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Achtung, Aufnahme! Mikrofonberufe in der Geschichte des Rundfunks

Hans-Ulrich Wagner

/ 12 Minuten zu lesen

Das Mikrofon sei "ein grausames kleines Ding", das unerbittlich jeden Fehler des stimmlichen Ausdrucks nicht nur nicht kaschiere, sondern noch verstärke, schrieb 1952 der ehemalige Berliner Intendant Carl Hagemann. Die Rundfunkmacher erkannten schnell die Bedeutung des neuen technischen Instruments, das Schallwellen in elektrische Schwingungen umwandelt, und waren fasziniert von den neuen Möglichkeiten, die sich eröffneten. Das Mikrofon steht am Beginn der mitunter aufwändigen Aufnahme-, Übertragungs- und Speichertechniken des Radioschaffens. Schon in den Anfangsjahren wurde es zu einem Symbol der Rundfunkarbeit, das augenfällig demonstriert: "Achtung, Aufnahme!" Es beschert bis heute den Männern und Frauen am Mikrofon Aufmerksamkeit, Bewunderung, Wertschätzung und mitunter große Popularität.

Symbol der neuen kommunikativen Möglichkeiten

Das Mikrofon kann als das Sinnbild des Rundfunks gelten. Schon bald mit dem Start des Programmbetriebs des Radios in den 1920er Jahren avancierte das kleine technische Instrument zu einem augenfälligen Symbol für die neuen, den Raum übergreifenden kommunikativen Möglichkeiten. Zwar ist das Mikrofon selbst nur ein Teil der komplexen Aufnahme-, Übertragungs- und Speichertechnik, doch es steht am Beginn dessen, was die Rundfunkübertragung ausmacht: die Umwandlung von akustischen Ereignissen in elektrische Schwingungen. Geräusche, Musik und vor allem die menschlichen Stimmen werden durch dieses technische Mittel einem größerem und mitunter fernen Publikum vermittelbar.

Zahlreiche Abbildungen zeigen daher die Männer des Rundfunks – später auch die Interner Link: Frauen – zusammen mit einem Mikrofon. Ansager und Sprecher treten vor einen Mikrofon-Ständer oder vor ein von der Decke herabhängendes Gerät. Reporter und Interviewer vermitteln mit dem Mikrofon in der Hand stimmungsvoll die Ereignisse vor Ort oder halten es für eine kurze Meinungsäußerung vor den Mund des jeweiligen Gesprächspartners. Dies ist immer auch eine symbolische Machtdemonstration. Denn wer das Mikrofon hat, entscheidet darüber, was auf welche Weise vermittelt wird. Mit dem Mikrofon verbundene Berufe galten deshalb sehr bald schon als modern und äußerst attraktiv.

Um 1948: Werbefunk im Haus des Rundfunks, Berlin: Fritz Lafontaine (Dialogregie) und Ilse Fröhlich im Studio. (© picture-alliance/akg)

Am Beginn der Mikrofontechnik stand zunächst nur die Kapsel eines normalen Telefonapparats des frühen 20. Jahrhunderts. Doch schnell schon konnten dank technischer Weiterentwicklungen der übertragbare Frequenzbereich vergrößert und Störungen und Verzerrungen reduziert werden. Das nach seinem Erfinder Eugen Reisz benannte Reisz-Mikrofon, ein Kohlekörnermikrofon in einem charakteristischen Marmorblock, erlaubte Ende 1924 bereits einen Übertragungsbereich von 50 bis 6.000 Hertz. Hinzu kamen die Bändchenmikrofone der Firma Siemens & Halske, bei denen die Schallwellen ein Aluminiumbändchen zwischen den Polen eines Elektromagneten bewegten. Den Durchbruch markierte Ende der 1920er Jahre das Kondensatormikrofon, dessen Membran als Teil eines Kondensators ausgebildet war. Wegen seiner Form führte dieser von dem Berliner Georg Neumann entwickelte Mikrofontyp im Rundfunkjargon die Bezeichnung "Flaschenmikrofon" bzw. "Neumann-Flasche"; es ist auf vielen Fotos der 1930er bis 1950er Jahre zu sehen.

