem Jahr 2018). Die Bildung an deutschen Schulen könne somit als „krisenbehaftet“ gesehen werden. Eine kurze Beschreibung unserer Welt könne etwa auch mit dem Akronym „VUCA“ geschehen (volatility, uncertainty, complexity, ambiguity – Unbeständigkeit, Unsicherheit, Komplexität, Unklarheit). Diesen Herausforderungen könne man mit Kommunikation, kritischem Denken, Kreativität und Kollaboration begegnen.
Als konkrete Beispiele zur Entwicklung und Förderung von Zukunftskompetenzen nannte Wöckener den Ansatz der im Jahr 2012 unter anderem von der ehemaligen Schulleiterin Margret Rasfeld gegründeten „Schule im Aufbruch“. So würden im Projekt „Frei Day“ projekt- und selbstorganisiertes Lernen unterstützt: Mindestens vier Stunden pro Woche arbeiteten die Jugendlichen an einem selbstgewählten, praktisch umsetzbaren Thema; dies erfolge bewertungsfrei und fördere unmittelbare Sachkompetenzen. Das Projektkonzept „Herausforderung“ folge dem Ansatz von „Lernen im Leben“. Die Jugendlichen sollen hierbei Unternehmungen mit Lebensweltorientierung durchführen, indem sie beispielsweise mit einem vorhandenen Budget von 20 Euro innerhalb von sieben Tagen von Niedersachsen an die Nordsee bei einem möglichst geringen ökologischen Fußabdruck gelangen müssen. Dies fördere Fachkompetenzen, aber auch eigenverantwortliche Bewältigung von Anforderungssituationen; auch dies erfolge bewertungsfrei. Neben Teamfähigkeit und Kooperation würden Entscheidungsfreude, Verantwortungsübernahme sowie Konflikt- und Dialogfähigkeit trainiert. Die Zielebene sei Lernen über/durch/für Demokratie, wobei in der Operationalisierung Schule als Lebens- und Lernort der Demokratie gesehen werde. Demokratiebildung sei hierbei als Querschnittsaufgabe zu sehen, in der diesbezügliche Kompetenzen vorgelebt, vermittelt und vor allem aktiv erworben und angewendet werden müssten. Die Unterrichtsentwicklung sei hierbei partizipativ. Die Herausforderung bleibe jedoch, wie Demokratiebildung gestaltet werden könne, die über ritualisierte Vorhaben (z. B. Schule ohne Rassismus) hinausgehe?
Seit 2023 stellt sich laut Wöckener vermehrt die Frage, wie sich der Krieg in der Ukraine auf unsere Gesellschaft auswirke, und nannte das Beispiel des durch Verteidigungsminister Pistorius adressierten Begriffs der „Kriegstüchtigkeit“. Weit verbreitet seien hingegen Projekte wie „Schulfrei für die Bundeswehr“, die unter dem Kampfbegriff „Kein Werben fürs Töten und Sterben!“ gegen den Besuch von Jugendoffizieren an Schulen vorgingen. Letztendlich seien die Schulen hierbei in der Selbstverantwortung.
Als Workshop-Aufgabe wurde den Teilnehmenden angetragen, die Aufgaben der Bundeswehr an den Schulen Schleswig-Holsteins in der Kooperationsvereinbarung zwischen dem Kultusministerium und dem Landeskommando jenes Bundeslandes aus dem Jahr 2021 herauszuarbeiten. In der Diskussion wurde festgestellt, dass es recht weite Möglichkeiten der Zusammenarbeit gäbe, wohingegen sich die Bundeswehr selbst uneinig sei, inwieweit Offiziere dort ethische Bildung vermitteln dürften. Ebenso wurde kritisch hinterfragt, wo der Mehrwert liege: Was könne in diesem Kontext ein Jugendoffizier vermitteln, was nicht auch eine Politikwissenschaftlerin oder ein Politikwissenschaftler könne? Wie ließe sich die Trennung zwischen (erlaubter) Information über die Arbeit der Bundeswehr und (verbotener) Werbung für die Bundeswehr gestalten?
Moderation: Martin Wöckener, Niedersächsisches Kultusministerium
Dokumentation: Martin Bayer