Hallo! Hallo! Hier Radio!
Geschichte der Radiosignale
Hans-Ulrich Wagner
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Rundfunkschlager, Pausenzeichen, Hymnen und Jingles – die Welt der Radiosignale ist äußerst vielseitig. Unzählige akustische Kennungen sollen die Aufmerksamkeit des Publikums auf den eigenen Sender und das eigene Programm lenken und die Hörerinnen und Hörer jeweils darüber informieren, welche Station sie gerade eingeschaltet haben. Diese klingenden und tönenden Visitenkarten sind untrennbar mit der Geschichte des Rundfunks verbunden. Sie erfüllten wichtige sende- und empfangstechnische Aufgaben und waren Gegenstand rundfunkpolitischer Debatten und eines nicht immer nur friedlichen Wettbewerbs im Äther. Durch ihren ständigen Einsatz, ihre leichte Erkennbarkeit und ihre Eingängigkeit übernehmen sie nach wie vor eine identitätsstiftende Rolle. Viele der Radiosignale gingen in das kulturelle akustische Gedächtnis ein und sind bis heute ein beliebtes Objekt für radionostalgische Erinnerungen.
Werbung für den Rundfunk
"Hallo, hallo! Hier Radio! / Das macht die Menschen lebensfroh. / Von früh bis spät brennt lichterloh / In Leid und Schmerz mein junges Herz fürs Radio. / Hallo, hallo! Das Mikrofon / Kennt selbst der kleinste Bengel schon. / Weiß jeder, ich bin da, / Wenn irgendwas geschah / Und rufen laut: Hurra!" Diese sich so nachdrücklich Gehör verschaffenden Zeilen bilden den Auftakt des sogenannten Norag-Marsches. Gesungen vom Hamburger Studio-Ensemble um Publikumslieblinge wie Bernhard Jakschtat, Isa Roland und Erwin Bolt wurde die Werbeschallplatte in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre rasch ein äußerst populärer Schlager. Der Norag-Marsch formulierte eine klare Werbebotschaft für das junge Medium Radio und wusste mit einem Potpourri von angesungenen Liedzeilen ein umfängliches Versprechen von Unterhaltung, Freude und Geselligkeit speziell mit dem Namen des Senders zu verbinden – der Norag, der Nordischen Rundfunk AG. Im Refrain heißt es: "Hier ist die Norag mit dem Detektor, hier ist die Norag für ihn und Hektor. Hier ist die Norag für Jedermann, der zwei Mark im Monat noch bezahlen kann. Hier ist die Norag für kluge Schädel, hier ist die Norag fürs kleine Mädel. Hier ist die Norag für Dich, mein Kind, wenn wir beide ganz allein zu Hause sind."
Geschrieben hatte diese radiophone Werbebotschaft für den 1924 in Norddeutschland an den Start gegangenen Sender Horst Platen (1884 – 1964); er war ab 1926 Erster Kapellmeister und bald darauf schon Hauskomponist der Norag. Die akustische Botschaft reihte sich in die vielfältigen Aktivitäten ein, die die hauseigene Werbeabteilung koordinierte. In den jährlichen Geschäftsberichten ist unter anderem von Werbewagen die Rede, die man in die Städte und aufs Land schickte, um dort Veranstaltungen durchzuführen, zudem von Auftritten auf Messen, in Schulen und bei Sportvereinen sowie von den "Rundfunk-Werbetagen", welche als "Volksfeste" gestaltet wurden. Der Norag-Marsch wird dabei nicht gefehlt haben.
Der Rundfunk gab sich, mit solch professioneller PR und mit, jenseits der Werbung im Programm, publikumswirksamer Off-air-Promotion, bei seiner Markteinführung als äußerst modern und attraktiv. Es sollte – so die Werbebotschaft – chic und "in" sein, zu den Radiohörern zu gehören.
Die beziehungsfördernde Wirkung des Norag-Marsches stand damals nicht allein. Immer wieder wurde auch die Anziehungskraft beschworen, die das neue Medium ausübte, etwa wenn es in einem anderen, ab 1925 von Max Kuttner gesungenen Rundfunkschlager heißt: "Manche Maid / Wenn schon Schlafenszeit / Steigt ins Bettchen empfangsbereit / Und sie genießt mit dem Ohr / Ihren Lieblingstenor / Horizontal ideal. / Die schöne Adrienne / Tschintatata-ta-ta-ta-ta-ta-radio / Hat eine Hochantenne." In den Radiozeitschriften und in den Werbeanzeigen der Radioindustrie wurden entsprechende Fotos abgebildet, die auf das Vergnügen mit dem Unterhaltungsrundfunk abhoben und die sinnliche Beziehung zum neuen Apparat herausstellten.