Auf der Suche nach dem "Mikrofonstil"

Die Rolle des Mikrofons stand im Zentrum vieler radiotheoretischer Überlegungen, die Programmverantwortliche, Journalisten und Schriftsteller in den 1920er und frühen 1930er Jahren diskutierten. Man reflektierte die besondere Physiognomik der Stimme vor dem Mikrofon und leitete daraus eine neue Stimm- und Radioästhetik ab. Der für den Hörer körperlose Rundfunksprecher wurde dem für das Theaterpublikum sichtbaren Schauspieler gegenübergestellt, die intime Situation vor dem Studiomikrofon wurde als Gegensatz zum groß angelegten Bühnengeschehen begriffen. Man experimentierte mit neuen "elektromagnetischen Stimmen" und den ihnen eigenen Gesetzmäßigkeiten und man diskutierte die Vorstellung, dass der Rundfunk vor allem die leisen, privaten, intimen, bekenntnishaften, ehrlichen Töne übermitteln könne. Kernstück solcher radioästhetischer Texte wurde die Verherrlichung des gesprochenen Wortes und der menschlichen Stimme.

Dem technischen Instrument Mikrofon kam die Rolle zu, diese Authentizität des Persönlichen zu ermöglichen. "Denn dieses rätselhafte weiße Ding Mikrofon hat eine ganz gemeine Eigenschaft, es offenbart nicht nur den akustischen Ton, sondern alles, was dahinter ist", erklärte Ernst Hardt 1929 auf der Kasseler Tagung Dichtung und Rundfunk. Der Intendant der Westdeutschen Rundfunk AG war auf dieser für die Rundfunkgeschichte wichtigen Veranstaltung einer der Wortführer derjenigen, die durch die Mündlichkeit neue Formen für den literarischen Ausdruck sahen: "Ich selbst habe einen großen Teil deutscher Dichter in ihrer Persönlichkeit und Menschlichkeit erst durch das Mikrofon kennen und lieben gelernt, obwohl sie nicht übermäßig gut lasen." Ihm zur Seite stand Alfred Döblin, der sich eine neue mündliche Literatur wünschte und zum Stegreiferzählen ermunterte.

Die Erfindung der Reportage als radiophone Kunstform

Kurt Esmarch (rechts) mit seinem Co-Moderator Karl Herbert alias "Käpp'n Herbert", 1938. (© picture-alliance/dpa, NDR)

Ein ganz besonderes Experimentierfeld bei der Suche nach einem Mikrofonstil bot die Reportage. Diese um Simultaneität, Subjektivität, Richtigkeit und Anschaulichkeit bemühte journalistische Form, die in der Presse und in der Literatur bereits ausgebildet war, eröffnete dem Rundfunk neue, bis dahin ungeahnte Möglichkeiten. Das Rundfunkreportage-Fieber lebte von der Faszination, live von einem Ort des Geschehens zu berichten und so die Hörer direkt an den Ereignissen teilhaben lassen zu können. Die beiden Begriffe "Rundfunkreportage" und "Rundfunkreporter" kamen in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre auf. Man war begeistert. Schriftsteller wie Hermann Kasack bejubelten die Stegreifkunst der "Mikroreportage". Viele Programmverantwortliche erkannten, dass hier eine neue Kunstgattung zwischen Journalismus und Literatur entstand. Die Reporter, die viele technische Hindernisse zu überwinden hatten, berichteten von Schiffen und aus Flugzeugen, sprachen live vom Meeresgrund, aus Bergwerken und von Berggipfeln. Sie wurden zu Pionieren. Entsprechend groß war ihre Popularität. Reporter wie Paul Laven in Frankfurt am Main, Bernhard Ernst in Köln sowie Hans Bodenstedt und Kurt Esmarch in Hamburg wurden bekannte Persönlichkeiten.

