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Carl Schurz | Die Revolution von 1848/49 | bpb.de

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Carl Schurz

Hedwig Richter

/ 6 Minuten zu lesen

Carl Schurz (1829-1906) war Demokrat, Revolutionär und Freiheitskämpfer. Nach seinem Engagement in der Revolution von 1848/49 emigrierte er in die USA. Von 1877 bis 1881 war Schurz Innenminister der Vereinigten Staaten.

Der Demokrat und Freiheitskämpfer Carl Schurz, 1829 in Liblar bei Köln als Sohn eines Lehrers geboren, scheint gut in die deutsche Geschichtspolitik und Erinnerungskultur zu passen. Verfolgt in den deutschen Monarchien des 19. Jahrhunderts, wo er 1848/49 als Revolutionär für Demokratie kämpfte – und geliebt in der amerikanischen Republik, in der er an der Seite Lincolns gegen Sklaverei kämpfte und schließlich 1906 hochverehrt starb. Ein aufrechtes Leben, in dem Schurz wie ein Lotse anderen den Weg durch die Untiefen der Politik wies, so Mark Twain im Nachruf auf seinen Freund: Carl Schurz, der Meister „in citizenship“. Präsident Woodrow Wilson erinnerte später an Schurz als einen Mann, der sein Leben ganz und gar „der Förderung von Freiheit und Gerechtigkeit“ gewidmet habe.

Doch so einfach ist es nicht. Das Leben von Carl Schurz steht für die Demokratiegeschichte des 19. Jahrhunderts – aber in ihrer ganzen Ambivalenz auf beiden Seiten des Atlantiks. Schurz selbst stellte sich in seinen Lebenserinnerungen von 1906 in die deutschen demokratiegeschichtlichen Traditionen und die liberalen Geschichtserzählungen. Das Heilige Römische Reich deutscher Nation beschrieb Schurz als glanzvolle Zeit, die folgenden Jahrhunderte als Dekadenz der „nationalen Zerrissenheit und des öden Absolutismus“. Die napoleonische Besatzung war für ihn eine tiefe Demütigung, die Freiheitskriege 1813 dagegen die „Geburt des neuen deutschen Nationalgefühls“ – wobei Einigkeit, Recht und Demokratie zusammengehören: „Die Wiedergeburt eines einigen deutschen Nationalreichs, Aufhören der absoluten Willkürherrschaft durch Einführung volkstümlicher Regierungsinstitutionen“. Als Student in Bonn trat Schurz in die Burschenschaft Frankonia ein, bei der man die Tradition der demokratischen Freiheitskämpfe gepflegt und das „verbotene schwarz-rot-goldene Band noch unter der Weste“ getragen habe. Tief geprägt wurde er von seinem Bonner Lehrer Gottfried Kinkel, Schriftsteller und Kunstprofessor, und dessen Ehefrau Johanna, einer Musikerin. In ihrem Haus lernte er republikanisches Gedankengut und die literarische Welt Deutschlands im Vormärz kennen. Dort wurde gedichtet und musiziert, hier verkehrten Persönlichkeiten wie der Dichter Karl Simrock; Jacob Burckhardt ging als Student in Bonn bei dem Ehepaar ein und aus. Die Liebe zur Musik begleitete Schurz ein Leben lang.

