Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung
Zum ersten Mal fanden die Bensberger Gespräche in Göttingen und somit in einem stärker in der Mitte Deutschlands gelegenen Ort statt – ein Wunsch vieler bisheriger Teilnehmender, wie Thomas Krüger in seiner Begrüßung ausführte. Der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) erinnerte zu Beginn an den Vorschlag des damaligen Bundeskanzlers Konrad Adenauer aus dem Jahr 1957, die Bundeswehr auch mit taktischen Nuklearwaffen auszurüsten – und an die Erklärung der „Göttinger Achtzehn“, die sich vehement dagegen ausgesprochen hatten. Jenes Manifest namhafter Naturwissenschaftler, darunter Otto Hahn und Werner Heisenberg, sei damals gesellschaftlich weit rezipiert worden. Seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine sei die Frage nach einem schützenden Nuklearschirm für Europa aktueller denn je: Am 18. März 2024 jährt sich die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Russland bereits zum zehnten Male, und auch der Terrorangriff der Hamas auf Israel mit dem sich daraus ergebenen Krieg habe Konsequenzen für die Sicherheit Europas.
Thomas Krüger zitierte unter anderem die Friedens- und Konfliktforscherin Nicole Deitelhoff, die einerseits eine „Enttabuisierung des Militärischen in der öffentlichen Debatte“ konstatierte, andererseits aber auch, dass die „Realität des Krieges nicht in der Öffentlichkeit angekommen“ sei. Die beiden Experten für Sicherheits- und Verteidigungspolitik, Christian Mölling und Claudia Major, kämen in einem Beitrag in der Zeitschrift „Aus Politik und Zeitgeschichte“ aus dem Jahr 2023 zu einer ähnlichen Einschätzung: Es gehe nicht darum, Krieg gutzuheißen, sondern die Unbeholfenheit der deutschen Gesellschaft zu überwinden, mit Krieg als Realität umzugehen. Es stelle sich also die Frage, wie Deutschland nun mit der veränderten Sicherheitslage umgehen werde? Thomas Krüger verwies auf Eva Högl, die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, die analog zu Schweden zumindest die Musterung aller jungen Menschen vorschlage. Der Bundespräsident und Vertreter der CDU sprächen über die Möglichkeit einer allgemeinen gesellschaftlichen Dienstpflicht, und auch das Verteidigungsministerium prüfe verschiedene Modelle auf ihre Umsetzbarkeit.
Dem Land könne man jedoch nicht nur im aufopferungsvollen Soldatenberuf dienen, so Krüger; vielmehr sei die Gesamtverteidigung zentral, die auch den Schutz kritischer Infrastrukturen, Vorsorge (z.B. Energie- und Nahrungsversorgung) und den Katastrophenschutz beinhalte: So beschrieb Krüger das Erstaunen der finnischen Politikwissenschaftlerin Minna Ålander, dass es in Deutschland überhaupt kein Krisenmanagement gäbe – es werde zwar reagiert, aber nicht vorausschauend geplant. Eine existenzielle Bedrohungslage sei in Finnland präsenter; dementsprechend würde dort die Wehrpflicht zwar viel diskutiert, letztendlich aber nicht abgeschafft.
„Im Ernstfall kann es auf jeden Einzelnen ankommen“, so Thomas Krüger. In der Tat forderten seit einigen Jahren multiple Krisen Resilienz und Krisenkompetenz von jeder einzelnen Person. Hierbei sei die politische Bildung in ihrer konstruktiven Rolle gefragt, sei es bei der Hinterfragung und Deutung von Begriffen oder dem sachgerechten Umgang mit Widersprüchen. Nicht zuletzt dankte Thomas Krüger dem Organisationsteam der beiden Projektpartner bpb und Zentrum Innere Führung der Bundeswehr (ZInFü).