Der berühmteste Radioreporter seiner Zeit aber war Alfred Braun. Der gebürtige Berliner hatte die Schauspielschule von Max Reinhardt besucht, bevor ihn Hans Bredow und Friedrich Georg Knöpfke zur Berliner Funk-Stunde holten. Von Januar 1925 an war Braun als Leiter der Literarischen Abteilung, als Oberregisseur und als Sprecher im Berliner Vox-Haus tätig, dem "Geburtsort" des Rundfunks in Deutschland. Braun arbeitete eng mit Autoren wie Bertolt Brecht, Alfred Döblin und Hermann Kesser zusammen. Den Durchbruch aber bescherten ihm seine Reportagen. In der Silvesternacht 1924 / 25 verließ er erstmals das Studio und stellte sich mit dem Mikrofon in die Berliner Friedrichstraße, um über das Treiben dort zu berichten. Es folgten Live-Reportagen von Fußballspielen und anderen Sportereignissen. Doch Braun war nicht nur ein Pionier der Sportberichterstattung, sondern auch der großen aktuellen politischen und gesellschaftlich-kulturellen Reportage. Stundenlang berichtete er vom Tempelhofer Flugfeld, als am Pfingstsonntag 1927 die amerikanischen Ozeanüberflieger Chamberlin und Levine in Berlin erwartet wurden. Rundfunkkritiker wie Kurt Weill schrieben damals über die Faszination, Ohrenzeuge von historischen Ereignissen zu sein, und jubelten über "Chamberlin auf deutschen Wellen".

Hörbeispiele im Internet:Alfred Braun am Mikrofon

Der Radioreporter Alfred Braun kommentiert live die Ankunft des Luftschiffs "Graf Zeppelin" im November 1928 in Berlin. (Bundesarchiv Bild 102-06801 / Fotograf: Pahl, Georg) Lizenz: cc by-sa/3.0/de

Braun stellte den Rundfunk gleich mehrfach in den "Dienst des historischen Erlebens" – vor allem beim Trauerzug für den verstorbenen Reichskanzler Gustav Stresemann am 6. Oktober 1929 und bei der Verleihung des Literaturnobelpreises an Thomas Mann am 10. Dezember 1929. Da die Berliner Funk-Stunde in diesem Jahr begann, Schallaufzeichnungen zu Archivzwecken anzulegen, kann man im ersten Fall anhand der erhaltenen Ausschnitte hören, wie Braun das Sprechtempo der Geschwindigkeit des Trauerzugs anpasste und die Stimmung und die Kulisse nacherlebbar machte. Im zweiten Fall kann man einem kurzen Ausschnitt der sogenannten Stockholmer Flüsterreportage lauschen, die Braun hinter einem Wandteppich verborgen leise ins Mikrofon "flüsterte". Der druckreif gesprochene Bericht wurde vollständig im Berliner Tageblatt abgedruckt. Durch seine Radioreportagen war Braun am Ende der Weimarer Republik einer der populärsten Berliner. Da sein Name eng mit dem Weimarer Rundfunk verbunden war und die Nationalsozialisten einen radikalen Bruch mit dem "Systemrundfunk" propagierten, wurde er zu einer Zielscheibe für die neuen Machthaber. Kurz nach der "Machtergreifung" wurde er für kurze Zeit verhaftet und anschließend dauerhaft vom Mikrofon verbannt.

Ein "Kraftstrom des nationalsozialistischen Wollens"

Die faszinierende radiophone Gattung der Reportage, die erlaubte, die Bevölkerung an einem entfernten Geschehen teilhaben zu lassen, war für die neuen Machthaber ein willkommenes Geschenk. Sie wollten sie weiterentwickeln zu einem "nationalsozialistischen Hörbericht", wie er in einem Aufsatz in der Zeitschrift Rufer und Hörer 1933 / 34 folgendermaßen vorgestellt wurde: "Es gibt keinen Ort der Neutralität, wo der Erlebende ausruhen und passiv reflektieren könnte. Dieses Hineingerissensein jedes Geschehens in den Strom der Bewegung verlangt eine Reportage, die den Hörer in stärkstem Maße aktiviert. Aus dem Erleben des Geschehens muss ihm ein Kraftstrom zugehen, aus dem heraus nationalsozialistisches Wollen entsteht." Im selben Heft der Zeitschrift wurden genaue Pläne zur Gestaltung einer solchen propagandistischen Inszenierung vorgelegt, indem man detailliert aufzeigte, wie "Musikmikrofon", "Marschtrittmikrofon", "Volksmikrofon" und "Sprechermikrofon" miteinander in Beziehung treten sollten, um die größtmögliche intendierte Wirkung hervorzubringen.

