Statt des ursprünglich geplanten Vortrags „Bedingt abwehrbereit? Deutschlands Schwäche in der Zeitenwende“ von Prof. Dr. Carlo Masala von der Universität der Bundeswehr München, dessen Teilnahme durch den bundesweiten Bahnstreik verhindert worden war, fand ein von der Geschäftsführerin des Herbert-Wehner-Bildungswerks und Vorsitzenden des Arbeitskreises deutscher Bildungsstätten, Karin Pritzel, moderierter „Open Space“ statt. Hierzu wurden die Teilnehmenden aufgefordert, Themenbereiche vorzuschlagen, um die sich im Anschluss Kleingruppen bildeten, deren Ergebnisse nachfolgend präsentiert und diskutiert wurden. Die Themenfelder lauteten:
Wie lassen sich ausländische/migrantische Menschen für die Bundeswehr gewinnen?
Dienstpflicht: Vom schwedischen zum deutschen Modell?
Bedingt abwehrbereit?!
Politische Bildung in der Bundeswehr: Erfahrungen, Erleben, Bedeutungen
Zum ersten Thema der Personalgewinnung von Menschen mit Migrationshintergrund oder gar nichtdeutscher Staatsbürgerschaft für die Bundeswehr besah man sich in der Gruppe unterschiedliche Modelle wie die Wehrpflicht, das Milizsystem (ein grundsätzliches Mustern aller Bürger wie in der Schweiz) oder auch Fremdenbataillone (z. B. die französische Fremdenlegion, Gurkhas, Sikhs). Wichtig sei ein gemeinsames Verständnis der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, aber auch des Wertefundaments. Könnte die Bundeswehr ein Ort sein, an dem diese Menschen in einer Art „Schule der Nation“ zu Auftrag, Werten, Grundordnung etc. ausgebildet würden – oder müsste die Gesellschaft von Beginn an anders mit Menschen migrantischen Hintergrunds umgehen? Zentral dürfte die Frage der Loyalität sein: Manche Teilnehmenden fanden es ausreichend, dass die Soldatinnen und Soldaten Wehrsold erhielten; andere hingegen betrachteten die Motivation für den Eintritt in die Streitkräfte deutlich kritischer – denn es handele sich bei der Bundeswehr nicht um einen „normalen (Staats-)Job“, da nicht nur eigene Freiheiten eingeschränkt würden, sondern die eigene Gesundheit und das eigene Leben gefährdet sein könnten, und nicht zuletzt zu kämpfen auch bedeuten würde, gegnerische Kräfte zu töten. Dem wurde entgegengesetzt, dass zwar immer wieder junge Menschen aus rein monetären Gründen zur Bundeswehr gingen, doch würde es in den meisten Fällen im Rahmen der individuellen Persönlichkeitsentwicklung gelingen, das Verständnis herauszubilden, dass es um mehr gehe.
Schwedisches Modell als Vorbild?
Beim Abgleich des zweiten Themenfelds, zwischen dem schwedischen Modell einer Dienstpflicht mit den Debatten in Deutschland, wurden in der Gruppe unterschiedliche Varianten besprochen: von einer Dienstpflicht mit „bedingtem Opt-Out“ (also der Möglichkeit, sich der Dienstpflicht aus Sachgründen zu entziehen) und dem schwedischen Modell (s.u.), über eine Widerspruchslösung (vergleichbar mit dem hierzulande viel diskutierten Ansatz bei der Organspende) oder die Information mit Rückmeldepflicht bis hin zu einer Einladung zu einem freiwilligen Dienst mit Rechtsanspruch. Das schwedische Modell sei derzeit freiwillig, solange sich genügend Freiwillige meldeten (was aktuell der Fall sei); beim Unterschreiten der benötigten Mindestzahl würden jedoch Wehrpflichtige eingezogen. Bezogen auf die Gesamtbevölkerung würden von 100.000 jungen Menschen 5.000 (bald 10.000) eingezogen. Bei der Diskussion wurde festgestellt, dass es in Deutschland – anders als in Schweden – eine hohe Diskurstradition der Gleichbehandlung gäbe. So wurde 2011 die Wehrpflicht in Deutschland vor allem deswegen ausgesetzt, da die Wehrgerechtigkeit nicht mehr gegeben war. In anderen Ländern stehe diese Wehrgerechtigkeit nicht im Vordergrund. Eine weitere Option wäre die Musterungspflicht, sei es für den ganzen Jahrgang oder nur einen Teil daraus. Ebenso wurden unterschiedliche Modelle zur Zielsetzung diskutiert: Von einer wie auch immer gearteten Wehrgerechtigkeit abgesehen, benötige die Bundeswehr überhaupt hunderttausende junge Menschen, oder würden die Streitkräfte damit nicht eher lahmgelegt werden (von den notwendigen Investitionen in Infrastrukturen etc. ganz abgesehen)? Auch in dieser Arbeitsgruppe kam man nicht zu einem eindeutigen Fazit.