Sende- und empfangstechnisch bedingt meldeten sich die Rundfunkmacher damals gern mit Aufmerksamkeit heischenden "Hallo, hallo!"-Rufen zu Wort. Oder sie wandten sich an ihr Publikum regelrecht fordernd, etwa im Oktober 1923, als die Funk-Stunde Berlin auf Sendung ging: "Achtung! Achtung! Hier ist die Sendestelle Berlin!" Solche Stationsansagen wurden nicht selten mit der Nennung der Frequenz verbunden, auf der das Programm zu empfangen war. Denn noch war es für die Besitzer vor allem kleiner und leistungsschwacher Geräte mitunter schwierig, einen Sender einzustellen und einen guten Empfang zu erzielen.
Die Stationsansagen waren das Signal, dass das Programm begann. In den ersten Jahren füllte es allerdings noch nicht den gesamten Tag. Erst nach und nach weiteten sich die Sendezeiten der einzelnen Sendegesellschaften aus. Zu den anfänglichen Abendstunden kamen ein paar Stunden Nachmittags- und ein paar Stunden Vormittagsprogramm. Zwischen diesen sogenannten Programminseln herrschte Sendepause. Aber auch während dieser Pausen wollte man im Äther akustisch präsent sein, damit die einmal gefundene Frequenz identifizierbar blieb. Hierfür erfand man das Pausenzeichen.
Zunächst setzten die einzelnen Sender noch sehr einfache Mittel ein. Beliebt waren vor allem charakteristische Morsezeichen wie "h – a" ab Januar 1925 für Hamburg bzw. ab 1926 "m – ü" (München) und "n – g" (Nürnberg) für die beiden Sender der Deutschen Stunde in Bayern. Einen anderen Weg hatte bereits im November 1924 die Mitteldeutsche Rundfunk AG (Mirag) eingeschlagen. Sie nahm das Ticken eines Weckers mit einem Fernsprechmikrofon auf und überbrückte damit die Funkstille. Dies fand Nachahmer in Breslau und Berlin. Das Ticken ihrer Wecker war jedoch langsamer und weniger hektischer als das des Leipziger Pausenweckers, der eine Schlagzahl von 240 Ticks pro Minute hatte.
Die Techniker der Sendegesellschaften experimentierten damals auch mit Metronomen, Glockenspielen und Kuckucksuhren. Sie entwickelten darüber hinaus zunehmend aufwändigere Apparaturen, um jeweils charakteristische Pausentöne mechanisch zu erzeugen und zu senden. Speziell nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten im Jahr 1933 wurden solche technischen Errungenschaften gefeiert. Wiederholt gab die Rundfunkpresse einen Überblick über die mittlerweile vielen verschiedenen Pausenzeichen und berichtete stolz von neuen Pausengeräten, so z. B. die Funkschau im Frühsommer 1933: "Das neue Pausenzeichen des Deutschlandsenders wird erzeugt, indem eine Walze mit entsprechend eingesetzten Stiften Metallzungen anschlägt, die in verschiedener Tonhöhe schwingen. Diese Zungen befinden sich vor der Spule eines kleinen Magneten und rufen so in dieser Spule Wechselströme hervor, die genau den Tönen entsprechen, auf die sie selber abgestimmt sind. Nach entsprechender Verstärkung werden diese Wechselströme auf den Sender gegeben. Man sieht auf der Walze deutlich, wenn man von links nach rechts geht, in der Anordnung der Stift, die Melodie, darüber die Begleitstimme." Auch die Pause musste im Rundfunk tönend sein.