Geschickt verstanden es auch die nationalsozialistischen "Funkberichter", wie die Reporter jetzt hießen, am Mikrofon ein Bild des Geschehens zu entwerfen und den Hörern lebendig zu vermitteln. Aktuell und authentisch waren ihre "Funkberichte". Doch aus der subjektive und individuelle Perspektiven vermittelnden Reportage wurde jetzt ein kontrolliertes und genauen propagandistischen Regelungen unterworfenes Radioereignis. Nicht selten griff man zu Inszenierungstricks, gab also vor, es handele sich um einen "Live"-Ton, während die Sendung in Wirklichkeit vorproduziert und auf Schallfolie gespeichert worden war.

Gleich das Jahr 1933 begann mit einer spektakulären Reportage. Am 30. Januar stellte sich der Literat Wulf Bley in den Dienst der neuen Machthaber und berichtete – genau vorbereitet, doch scheinbar spontan überwältigt – von der Aufbruchsstimmung, die der Fackelzug der SA- und Stahlhelmformationen vor der Berliner Reichskanzlei bei ihm angeblich auslöste. Regelrecht inszeniert waren sodann die Ereignisse am "Tag von Potsdam" zwei Monate später, am 21. März 1933. Die Radioberichterstattung und mit ihr die Reportage wurden zu einem wesentlichen Instrument der propagandistischen Bildung einer nationalen "Volksgemeinschaft".

Dass diese auf Konformität und Anpassung ebenso aufgebaut war wie auf Ausgrenzung und Verfolgung, das zeigt etwa jene Reportage, die die deutschen Zuhörer zu Zeugen des beginnenden Terrors machte: "Deutsche Volksgenossen! Das Mikrofon der Funk-Stunde Berlin steht jetzt, in den frühen Morgenstunden des 5. April, in der übelbeleumdetsten Gegend Berlins. Gerade ist eine größere polizeiliche Aktion eingeleitet […]. Es wird gesucht nach Waffen, illegalem Druckschriftenmaterial, nach Druckmaschinen, nach Motorrädern, Kraftwagen und Ähnlichem. Die Durchsuchungen haben häufig auch noch Nebenerfolge […]. Vor mir stehen zwei große Polizeiwagen, auf dem einen sind zehn, auf dem anderen nochmal zehn, 15 politische Gefangene." Die nationalsozialistische Propaganda zeigte also sehr deutlich ihr Doppelgesicht: Zuckerbrot und Peitsche – nationaler Taumel und unverhohlene Verfolgung.

Für die am Mikrofon Tätigen galt: "Der deutsche Rundfunksprecher muss ein Nationalsozialist sein, der für das große Geschehen unserer Zeit den echten und volknahen Ausdruck findet" – so ein Dokument zur "Sprach- und Sprechpflege" in der Reichssendeleitung aus dem Jahr 1936. Ab 1934 veranstaltete man "Rundfunksprecher-Wettbewerbe", mit denen man junge Talente suchte. Für die Mikrofonprüfungen galten allgemeine Anforderungen an die Stimme. Sie sollte "gewandt und sicher", "klangvoll, ausdrucksreich und sehr biegsam" klingen, aber auch "abwechslungsreich" und "bildhaft" sein. Für die jungen Leute, die einen solchen Wettbewerb bzw. die strengen Eignungsprüfungen bestanden, bedeutete dieser Erfolg den Beginn einer Rundfunkkarriere, die in den Kriegsjahren dann zu einem Einsatz als Berichterstatter in den Propaganda-Kompanien (PK) führte.

Das Mikrofon als Lügendetektor

"Das Mikrofon ist ein grausames kleines Ding, dem man nichts vormachen kann – das alles Halbe, Unausgesprochene und Unwahre ablehnt und nur den ganzen Menschen gelten lässt. Kein Wunder deshalb, dass heute nur wenige vor ihm bestehen und immer nur wenige vor ihm bestehen werden", schrieb der ehemalige Berliner Intendant Carl Hagemann 1952. Er fasste damit die Bemühungen zusammen, die unmittelbar nach dem Ende des "Dritten Reiches" und des Zweiten Weltkriegs der Suche nach einem neuen Sound galten. In Fachkreisen ebenso wie in den Programmzeitschriften wurde leidenschaftlich über den "idealen Rundfunkmann" diskutiert. Der "Mikrofon-Sprechstil ist eine ganz eigene Sache", erklärte der Reporter Thilo Koch 1948 in der Hör Zu. Dieser besondere "Sprechstil" sei "intimer, persönlicher, behutsamer, lockerer, nüchterner, vertraulicher, direkter". Anknüpfend an die Diskussionen um 1930 avancierte das Mikrofon zum repräsentativen Symbol der neuen demokratischen Rundfunkarbeit.