Die demokratische Grundhaltung stellt Carl Schurz in seinen Erinnerungen nicht als Ergebnis eines Bruchs, sondern als Konsequenz dieser Geschichte dar. Für den Neunzehnjährigen war es selbstverständlich, sich im März 1848 der Revolution anzuschließen. Als Studentenführer und Journalist unterstützte er den „Demokratischen Verein“ und nahm sich vor, mit friedlichen Mitteln die republikanischen Ideen in allen Gesellschaftsschichten zu popularisieren. Als aber die gewählten Parlamente und ihre Verfassungen von den Fürsten mit Gewalt angegriffen wurden, hielt Schurz Gegengewalt für seine Pflicht. Zuletzt kämpfte er in der Badischen Revolution für die neue deutsche Verfassung der Paulskirche. In der Festung Rastatt, wo sich die Demokratinnen und Demokraten verschanzt hatten, musste er im Juli 1849 den Sieg der preußischen Bundestruppen erleben. Doch dem Zwanzigjährigen gelang anders als seinem Freund Kinkel die Flucht – den er dann allerdings 1850 in einem nächtlichen Husarenstück aus dem Zuchthaus Spandau befreite. Das Scheitern der Revolution interpretierte Schurz nicht als deutsches Schicksal, sondern vielmehr als Verrat an den freiheitlichen Aufbrüchen – ein Verrat, der vor allem vom preußischen König ausgegangen sei.

Nachdem Schurz in London Zuflucht gefunden hatte, zog er 1852 in die USA weiter. Seine Frau Margarethe Meyer-Schurz gründete dort 1856 den ersten Kindergarten in den USA. Ihr Mann fühlte sich schnell zum Kampf gegen die Sklaverei berufen. Bekanntschaften wie die mit der Quäkerin Lucretia Mott, eine renommierte Frauenrechtlerin und Abolitionistin, sorgten dafür, dass er die Sklaverei als ein Grundübel der amerikanischen Demokratie verstand. Bald wurde Schurz zu einem führenden Vertreter der Republikanischen Partei. 1860 unterstützte er Abraham Lincoln und sorgte dafür, dass dieser einen erheblichen Stimmenanteil der deutschen Auswanderer bekam. Zum Dank schickte ihn Lincoln als Botschafter nach Spanien. Doch 1862 kehrte Schurz zurück und kämpfte im Bürgerkrieg (1861-1865) in der Unionsarmee.

In den Jahren nach dem Krieg arbeitete er unter anderem als Journalist in St. Louis. Von dort aus reiste er 1867 nach Deutschland, wo er die Einheit mit Wohlgefallen betrachtete: „Die Zeit dumpfer Reaktion nach dem Zusammenbruch der revolutionären Bewegung von 1848 war vorüber.“ Er wurde in seiner alten Heimat mit Hochachtung begrüßt und nach eigenem Bekunden von Bismarck in Ehren und mit großer Sympathie empfangen.

1868 wurde Schurz als erster Deutschstämmiger in den US-Senat gewählt. Nachdem er zunächst für die Unterstützung der „Freedmen“ (der befreiten Sklaven) gekämpft hatte und für ihre soziale und ökonomische Integration, begann er als Senator eine neue Politik zu verfolgen, die das Recht auf Selbstbestimmung („self-government“) der Südstaaten betonte. Die anhaltende Gewalt dort und die Rechtlosigkeit der Afroamerikaner wollten diese Republikaner nicht mehr wie bisher mit Bundestruppen und Gerichtsprozessen begegnen, also mit der Durchsetzung des Rechtsstaats, sondern mit einem Rückzug staatlicher Gewalt und einer Aufweichung der Gesetze.

1877 erreichte Carl Schurz den Gipfel seiner politischen Laufbahn: Präsident Rutherford B. Hayes ernannte ihn zum Innenminister. Schurz unterstützte den Abzug der Bundestruppen aus den Südstaaten, und nahm damit in Kauf, die ehemaligen Sklaven und Sklavinnen ihrem Schicksal und der sich etablierenden Apartheit zu überlassen. Vermutlich glaubte Schurz tatsächlich, dass die Apartheit letztlich auch für die Afroamerikaner besser sei, weil er ebenfalls fest von ihrer grundsätzlichen Verschiedenheit ausging. Schon Lincoln hatte sich dafür eingesetzt, die befreiten Sklavinnen und Sklaven wieder zurück nach Afrika in ihre „Heimat“ zu bringen, um sie nicht als Zumutung und Gefahr für die Republik im Land zu behalten. Schurz und viele andere Republikaner gingen davon, dass Nicht-Weiße kaum in der Lage seien, gute US-Bürger zu werden, weil sie durch das Klima ihrer Herkunftsländer faul seien und so nicht Eigenverantwortung übernehmen könnten. Gleichheitsideale galten in der amerikanischen Demokratie für viele nur den Weißen, die anderen wurden umso konsequenter aus dieser republikanischen Gemeinschaft ausgegrenzt. Bei der indigenen Bevölkerung setzte Carl Schurz allerdings auf Assimilation. Als Innenminister führte er die Politik fort, die first nations in der amerikanischen Gesellschaft aufgehen zu lassen, und er tat alles, um ihre Kultur, die als primitiv und unrepublikanisch galt, zu zerstören. Wie viele seiner Zeitgenossen, nicht zuletzt sein Freund Marc Twain, sah Schurz seine Politik als konsequente Weiterführung seines Kampfes für Demokratie und soziale Gerechtigkeit.

