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Einführende Bemerkungen | 19. Bensberger Gespräche 2024 | bpb.de

19. Bensberger Gespräche 2024 Zusammenfassung Einführende Bemerkungen Eröffnungsstatements Podiumsdiskussion: „Dienen“ für Deutschland Aktuelle Stunde zum Nahost-Konflikt Open Space Workshop 1 - Opferbereitschaft von Soldatinnen und Soldaten Workshop 2 - Debatte zur Wiedereinsetzung der Wehrpflicht Workshop 3 - Strategische Kultur Workshop 4 - „Geistige Landesverteidigung“ Workshop 5 - Die Werteentwicklung in der Gesellschaft Vortrag - Vergleich der Dienste an der Gesellschaft Impulsvortrag und Diskussion: Ideen für ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr für alle Podiumsdiskussion: Einsatz für die Gesellschaft und die Demokratie

Einführende Bemerkungen

Martin Bayer

/ 4 Minuten zu lesen

Der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung Thomas Krüger und Brigadegeneral Robert Sieger, Stellvertretender Kommandeur des Zentrums Innere Führung, eröffneten die 19. Bensberger Gespräche mit ihrem Blick und grundsätzlichen Gedanken zum Tagungsthema.

„Im Ernstfall kann es auf jeden Einzelnen ankommen“, so der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung Thomas Krüger. In der Tat forderten seit einigen Jahren multiple Krisen Resilienz und Krisenkompetenz von jeder einzelnen Person. Hierbei sei die politische Bildung in ihrer konstruktiven Rolle gefragt. (© Bundeswehr/Caldas Hofmann)

Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung

Zum ersten Mal fanden die Bensberger Gespräche in Göttingen und somit in einem stärker in der Mitte Deutschlands gelegenen Ort statt – ein Wunsch vieler bisheriger Teilnehmender, wie Thomas Krüger in seiner Begrüßung ausführte. Der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) erinnerte zu Beginn an den Vorschlag des damaligen Bundeskanzlers Konrad Adenauer aus dem Jahr 1957, die Bundeswehr auch mit taktischen Nuklearwaffen auszurüsten – und an die Erklärung der „Göttinger Achtzehn“, die sich vehement dagegen ausgesprochen hatten. Jenes Manifest namhafter Naturwissenschaftler, darunter Otto Hahn und Werner Heisenberg, sei damals gesellschaftlich weit rezipiert worden. Seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine sei die Frage nach einem schützenden Nuklearschirm für Europa aktueller denn je: Am 18. März 2024 jährt sich die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Russland bereits zum zehnten Male, und auch der Terrorangriff der Hamas auf Israel mit dem sich daraus ergebenen Krieg habe Konsequenzen für die Sicherheit Europas.

Thomas Krüger zitierte unter anderem die Friedens- und Konfliktforscherin Nicole Deitelhoff, die einerseits eine „Enttabuisierung des Militärischen in der öffentlichen Debatte“ konstatierte, andererseits aber auch, dass die „Realität des Krieges nicht in der Öffentlichkeit angekommen“ sei. Die beiden Experten für Sicherheits- und Verteidigungspolitik, Christian Mölling und Claudia Major, kämen in einem Beitrag in der Zeitschrift „Aus Politik und Zeitgeschichte“ aus dem Jahr 2023 zu einer ähnlichen Einschätzung: Es gehe nicht darum, Krieg gutzuheißen, sondern die Unbeholfenheit der deutschen Gesellschaft zu überwinden, mit Krieg als Realität umzugehen. Es stelle sich also die Frage, wie Deutschland nun mit der veränderten Sicherheitslage umgehen werde? Thomas Krüger verwies auf Eva Högl, die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, die analog zu Schweden zumindest die Musterung aller jungen Menschen vorschlage. Der Bundespräsident und Vertreter der CDU sprächen über die Möglichkeit einer allgemeinen gesellschaftlichen Dienstpflicht, und auch das Verteidigungsministerium prüfe verschiedene Modelle auf ihre Umsetzbarkeit.

Dem Land könne man jedoch nicht nur im aufopferungsvollen Soldatenberuf dienen, so Krüger; vielmehr sei die Gesamtverteidigung zentral, die auch den Schutz kritischer Infrastrukturen, Vorsorge (z.B. Energie- und Nahrungsversorgung) und den Katastrophenschutz beinhalte: So beschrieb Krüger das Erstaunen der finnischen Politikwissenschaftlerin Minna Ålander, dass es in Deutschland überhaupt kein Krisenmanagement gäbe – es werde zwar reagiert, aber nicht vorausschauend geplant. Eine existenzielle Bedrohungslage sei in Finnland präsenter; dementsprechend würde dort die Wehrpflicht zwar viel diskutiert, letztendlich aber nicht abgeschafft.