Aus dem technischen Gerät wurde ein Instrument der Wahrheitssuche. Die "Unerbittlichkeit des Mikrofons", so lautete eine weit verbreitete Ansicht in den Nachkriegsdebatten über das Radio, "entlarve" alle "falschen" Töne. Das Mikrofon ermögliche es dem Zuhörer, die Übereinstimmung des gesprochenen Wortes mit der Stimme zu überprüfen. Ohne auf das Mediensystem der Jahre 1933 bis 1945 näher einzugehen, war man bemüht, echte, ehrliche und – heute würde man sagen: – authentische Stimmen zu finden.

Der Bedarf an neuen Sprechern bei den Nachkriegssendern war groß. Viele drängten in die neuen Rundfunkberufe. Die Messlatte aber lag hoch. Gerade einmal "zwei von 4.500" wurden 1947 beim Sprecherwettbewerb des Berliner Rundfunks ausgewählt und der Nordwestdeutsche Rundfunk (NWDR) machte den Hunderten von Kandidatinnen und Kandidaten wenig Hoffnung: "In der Schauspieler- und Sprecherkartei stehen heute schon im Funkhaus Hamburg 2.000 Namen vermerkt, in Köln ca. 1.500, in Berlin ca. 900. Sie alle haben das Mikrofon-Vorsprechen bestanden." In der zeitgenössischen Literatur herrschte Einigkeit darüber, dass es nicht genüge, gut zu sein: "Man muss besser sein." Und diese besondere Qualität lag in der Persönlichkeit des Sprechers und der Sprecherin. "Nur der starke und selbstbewusste, nur der verantwortungsvolle Mensch kann vor dem Mikrofon bestehen", schrieb Carl Hagemann und fügte hinzu: "Auf ihn aber hört eine Welt."

Nasentöne als neuer demokratischer Sound

Sprecher mussten einen Spagat meistern zwischen dem "neptunischen Hochmut des Wellenbeherrschers, der sich einbildet, mit seiner Stimme den Luftraum Tausende von Kilometern im Umkreis zu beherrschen", auf der einen Seite und dem "Missmut des Eingesperrten" im Studio, "der das Gefühl hat, kein Mensch höre ihm zu" auf der anderen Seite. Walther von Hollander machte dies 1946 deutlich, indem er den Alltag des Rundfunksprechers beschrieb und dessen Aufgabe, "aus einer alltäglichen Minute eine lebendige zu machen".

Eine äußerst erfolgreiche journalistische Karriere machte der Journalist Peter von Zahn, der ein eindrucksvolles Beispiel für den neuen demokratischen Sprechstil am Mikrofon lieferte. Die "Zahn’schen Nasentöne", über die Zahn als Leiter der Abteilung "Talks and Features" bei Radio Hamburg und dann beim NWDR selbstironische Schüttelreime schrieb, waren zwar alles andere als wohlklingend, setzten sich jedoch fest. Die ruhige, leicht näselnde Stimme, melodisch mit einem Hang zum Singsang, merkwürdig akzentuiert durch ein ruckhaftes Atmen, drang in die Ohren. Sie wandte sich in charakteristischer, den Hörer einbindender "Wir"-Rede den schwierigsten und unbequemsten politischen und gesellschaftlichen Themen zu. Ein Erzähler alter Schule bat sein Publikum unaufgeregt, aber nachdrücklich um Gehör. Ein genauer Beobachter machte mit seinen Entdeckungen in der Nahwelt, in Deutschland wie in der Ferne (Aus der Neuen Welt) neugierig. Ein Welterklärer nahm den einzelnen Hörer mit auf die Suche und lud ihn ein, mit ihm gemeinsam nachzudenken. "Ganz nüchtern betrachtet", "gewissenhaft", "abwägend", so lauteten die Leitvokabeln, die der Rundfunkmann in seine Reportagen, Features und Kommentare einstreute.