Es ist gewiss sinnvoll, an Schurz als an einen der Väter der deutschen Demokratie zu erinnern. Aber dabei sollten seine rassistischen Einstellungen nicht ausgeblendet oder als überraschende Abirrung interpretiert werden. Auch die problematischen Seiten gehören zur Demokratiegeschichte.

Weitere Literatur

Carl Schurz: Lebenserinnerungen. Hg. von Daniel Göske. Mit einem Essay von Uwe Timm, Göttingen: Wallstein, 2015, 2 Bde.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Mark Twain: Carl Schurz, Pilot, in: Harper's Weekly, 26.5.1906.

  2. Carl Schurz: Lebenserinnerungen, Bd. I. Berlin: Georg Reimer, 1906, S. 107 f.

  3. Schurz: Lebenserinnerungen I, S. 114.

  4. Rudolf Geiger: Der deutsche Amerikaner. Carl Schurz – Vom deutschen Revolutionär zum amerikanischen Staatsmann. Gernsbach: Casimir Katz, 2007, S. 38 f.

  5. Carl Russell Fish: Carl Schurz – The American, in: Wisconsin Magazine of History, 12/4 (1929), S. 346–368, hier S. 346; vgl. zu Schurz als Intellektuellem: Eric Foner: Reconstruction. America’s Unfinished Revolution. 1863-1877. New York 2002, S. 488.

  6. Geiger: Der deutsche Amerikaner, S 57 f.

  7. Schurz: Lebenserinnerungen I, S. 274-279.

  8. Carl Schurz: Lebenserinnerungen, Bd. II Berlin: Georg Reimer, 1907, S. 486.

  9. Schurz: Lebenserinnerungen II, 486-502.

  10. Foner: Reconstruction, S. 496 f.; H. W. Brands: The Man Who Saved the Union: Ulysses S. Grant in War and Peace, S. 489 et passim.

  11. Julius Wilm: Jenseits der Legende vom guten Deutschen: Carl Schurz in den USA. In: Geschichte der Gegenwart, 24.4.2022.

  12. Vgl. zur Diskussion Dirk Kurbjuweit: Kein Held ist perfekt, in: Der Spiegel, 14.5.2022, S. 48–49. Uwe Timm: Carl Schurz: Notfalls mit Gewalt, in: Die Zeit, 3.9.2015; Alfred Georg Frei: Ein deutsches Leben. Vom Rastatter Freiheitskämpfer zum Innenminister der USA: Das abenteuerliche Schicksal des Carl Schurz, der im Mai 1906 in New York gestorben ist, in: Die Zeit, 4.5.2006; Joachim Oltmann: Der Befreier. Erst deutscher Revolutionär und Helfer bei einem Gefängnisausbruch, dann US-General und Innenminister der Vereinigten Staaten: Der erstaunliche Werdegang des Carl Schurz, in: Süddeutsche Zeitung, 17.2.2007; Wilm: Legende.

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Hedwig Richter ist Professorin für Neuere und Neuste Geschichte an der Universität der Bundeswehr München. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen u.a. die deutsche und europäische Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert sowie die Demokratie- und Diktaturforschung.