Ricarda Steinbach, Oberstleutnant der Reserve und Geschäftsführerin der RS StraCo, startete den Workshop mit einem Überblicksvortrag über die „Bundeswehr im Wandel von Selbst- und Fremdbildern“, wobei sie auf die Rolle von Soldatinnen und Soldaten in der heutigen Gesellschaft im Spannungsfeld zwischen Tradition, soldatischem Selbstverständnis, Digitalisierung und Individualisierung einging. Anhand einer überblicksartigen Gegenüberstellung der Geschichte der deutschen Gesellschaft und die der Bundeswehr wurde u.a. deutlich, dass die Bundeswehr bzw. generell das Soldatentum in der Gesellschaftsgeschichte immer auch kritisch betrachtet wurde. Aus Gesellschaftssicht sei es zudem schwierig, die Leistungsfähigkeit von Soldaten zu bemessen; dazu komme das Dilemma, dass die Kampfkraft der Bundeswehr in der gesellschaftlichen Aufmerksamkeit eher nachrangig fokussiert werde.
Die Bundeswehr - ein Spiegelbild der Gesellschaft?
Hieran schloss sich eine Gruppendiskussion an, ob die Bundeswehr das Spiegelbild der Gesellschaft darstelle. Dies wurde mehrheitlich verneint, da beispielsweise Frauen und auch Migrantinnen und Migranten verhältnismäßig wenig in der Bundeswehr vertreten seien. Inwieweit ein weiter zunehmender gesellschaftlicher Individualisierungstrend, aber auch die Einstellungen der jungen Generationen, wie die der Generation Z, in einem Spannungsfeld zu den (hierarchischen) Strukturen der Bundeswehr stünden, wurde ebenfalls gemeinsam diskutiert. Für Diskussion sorgten auch die präsentierten Umfragewerte in Bezug auf das gesellschaftliche Vertrauen in die Bundeswehr (laut Statista gaben ca. 70 Prozent der Bevölkerung durchgehend zwischen 2020 und 2023 an, der Bundeswehr „eher zu vertrauen“), da sich dieses generelle Vertrauen wenig in der medialen Darstellung über den Zustand der Bundeswehr spiegele. Inwieweit eine Wehrpflicht mit den Grundsätzen der Demokratie, die auf Freiheit, aber auch auf Verantwortung ausgerichtet ist, vereinbar sei, war ebenfalls Teil der gemeinsamen Diskussion.
Wozu dient die Wehrpflicht?
In einer anschließenden Mentimeter-Abfrage wurden die Einstellungen der Teilnehmenden insbesondere in Bezug auf mögliche Funktionen der Wehrpflicht abgefragt und ausgewertet: Als militärische und außenpolitische Funktionen nannten die Teilnehmenden vor allem Verteidigung, Sicherheit, Abschreckung, der Dienst für die Gesellschaft und das Signal an die Verbündeten zur Verantwortungsübernahme. Als staatliche und gesellschaftliche Funktionen wurden vor allem gesellschaftlicher Zusammenhalt bzw. Kohäsion, Stärkung der Einheit, der Dienst an der Gesellschaft, die Machtdurchsetzung, Loyalität zum Staat, ein Zeichen einer resilienten Demokratie sowie die Bundeswehr als Sozialisationsinstanz gesammelt. Individuelle Funktionen der Wehrpflicht waren für die Teilnehmenden insbesondere die Möglichkeit der Orientierung, ein Angebot der Strukturierung sowie ein rite de passage – also der Übergang in das Erwachsenwerden.
Das Für und Wider der Einführung einer Wehrpflicht
Als Praxisteil des Workshops wurde im nächsten Schritt ein politischer Salon simuliert, bei dem die Teilnehmenden die Rollen von Parteivertreterinnen und -vertretern annahmen und aus diesen Positionen heraus für oder gegen die Einführung einer Wehrpflicht argumentieren sollten. Zur Vorbereitung sammelten die Teilnehmenden in Kleingruppen Argumente für die jeweiligen Positionen der Parteien und einigten sich auf eine Diskussionsstrategie. In dem moderierten Gespräch des politischen Salons wurden von den Teilnehmenden beispielhaft folgende Argumente vorgebracht: Für die Einführung einer Dienstpflicht – mit Wahlmöglichkeit zwischen militärischem und zivilem Dienst – spreche aus Sicht der Teilnehmenden die Notwendigkeit einer größeren Resilienz von Staat und Gesellschaft im heutigen Kontext von multiplen Krisen. Die Wehr- bzw. Dienstpflicht müsse dabei aber zeitgemäß ausgestaltet sein und alle Bevölkerungsgruppen gleichwertig ansprechen. Gegen die Einführung einer Wehr- bzw. Dienstpflicht spreche beispielsweise, dass eine Verpflichtung im Gegensatz zu dem eigenen Demokratieverständnis stehe, das auf Freiheit und Selbstbestimmung ausgelegt sei. Zudem behindere eine Pflicht die eigene Biografiesouveränität. Der Fokus solle statt auf einer Dienst- bzw. Wehrpflicht lieber auf die Professionalisierung und gute Ausstattung der Bundeswehr gerichtet werden. Die Diskussion des politischen Salons zeigte Ambivalenzen innerhalb der (eingenommenen) Positionen der Parteien auf (sowie auch im Hinblick auf die – teilweise anders gelagerten – Positionen ihrer eigenen Wählerschaft), sowie die generelle Schwierigkeit, Wehrgerechtigkeit zu erreichen.
Moderation: Ricarda Steinbach, Oberstleutnant der Reserve und Geschäftsführerin der RS StraCo
Dokumentation: Ruth Malzkorn