Die Zeitgenossen attestierten seiner unverwechselbaren Mikrofon-Stimme Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft. Von Zahn pflegte seinen fragenden, forschenden und fordernden Ton, baute ihn zu einem Markenzeichen aus. Bald "zahnten" auch seine Nachahmer vor den Mikrofonen. Die "eigenwillige Art des Sprachrhythmus" – laut von Zahn das Ergebnis seiner Bemühungen, die sächsische Dialektfärbung zu beherrschen – wurde zur Manier. "Eine halbe Generation von Reportern zerhackt mittlerweile die Sätze nach dem Vorbild ihres Meisters", spotteten Medienkritiker noch Mitte der 1960er Jahre. Doch an das Original reichte keiner heran.

Fernsehansagerinnen und Nachrichtensprecher

Während Individualität und Charakter geradezu zu einem Markenzeichen werden konnten, standen Normierung, Regelhaftigkeit und Korrektheit bei zwei Mikrofonberufen im Vordergrund, die das neue Medium Fernsehen seit den 1950er Jahren schuf: die Fernsehansagerin und den Nachrichtensprecher.

Mit Irene Koss setzte in Westdeutschland der Starkult um die "Fernsehfräuleins" ein. Ihre sprecherischen Fähigkeiten – stehend oder hinter einem Tisch sitzend –, mit denen sie dem Publikum in den Wohnzimmern das tägliche Fernsehprogramm darbot, rückten jedoch bald in den Hintergrund. Diskutiert wurde in der Presse vor allem über ihr Aussehen und ihre Kleiderwahl. Gleichwohl waren die Gesichter und die Stimmen von Ursula von Manescul, Dagmar Bergmeister, Annette von Aretin, Ruth Kappelsberger, Anneliese Fleyenschmidt, Hilde Nocker und Karin Tietze-Ludwig bis Anfang der 1990er Jahre Visitenkarten ihrer Sender in Baden-Baden, Stuttgart, München und Frankfurt.

Fernsehfrauen West

(© picture-alliance/dpa) (© picture-alliance/dpa) (© picture-alliance/dpa) (© picture-alliance/dpa) (© picture-alliance/dpa) (© picture-alliance/dpa) (© picture-alliance/dpa)

Auch in der DDR führten attraktive Damen bis Ende der 1980er Jahre durch das Programm. Margit Schaumäker begrüßte die Fernsehzuschauer am 1. Oktober 1952 zum Versuchsprogramm des Fernsehzentrums Berlin. Ihr folgten aus dem sich schon bald gebildeten "Ansagekollektiv" Erika Radtke, Renate Hubig, Doris Weikow in den 1960er Jahren sowie in den 1970er und 1980er Jahren Petra Kusch-Lück, Antje Garden, Cornelia Nossek und Carmen Nebel.

Fernsehfrauen Ost

(Bundesarchiv 183-1988-0327-001 / Fotograf: Kasper, Jan Peter) Lizenz: cc by-sa/3.0/de (© picture-alliance, ZB) (© picture-alliance, ZB) (Bundesarchiv 183-1988-0327-001 / Fotograf: Kasper, Jan Peter) Lizenz: cc by-sa/3.0/de

QuellentextKurzporträts mit Ausschnitten und Interviews

Karl-Heinz Köpcke, von 1959 bis 1987 "Mr. Tagesschau" - aufgenommen 1971. (© picture-alliance, dpa - Bildarchiv)

Interner Link: Der zweite Mikrofonberuf des Fernsehens war lange Zeit ein männlicher. Es kostete Frauen viel Kraft, ihn zu erobern und sich dann darin zu behaupten. Gemeint ist der des Nachrichtensprechers. Wie eng dieser Beruf mit der Radiogeschichte verknüpft ist, zeigt stellvertretend für viele die Biografie von Karl-Heinz Köpcke, dem "Mr. Tagesschau" der Bundesrepublik. 1922 in Hamburg geboren, begann Köpcke 1946, nach seiner Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft, als Hörspiel- und Schulfunksprecher bei Radio Bremen. 1949 wechselte er als Hörfunk-Nachrichtensprecher zum NWDR nach Hamburg. Im März 1959 war der stets korrekt und seriös wirkende Köpcke dann zum ersten Mal auf dem Bildschirm als Sprecher zu sehen. Knapp drei Jahrzehnte lang, bis September 1987, wurde sein gediegener, emotionsloser und seriöser Sprechstil für die Nachrichtenpräsentation im deutschen Fernsehen stilprägend. Als Chefsprecher konnte er normativ entscheiden, etwa bei der Frage der Aussprache von Namen. Das "Neutrum im eleganten Sakko", so Der Spiegel, berichtete von den Ereignissen in der Welt, verhielt sich persönlich aber nicht dazu und kommentierte diese nie.

