"Die Früchte der Globalisierung sind sowohl in als auch zwischen den Ländern ungleich verteilt worden."
ILO-Weltkommission für die soziale Dimension der Globalisierung
"Arm und Reich benutzen im Urwald den selben Pfad"
Sprichwort aus Ghana
Ungleichheiten zwischen Ländern
Das Einkommensgefälle zwischen den reichsten und ärmsten Ländern hat über die letzten Jahrzehnte deutlich zugenommen. Volkswirtschaftlich betrachtet haben vor allem die Industrieländer bisher am meisten von der Globalisierung profitieren können. Die Industrieländer waren dank ihrer starken wirtschaftlichen Basis, ihres Reichtums an Kapital und Fachkenntnissen und ihrer technologischen Führungsposition in einer guten Ausgangssituation – sie haben vom internationalen Güteraustausch und von der Erschließung neuer Märkte profitiert. Einigen wenigen Schwellenländern ist es gelungen, mit ihren Produkten konkurrenzfähig auf dem Weltmarkt zu werden und bedeutende Mengen an ausländischen Direktinvestitionen anzuziehen. An der Spitze dieser Gruppe standen die ursprünglichen Schwellenländer Ostasiens (die sog. "Tigerstaaten" Südkorea, Taiwan und Singapur), die sich inzwischen in Bezug auf Einkommen und Wirtschaftsstrukturen den Industrieländern angenähert haben. Hinzu kamen weitere Länder, zu den insbesondere die sog. "BRICS Staaten" (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) gehören. Einige andere Länder scheinen dies auch erreichen zu können. In den meisten Fällen bestanden in den erfolgreichen Schwellenländern relativ günstige Ausgangsbedingungen in Gestalt einer früheren Industrialisierung, des Niveaus der Bildungssysteme, einer Verkehrs- und Kommunikationsinfrastruktur und der Qualität wirtschaftlicher und sozialer Institutionen. Nicht alle diese Länder haben dabei dieselben Entwicklungsstrategien verfolgt. So haben insbesondere China, Indien und Vietnam, sämtlich Länder mit großen Binnenmärkten, ihre Märkte nur schrittweise geöffnet, während beispielsweise die Republik Korea auf massive staatliche Subventionen setzte, um ihre Industrieentwicklung in Schwung zu bringen. Der Großteil des Handels findet heute zwischen Industrieländern sowie einigen Schwellenländern statt. Sie sind auch das Hauptziel und die größte Quelle von ausländischen Direktinvestitionen.
Demgegenüber haben sich in vielen Entwicklungsländern die Hoffnungen, die mit der ökonomischen Globalisierung verbunden werden, nicht erfüllt. Sind sie die Globalisierungsverlierer? Der Abschlussbericht einer von der ILO eingesetzten Weltkommission für die soziale Dimension der Globalisierung kam vor rund acht Jahren zu der folgenden Schlussfolgerung: "Oft ist es ein Teufelskreis von Armut und Analphabetentum, Bürgerkonflikten, geographischen Nachteilen, unzulänglichen Regierungen und Verwaltungsstrukturen, und inflexiblen, weitgehend von einem einzigen Rohstoff abhängigen Volkswirtschaften. Viele von ihnen leiden darüber hinaus unter der Last hoher Außenschulden und dem Rückgang der Rohstoffpreise. Zudem kommen die Erlöse aus dem Handel mit Rohstoffen meist vorrangig einer kleinen Elite zu Gute. Vergrößert werden diese Probleme durch die anhaltenden protektionistischen Maßnahmen der Industrieländer für ihre Landwirtschaft. Sie hemmen den Marktzugang, während subventionierte Einfuhren gleichzeitig die lokalen landwirtschaftlichen Erzeuger gefährden. Gleichwohl sind einzelne Eliten, insbesondere in den Ölförderländern im Zuge der Öffnung der Weltmärkte zu beträchtlichem Reichtum gekommen" (ILO 2004, Globalisierung fair gestalten). Hinzu kommt, dass die Zielvorgabe von 0,7 Prozent des BIP für öffentliche Entwicklungszusammenarbeit, auf die sich die wohlhabenden Staaten im Rahmen der Vereinten Nationen verpflichtet haben, bislang nicht im Ansatz erreicht wird. Hohe Auslandsschulden führen letztlich sogar dazu, dass der Nettokapitalfluss (Entwicklungshilfe minus Zahlungen der Entwicklungsländer für Schuldentilgung und Zinsen) in vielen Fällen zugunsten der Industrieländer verläuft.