„Im Ernstfall kann es auf jeden Einzelnen ankommen“, so Thomas Krüger. In der Tat forderten seit einigen Jahren multiple Krisen Resilienz und Krisenkompetenz von jeder einzelnen Person. Hierbei sei die politische Bildung in ihrer konstruktiven Rolle gefragt, sei es bei der Hinterfragung und Deutung von Begriffen oder dem sachgerechten Umgang mit Widersprüchen. Nicht zuletzt dankte Thomas Krüger dem Organisationsteam der beiden Projektpartner bpb und Zentrum Innere Führung der Bundeswehr (ZInFü).

Lange Zeit sei das Konzept der Inneren Führung als Weichspülung soldatischer Fähigkeiten gescholten worden, doch sie sei vielmehr Teil der „DNA einer einsatzbereiten Bundeswehr“, erklärte Brigadegeneral Robert Sieger vom Zentrum Innere Führung der Bundeswehr. (© Bundeswehr/Caldas Hofmann)

Brigadegeneral Robert Sieger, Stellvertretender Kommandeur Zentrum Innere Führung

Brigadegeneral Robert Sieger vom ZInFü konstatierte in seinem anschließenden Grußwort, dass die Welt nach einer Zeitenwende nie dieselbe sei wie davor – ein simples „weiter so“ sei damit ausgeschlossen. Er erinnerte an einige der vielen bisherigen Zeitenwenden: die Umgestaltung der Bundeswehr zur Interventionsarmee, auch im Gefolge einer weiteren Zeitenwende (9/11); der Fall der Mauer mit dem Ende der jahrzehntelangen Zweiblockkonfrontation; die Aufstellung der Bundeswehr als Folge des Koreakrieges; oder auch die preußische Heeresreform aufgrund der veränderten Bedingungen napoleonischer Kriege. General Sieger zitierte hierbei Gerhard von Scharnhorst, der vor über 200 Jahren bemerkte: „Jeder Bürger eines Staates ist der geborene Verteidiger desselben.“ Doch wer sind diese Bürgerinnen und Bürger heute und was heiße Verteidigung heute – sei es im Frieden, in der Krise oder gar im Krieg?

Lange Zeit sei das Konzept der Inneren Führung als Weichspülung soldatischer Fähigkeiten gescholten worden, doch sie sei vielmehr Teil der „DNA einer einsatzbereiten Bundeswehr“, wie auch die politische Bildung einen wichtigen Baustein für den Staatsbürger in Uniform bilde – auch und gerade jetzt, da Landes- und Bündnisverteidigung wieder zur primären Aufgabe der Streitkräfte wurde. Was jedoch bedeute die von Bundesverteidigungsminister Pistorius adressierte (und oft als verstörend oder gar kriegstreiberisch wahrgenommene) „Kriegstüchtigkeit“ in Zeiten von hybrider Kriegsführung, Cyberangriffen und terroristischen Bedrohungen? Auf die Frage, ob sie bereit seien, Deutschland notfalls zu verteidigen, antworteten nur 20 Prozent bejahend – in Finnland sei es umgekehrt. Dementsprechend sei, wie General Sieger ausführte, neben einer Zeitenwende auch eine Gedankenwende notwendig, um einem potenziellen Gegner eben nicht nur militärisch, sondern gesamtgesellschaftlich begegnen zu können. Doch was seien uns unsere Werte und gesellschaftlichen Errungenschaften tatsächlich wert? Und wie lasse sich die Bereitschaft stärken, militärisch, aber auch zivil der Gesamtgesellschaft zu dienen? Wie stehe es um Deutschlands Schwächen bei der Umsetzung der propagierten Zeitenwende, sei es militärisch oder auch gesamtgesellschaftlich? All diese Fragen und noch mehr solle diese Konferenz ansprechen und in einer offenen Debatte diskutieren. Nicht zuletzt dankte auch General Sieger dem Organisationsteam und dem Projektpartner bpb für die gemeinsame Planung dieser Tagung.

Dokumentation: Martin Bayer

Fussnoten

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