Mit seiner dem Nachrichten-Ideal der britischen Tradition folgenden Form der Präsentation vor Kamera und Mikrofon wurde Köpcke, einer Emnid-Umfrage zufolge, zu dem bis heute beliebtesten Tagesschau-Sprecher in der Bundesrepublik. Seine Stimme war eng verknüpft mit den internationalen und deutsch-deutschen Ereignissen der Jahrzehnte, in denen er in der Tagesschau wirkte.

Quellen / Literatur

Joachim Aschke: Pläne für die Neugestaltung und Weiterentwicklung der Reportage, in: Rufer und Hörer 3 (1933 / 34) 9, S. 396 – 402 

Alfred Braun: Achtung, Achtung, Hier ist Berlin! Aus der Geschichte des Deutschen Rundfunks in Berlin 1923 – 1932, Berlin 1968 

Der Nachrichtensprecher [Berufe im Rundfunk], in: Die Ansage, Nr. 27, 7.7.1950 

Dichtung und Rundfunk. Reden und Gegenreden. Verhandlungsniederschrift der Arbeitstagung "Dichtung und Rundfunk" in Kassel-Wilhelmshöhe am 30. September und 1. Oktober 1929, Berlin 1930 (neu hrsg. mit einem Essay von Hermann Naber, Berlin: Stiftung Archiv der Akademie der Künste, 2000) 

Victor Dobbert: Nationalsozialistische Hörberichte, in: Rufer und Hörer 3 (1933 / 34) 9, S. 407 – 411

Bernhard Ernst: Rund um das Mikrophon. Gedanken eines Rundfunkmannes, Lengerich 1948

Muriel Favre: Goebbels "phantastische Vorstellung". Sinn und Zweck des O-Tons im Nationalsozialismus, in: Harun Maye u. a.: Original / Ton. Zur Mediengeschichte des O-Tons. Konstanz 2007, S. 91 – 100 

Daniel Gethmann: Technologie der Vereinzelung. Das Sprechen am Mikrophon im frühen Rundfunk, in: Harro Segeberg / Frank Schätzlein (Hrsg.): Sound. Zur Technologie und Ästhetik des Akustischen in den Medien, Marburg 2005, S. 249 – 265

ders.: Die Übertragung der Stimme. Vor- und Frühgeschichte des Sprechens im Radio, Zürich / Berlin 2006

Carl Hagemann: Probleme des Hörspiel (III). Der Funksprecher, in: Rufer und Hörer 6 (1951 / 52) 6, S. 555 – 554

Helmut Hammerschmidt: Der Rundfunkreporter, Garmisch-Partenkirchen 1957 

Walt[h]er von Hollander: Hochmut und Missmut des Rundfunksprechers, in: Die Ansage, Programmwoche vom 15. – 21. Dezember 1946, S. 1 

"Ich möchte zum Rundfunk!" Das "Vorsprechen" – Prüfstein der Mikrofon-Eignung, in: Die Ansage, Nr. 41, 13.10.1950 

Hermann Kasack: Mikroreportage, in: Die Sendung 6 (1929) 36, S. 587 f. 

Thilo Koch: Wort-Sendungen "funkgerecht". Das ist Rundfunk-Stil: Der Autor spricht zum einzelnen Hörer, in: Hör Zu 3 (1948) 5, S. 4 

Reinhardt Meyer-Kalkus: Stimme und Sprechkünste im 20. Jahrhundert, Berlin 2001

Horst Pöttker: Journalismus unter Goebbels. Über die Kraft der Radioreportage, in: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 28 (1998) 111, S. 57 – 76 

W. Roth: Fünfzig Jahre Neumann-Kondensatormikrofone, in: Funkschau 51 (1979), S. 315 – 317 

Wll. [= Kurt Weill]: Chamberlin auf deutschen Wellen, in: Der Deutsche Rundfunk 5 (1927) 24, S. 1714 

Maximilian Weller: Das Sprechlexikon. Lehrbuch für Sprechkunde und Sprecherziehung, Düsseldorf 1957

Fussnoten

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