Bedingt abwehrbereit – auch durch mangelndes gesellschaftliches Verständnis?
In der dritten Arbeitsgruppe „Bedingt abwehrbereit?!“ kam zuerst die Frage auf, welche Faktoren man tatsächlich beeinflussen könne und welche nicht. Welche Folgen hätten wiederum wünschenswerte Entwicklungen? So verfüge die Bundeswehr über zu wenig Munition; würde man diese jedoch im größeren Maße zur Verfügung stellen, hätte man aktuell nicht die notwendigen Lagerkapazitäten. Es benötige also zuerst andere Investitionen. Einig war man sich, dass die Wahrnehmung persönlicher Betroffenheit wichtig sei. Zudem existierten in der Bevölkerung oft nur unklare Vorstellungen, was die Arbeit und den Alltag von Soldatinnen und Soldaten ausmache; ehrliche Kommunikation nach innen wie nach außen sei somit wichtig. Hierbei wurde kritisch angemerkt, dass häufig zu hören sei, man könne mit Kommunikation Probleme lösen. Doch nach „Zeitenwende“ googeln pro Monat gerade mal 2.600 Menschen; ergänze man diesen vermeintlich oft gehörten Begriff gar um „Bundeswehr“, reduziere sich die Zahl auf gerade mal 100. Auch der Slogan „Wir. Dienen. Deutschland.“ reflektiere nur die Binnensicht der Bundeswehr – denn in der Zivilgesellschaft sei das Dienen schlecht konnotiert und somit unattraktiv. Während die verteidigungspolitischen Richtlinien sehr klar seien (zum ersten Mal würde dort auch von einer Gesamtstrategie gesprochen), müssten die Menschen erst noch erreicht werden. Politische Bildung sei jedoch eine bleibende Herausforderung: Wen könne man überhaupt erreichen, über das ältere Bildungsbürgertum hinaus – und würde man bei all diesen Veranstaltungen nicht sowieso primär „den Bekehrten predigen“? Perspektivenwechsel seien grundsätzlich anzuraten. Als interessant bleibt es anzumerken, dass die in den Medien oft adressierten Ausrüstungsaspekte in dieser Gruppe kaum eine Rolle spielten – vielmehr wurde primär der gesellschaftliche Ansatz einer Gesamtverteidigung diskutiert.
Politische Bildung in der Bundeswehr: Zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Die vierte Arbeitsgruppe zur politischen Bildung in der Bundeswehr führte einerseits Wünsche und andererseits negative Erfahrungen auf: So wünsche man sich kürzere Planungsphasen, aufgeschlossene Gruppen, guten Informationsfluss, eine enge Verzahnung zwischen interner politischer Bildung und externer Anbieter, einen Erlebnischarakter der Bildungsvermittlung und guten Kontakt zu festen Ansprechpersonen. Diesem Bereich wurden negative Erfahrungen gegenübergestellt: der Zwangscharakter verpflichtender Veranstaltungen auf Befehl, die passive Konsumhaltung oder auch das mangelnde Interesse mancher Teilnehmender, wenig Offenheit für zivil-militärischen Dialog, divergierende Interessen (Bildungsinhalte vs. Teambuilding), lange Planungsphasen ohne enge Kommunikation bei wechselnden Ansprechpersonen sowie der hohe bürokratische Aufwand.
Moderation: Karin Pritzel, Herbert-Wehner-Bildungswerk.
Dokumentation: Martin Bayer