Pausenzeichen sind wahrscheinlich die bekanntesten akustischen Kennmarken in der Rundfunkgeschichte. Doch es gibt eine Fülle von musikalischen bzw. akustischen Symbolen und Zeichen mit Repräsentationsfunktion. Ludwig Stoffels vom Deutschen Rundfunkarchiv fasste 1989 diese unter dem Begriff der Rundfunksignale zusammen. Für einen Katalog, der mehrere Hundert Rundfunksignale nach Ländern auflistete, definierte er einleitend: "Unter Rundfunksignale im weiten Sinne lässt sich die Gesamtheit der vom Rundfunk ausgestrahlten Pausenzeichen, Signets und sonstigen Erkennungszeichen verstehen. Sie dienen der Identifikation einer Sendegesellschaft, eines Senders bzw. Studios, eines Programms, eines Programmsegments, einer Sendereihe usw."
In der Rundfunkgeschichte spielten Hymnen allgemein und speziell die Nationalhymnen eine große Rolle. Sie verbanden sich mit dem akustischen Auftritt der Sender. Ein besonderes Beispiel sind die "Olympia-Hymnen", die die Rundfunkberichterstattung von den sportlichen Großereignissen leitmotivisch prägen können. Sehr bekannt sind die Fanfarenstöße, die 1936 zur Berichterstattung des NS-Rundfunks über die Olympischen Spiele in Berlin gehörten. Ein anderes Beispiel ist das Lied Ich hab’ mich ergeben mit Herz und mit Hand, das ein nationales Bekenntnis formuliert und aus der Tradition der Burschenschaftslieder des 19. Jahrhunderts stammt. Nach dem Ende des Krieges wurde es in den Westzonen bis zur Annahme des Grundgesetzes 1949 als Ersatz für die fehlende Nationalhymne gesungen. Der Nordwestdeutsche Rundfunk (NWDR) spielte es zum Abschluss jedes Sendetags gegen 24 Uhr.
Mit der Entscheidung für eine Hymne drückt ein Sender einen expliziten politischen Anspruch aus. So bildete etwa ab Mai 1945 die von Pierre Degeyter 1888 komponierte Internationale, das Kampflied der sozialistischen Arbeiterbewegung, das Rundfunksignal des ostdeutschen Berliner Rundfunks. Mit der Gründung der DDR im Jahr 1949 wählten mehrere Programme des Berliner Senders die Nationalhymne Auferstanden aus Ruinen als ihr Erkennungszeichen. Sie gehörte schließlich untrennbar zu Radio DDR sowie zum im November 1971 in "Stimme der DDR" umbenannten Deutschlandsender.
Einen politischen Anspruch manifestieren auch die Radiosignale, die die Nationalsozialisten ihren Sendern und Programmen während des "Dritten Reiches" zur Auflage machten. Üb’ immer Treu’ und Redlichkeit mochte als Volkslied noch an bürgerliche Tugenden appellieren – der Deutsche Kurzwellensender und der Deutschlandsender verwendeten eine kurze Melodiefolge daraus seit 1933. Mit dem Beginn des Matrosenchors Steuermann, lass die Wacht setzte der Hamburger Sender ab Mai 1933 die von der nationalsozialistischen Führung so geschätzten Wagnerschen Opernklänge ein. Der Reichssender Frankfurt ließ ab Januar 1935 die Fanfaren des antifranzösischen Kriegslieds Zum Rhein, zum Rhein, zum deutschen Rhein blasen. Für andere Reichssender ist das Deutschlandlied als Radiosignal nachgewiesen.
Eines der markantesten Radiosignale der deutschen Rundfunkgeschichte stammt aus Großbritannien. Kurz nach Beginn des Zweiten Weltkriegs startete der European Service der BBC seine sehr erfolgreiche "V-Kampagne". Das "V" für victory wurde in den von Deutschland besetzten Ländern konspirativ auf Wände gemalt und alliierte Flugzeuge warfen Handzettel mit dem "Victory"-Zeichen über dem Feindesland ab. Prägend aber wurde das akustische "V", das Morsezeichen "kurz, kurz, kurz, lang" des Deutschen Dienstes der BBC. Er stellte dieses Signet – jeweils drei Mal wiederholt, gespielt auf einer Pauke – seinen Berichten vom 28. Juni 1941 bis 8. Mai 1945 voran. Die Tonfolge war auch der Anfang von Beethovens 5. Sinfonie. Wie sehr das "V"-Radiosignal im kulturellen Gedächtnis verankert ist, zeigt sein häufiger Einsatz in Film-, Fernseh- und Radiodokumentationen. Geschichtsjournalisten können auf seine Bekanntheit bauen.