Ungleichheiten innerhalb von Ländern
Gleichzeitig ist auch innerhalb der meisten Industrie- und Schwellenländer die Schere zwischen arm und reich weiter auseinander gegangen. So stellte z.B. die im Dezember 2011 veröffentlichte OECD-Studie „Divided we stand – Why inequality keeps rising“ fest, dass die soziale Ungleichheit in den meisten OECD-Mitgliedsländern in den letzten Jahrzehnten stark gestiegen sei. So stieg der Gini-Koeffizient – ein statistisches Maß zur Darstellung von Ungleichverteilungen – im Schnitt von einem Wert von 0,29 Mitte der 1980er Jahre um fast 10% auf 0,32 am Ende der 2000er Jahre. In 17 von 22 OECD-Ländern, für die Langzeitdatenreihen vorhanden sind, hat sich die Ungleichheit vergrößert. Dabei ist gerade im letzten Jahrzehnt zu beobachten gewesen, dass die Schere nicht nur in „traditionell“ ungleichen Ländern wie den USA weiter auseinander gegangen, sondern dass auch in Ländern wie Schweden und Deutschland die Ungleichheiten deutlich zugenommen haben.
Als wesentliche Ursache für diese Entwicklung wird vor allem die unterschiedliche Entwicklung der Löhne und Gehälter angesehen. So ist die Lohnschere ist in den vergangenen 15 Jahren zwischen den obersten und untersten zehn Prozent der Vollzeitarbeitenden deutlich auseinander gegangen. In Deutschland verdienten z.B. mit durchschnittlich 57.300 Euro die obersten zehn Prozent der deutschen Einkommensbezieher im Jahr 2008 etwa achtmal so viel wie die untersten zehn Prozent (7.400 Euro).
Im Schnitt ist in den OECD-Ländern das Einkommen der reichsten 10% der Bevölkerung heute ungefähr neun mal so hoch wie das der ärmsten 10%. Allerdings unterscheiden sich die einzelnen Länder zum Teil weiterhin stark voneinander: Während dieses Verhältnis in den skandinavischen und einigen Kontinentaleuropäischen Ländern niedriger ist, weisen andere Länder ein deutlich höheres Verhältnis auf wie z.B. Israel, die Türkei und die USA (14:1) sowie Mexiko und Chile (27:1).
In den meisten Schwellenländern ist die Einkommensungleichheit weiterhin deutlich stärker ausgeprägt. Die Entwicklungen sind allerdings von Land zu Land unterschiedlich. So haben z.B. Brasilien und Argentinien nach Einschätzung der OECD in den vergangenen 20 Jahren deutliche Fortschritte bei der Verringerung der Ungleichheiten gemacht. Demgegenüber haben die Ungleichheiten in China, Indien, Russland und Süd-Afrika im gleichen Zeitraum zugenommen. Auch in Argentinien und Brasilien bleibt ein hohes Niveau an Ungleichheit bestehen.
Die OECD schlussfolgert, dass die Ergebnisse dieser Studie die Annahme widerlegten, dass Wirtschaftswachstum automatisch allen Bevölkerungsgruppen zugutekomme und dass Ungleichheit soziale Mobilität fördere. OECD-Generalsekretär Angel Gurría folgert aus dieser Entwicklung: „Zunehmende Ungleichheit schwächt die Wirtschaftskraft eines Landes, sie gefährdet den sozialen Zusammenhalt und schafft politische Instabilität – aber sie ist nicht unausweichlich“.