Neustart in der Nachkriegszeit
Nach den Erfahrungen des "Dritten Reiches" wurde im Rundfunk auf einen politischen Neubeginn gesetzt. Die Sender in der sowjetischen Besatzungszone, sehr bald unter direkte staatliche Kontrolle gestellt, verkündeten ihren politischen Anspruch im Äther. Aber auch im Westen gab man sich programmatisch. Der Beginn des Knabenchors Bald prangt, den Morgen zu verkünden aus Mozarts Zauberflöte wurde zum akustischen Senderzeichen des neu gegründeten Südwestfunks (SWF) in der französischen Zone. Die Tonfolge unterstrich die aufklärerischen kulturpolitischen Ziele, die man ab März 1946 im Programm verfolgte.
Das Signal von Radio München bzw. ab 1949 des Bayerischen Rundfunks betonte hingegen die regionale Identität. Die erste Zeile der Stadthymne Münchens So lang der alte Peter war von 1948 bis 1951 um eine Silbe verkürzt zu hören. "So lang der alte Pe …" war das Signal. Ab Oktober 1951, als der Turm der Peterskirche in München und sein Glockenspiel wiederhergestellt waren, ertönte das Signet wieder zusammen mit der fehlenden Silbe "-ter". Diese Senderkennung wurde bis Ende 1996 verwendet.
Radio Frankfurt bzw. ab 1949 der Hessische Rundfunk verwendete zunächst einen Dreiklang der Töne f, d und a; im November 1946 wählte man dann ein Hornmotiv aus der Oper Die Königskinder, die Engelbert Humperdinck in Frankfurt 1895 / 97 komponiert hatte. Charakteristisch aber sollte das neue Sendersignet werden, das der Frankfurter Sender sich Mitte der 1950er Jahre zulegte. Programmdirektor Henning Wicht wollte sich dezidiert von den melodiösen Lautfolgen der anderen ARD-Sender unterscheiden und schrieb einen Wettbewerb im Bereich der elektronischen Musik aus. Der Komponist Hermann Heiß (1897 – 1966) reichte 17 Klangmodelle ein, die er in Studios für elektronische Musik in Köln und Frankfurt zusammengestellt hatte, und gewann die Ausschreibung. Eines davon wurde am 1. Mai 1955 zum ersten Mal ausgestrahlt. Dieses elektronische Pausenzeichen prägte fortan den Hessischen Rundfunk und verlieh ihm ein außerordentlich modernes Image.
Die Erkennungszeichen der ARD-Sender waren vielfach präsent. Sie gewährleisteten die Erkennbarkeit der Radioprogramme bei Sende- und bei Umschaltpausen. Gesteigert wurde ihr hoher Wiedererkennungseffekt durch die Verwendung als akustische Signets beim Fernsehen. Schaltete man das Erste Programm ein, das von den unterschiedlichen Rundfunkanstalten gemeinsam veranstaltet wird, erschien zum Beginn eines Programmbeitrags das Logo der jeweils verantwortlichen Anstalt auf dem Bildschirm, begleitet von ihrem tönenden Signet. Die akustischen Kennmarken der Rundfunkanstalten im Senderverbund der ARD waren also über die einzelnen Bundesländer hinaus in ganz (West-)Deutschland präsent und stellten eine einzigartige Visitenkarte und ein Programmversprechen dar.
Wie sehr solche symbolischen Verdichtungen rundfunk- und kulturpolitisch aufgeladen waren, kann an zwei Beispielen veranschaulicht werden. Das erste zeigt, welches Konfliktpotenzial ein Pausenzeichen haben kann. Von 1945 bis 1955 gehörte das Funkhaus Köln zum NWDR. Das große Rundfunkgebilde für die Bundesländer Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und die Freie und Hansestadt Hamburg erlebte man an Rhein und Ruhr als Bevormundung und Zwangsgemeinschaft. Die akustische Kennmarke für alle Funkhäuser des von der britischen Besatzungsmacht für ihre Zone aufgebauten Rundfunks waren zunächst zwei Takte aus Mozarts Oper Die Zauberflöte, die Noten von Das klinget so herrlich aus der Papageno-Arie.
Als ein Affront wurde eine Pressemeldung vom 6. Juli 1948 verstanden, in der es hieß: "Das neue Pausenzeichen des Nordwestdeutschen Rundfunks, dem ein Thema aus der Sinfonie Nr. 4 von Johannes Brahms zugrunde liegt, wird am 15. Juli zum ersten Mal zu hören sein. Es ist beabsichtigt, die einzelnen Sendestationen des NWDR deutlich zu kennzeichnen, indem dasselbe Pausenzeichen jeweils von anderen Instrumenten gespielt wird. So wird es in Hamburg von zwei Oboen, in Köln von zwei Hörnern, in Berlin von zwei Klarinetten und in Hannover von zwei Trompeten gesendet." Ein Motiv des Hamburger Komponisten Johannes Brahms, lediglich anders instrumentiert für das Funkhaus in Köln – in einigen Zeitungen erschienen wütende Lesebriefe, im Westen des NWDR-Sendegebiets verschärfte diese Brüskierung durch die Hamburger Zentrale den bereits vorhandenen Unmut.
Es folgten einige Jahre schwerer rundfunkpolitischer Kämpfe, bis 1955 die Auflösung des NWDR und die Errichtung der beiden eigenständigen Rundfunkanstalten NDR und WDR beschlossen wurden. Am 1. Januar 1956 starteten die beiden neuen Sender ihre Programme. Stolz und selbstbewusst waren die akustischen Demonstrationen mit den neuen Pausenzeichen: Der NDR sendete jetzt ein Motiv aus Johannes Brahms' 2. Sinfonie als Pausenzeichen; der WDR entschied sich für das Bundeslied In allen guten Stunden des Bonner Komponisten Ludwig van Beethoven.
Radioempfänger Blaupunkt-Stockholm (1963) (Wikimedia, Oguenther ) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/
Das zweite Beispiel ist das Pausenzeichen des Saarländischen Rundfunks (SR), das im März 1956 eingeführt wurde, nachdem sich wenige Monate zuvor die Bevölkerung des Saarlands in einer Volksabstimmung für eine Anbindung an die Bundesrepublik ausgesprochen hatte. Mit dem traditionellen Bergarbeiterlied Glück auf, der Steiger kommt knüpfte der SR-Hauskomponist Heinrich Konietzny (1910 – 1983) an die kulturelle Identität der Industrie- und Bergbauregion an. Er verwendete eine Melodie-Sequenz, die beim Hören untrennbar mit der Textzeile "Und er hat sein helles Licht bei der Nacht (schon angezünd’t, schon angezünd’t)" verbunden ist, woraus die Aufbruchssymbolik der Klangfolge deutlich wird.
Doch das Pausenzeichen, das vom SR bis Mitte der 1990er Jahre verwendet wurde, hatte auch eine NS-Geschichte. Auf die Melodie des Steigerlieds war ab 1920 und vor allem vor der Abstimmung 1935 das Kampflied Deutsch ist die Saar gesungen worden und zur Sequenz des Pausenzeichens gehörte die Textzeile "Und ewig deutsch mein Heimatland (mein Heimatland, mein Heimatland)". Für viele SR-Hörerinnen und -Hörer werden beide Textbedeutungen mitgeschwungen haben. Wahrscheinlich haben die Rundfunkverantwortlichen im Saarland damals bewusst die symbolische Doppeldeutigkeit von Heimatbekenntnis auf der einen und Deutschlandzugehörigkeit auf der anderen Seite in Kauf genommen.
Jingles im Radiomarkt
Bis in die 1980er Jahre fanden diese akustischen Senderkennungen in Deutschland Verwendung. Mit der Einführung des Dualen Systems, also des Nebeneinanders von privaten kommerziellen Sendern und öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, zu Beginn der 1980er Jahre veränderte sich die Radiolandschaft grundlegend. Sendepausen gab es nicht mehr. Die Anzahl der Programme stieg an, das Ringen um Aufmerksamkeit wuchs. Gegenwärtig sind in Deutschland 256 Radioprogramme über Antenne, Satellit und Kabel auf dem Privatradiomarkt auf Sendung, dazu kommen 54 öffentlich-rechtliche Radioprogramme. Sie alle versuchen, die Aufmerksamkeit der Hörerinnen und Hörer auf sich zu lenken. Wer seinen Apparat einmal eingeschaltet hat, soll kontinuierlich darauf aufmerksam gemacht werden, welchen Sender er gerade hört. In der immer stärker werdenden Konkurrenz des Radiomarkts geht es um Erkennbarkeit und Identifizierbarkeit, um die Bildung einer Programmmarke, welche emotionale Bindung erlaubt und auf Nachfrage erinnert wird.
Eine Entwicklung, die in anderen Rundfunksystemen der Welt, speziell im US-amerikanischen Markt eine längere, mitunter auch sehr lange Tradition hatte, war in Deutschland in den 1980er und 1990er Jahren zu erkennen: die Formatierung von Radioprogrammen, von einzelnen Sendungen und von ganzen Sendern, d. h., alles wurde sehr strategisch geplant, um die Durchhörbarkeit zu gewährleisten und um die Hörer irritierende Momente zu vermeiden. In diesem Zusammenhang taucht der Begriff des Jingles auf, als musikalisches Erkennungszeichen, als besonderer Aufmerksamkeitswecker.
Das Kompakt-Lexikon Medien von Insa Sjurts definiert Jingle als "Erkennungsmelodie eines Hörfunksenders oder eines Hörfunkprogrammelements" und führt aus: "Jingles werden vorproduziert und beinhalten die Stationskennung (Name des Senders und / oder akustisches Logo), häufig weist der Jingle auch auf die inhaltliche Ausrichtung des Programms hin." Das Handbuch für Ausbildung und Praxis im Hörfunk von Walther von LaRoche und Axel Buchholz erklärt: "Ohne Jingles kein modernes Begleitprogramm. Jingles verbinden und trennen Programmbestandteile, kündigen eine Sendung an, sagen die Station, manchmal die Frequenz, den Namen der Sendung und den Namen ihres Gestalters. Der Jingle ist kurz, in der Regel sind sechs Sekunden die Obergrenze." Die Autoren erklären den angehenden Radio-Journalisten: Themajingles kündigen Themen an, Brückenjingles verbinden sie, Trennjingles setzen eins vom anderen ab.
Die bunte Fülle der eingängigen und mitunter als lästig empfundenen Jingles ist Teil einer Werbekommunikation. Radiojingles werden von den Sendern in Auftrag gegeben und in empirischen Wirkungsstudien auf ihren Erfolg hin untersucht. Zugleich spezialisiert sich eine Radioindustrie, die Jingles in vielen Variationen und Kombinationen entwirft, um eine Markenbildung zu erreichen und das sogenannte Audio Branding zu optimieren; die Sender sollen also einen möglichst unverwechselbaren Sound erhalten.
Es geht um viel, nämlich um die Behauptung auf einem explizit ökonomischen oder implizit um Legitimität bemühten Markt. Wenn zweimal pro Jahr in der Externer Link: Media Analyse eine zufällig ausgewählte, insgesamt als repräsentativ geltende Gruppe von Bürgern telefonisch befragt wird, sollen die Angerufenen sich erinnern können, welche Sender sie gestern, welche in den letzten 14 Tagen gehört haben. Alle Kennwerte wie "Hörer gestern", "weitester Hörerkreis", "Hördauer" oder "Marktanteil", die ermittelt werden, sind kommerziell verwertbare Größen. Die kleinen akustischen Elemente übernehmen also eine wichtige Funktion. Sie sind Teil einer "Ökonomie der Annoncenkultur", wie Claudia Schmölders in ihrem Rundfunkessay Externer Link: Jingle, Trailer, Klappentext. Zur Karriere einer Textsorte für den SWR 2006 formulierte. Diese mitunter schrille, jedenfalls sehr präsente Jingle-Umwelt – zu ihr zählen je nach Platzierung und Zuschnitt der Jingles die Claims, Bumpers oder Openers, Closers oder Stingers, Backtimers, Donuts, Promos und Drop-Ins – gehört heute zum Alltag der Radiomacher und -hörer.
Die neuen technischen und inhaltlichen Entwicklungen der digitalen Medien sind eine Herausforderung für Medienmacher, Publikum und Politik. Journalisten müssen beispielsweise immer mehr…
Bis zur Jahrhundertmitte sind die weiblichen Stimmen fast immer unterrepräsentiert, gemessen an der Rolle, welche Frauen in Kunst, Kultur und Politik spielten. Die Ausblendung der weiblichen…
Hans-Ulrich Wagner, Dr., Medienwissenschaftler, Leiter der Forschungsstelle Mediengeschichte am Hans-Bredow-Institut für Medienforschung.
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