Die Rolle der Zeitzeug*innen der Landshut-Entführung im Demokratieraum
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Das Projektteam verfolgt beim Austausch mit den Zeitzeug*innen eine besondere Form von Beteiligung im Projekt und öffnet deshalb einen Raum zum Austausch.
Vom 13. Oktober 1977 an, für fünf Tage, waren die 82 Passagiere und fünf Crew-Mitglieder an Bord des Lufthansa-Flugs LH 181 Geiseln von vier Terrorist*innen der PFLP. Alle Geiseln sind Zeitzeug*innen der Entführung der „Landshut“. Auch die an der Befreiung beteiligten GSG-9 Mitglieder sind Zeitzeugen der Entführung des Passagierflugzeugs geworden, ebenso die Ebene der politischen Entscheider, die u.a. Teil des Krisenstabs im Kanzleramt unter Helmut Schmidt waren. Über diesen unmittelbar und mittelbar von der Entführung betroffenen Personenkreis hinaus verfolgten zahlreiche Zeitgenoss*innen das Ereignis vor den Fernsehgeräten, im Radio oder mittels der verschiedenen Print-Medien. Wegen dieser umfassenden Berichterstattung über die „Landshut“-Entführung und aller im Zusammenhang mit dem Deutschen Herbst stehenden Ereignisse – die Schleyer-Entführung sowie dessen Ermordung und die Selbstmorde in Stammheim – haben zahlreiche Personen in Westdeutschland diese Bilder bis heute vor Augen. Der nachhaltige Eingang in das westdeutsche Bildgedächtnis war nicht zuletzt möglich, da es sich bei der „Landshut“-Entführung um eines der ersten terroristischen Ereignisse handelte, das in seinem gesamten Verlauf medial begleitet wurde. Und auch die Rezeption des Ereignisses in unterschiedlichen Spielfilmen trug darüber hinaus zu einer Festigung des Ereignisses im Bildgedächtnis bei.
Trotz dieser medialen Präsenz fanden und finden die vom Terror Betroffenen deutlich weniger Beachtung in der Öffentlichkeit als die Täter*innen und ein Bekenntnis zu einer Fürsorgeplicht von staatlicher Seite war lange ausgeblieben. Grund hierfür ist u.a. der von Seiten der RAF selbst konstruierte und medial bereitwillig bis heute transportierte RAF-Mythos, der sich bis zu einer popkulturellen Rezeption ausgeweitet hat. Dem, einer von Jahrestagen bestimmten journalistischen Berichterstattung, aber auch die sich nur langsam verändernde Verhaltensweise staatlicher Stellen gegenüber den Betroffenen des RAF-Terrorismus, gilt es mit an einem methodisch interdisziplinär arbeitenden Ort der Demokratiebildung zu begegnen. Der Demokratieraum wird die Perspektive der Zeitzeug*innen der Landshut-Entführung für die Besuchenden des Lernortes in ihrer Unterschiedlichkeit zugänglich und erkennbar machen. Damit wird Zeitzeugenschaft in ihrer Qualität als zeithistorische Quelle ernst genommen und zugleich dem Grundsatz der Multiperspektivität in der historisch-politischen Bildung Rechnung getragen. Nicht zuletzt hierin liegt genau der Wert von Erzählungen von Zeitzeug*innen: Auch wenn ihr geschildertes Erleben subjektiv, sprunghaft, vielleicht auch entgegen Angaben in anderen Quellen steht, liegt genau darin die Besonderheit dieser Erzählungen, denn sie demonstrieren „wie Geschichte subjektiv erfahren und verarbeitet wird“ und stellen so für die historisch-politische Bildung in ihrer biografischen Erzählweise wichtige emotionale Anknüpfungspunkte für Besuchende dar, den das Flugzeugwrack für diese wichtige Zielgruppe nicht ermöglicht.
Die Zeitzeug/-innen der Landshut-Entführung Aribert Martin, Jürgen Vietor und Diana Müll.
Die Zeitzeug/-innen der Landshut-Entführung Aribert Martin, Jürgen Vietor und Diana Müll.
Das Projektteam verfolgt beim Austausch mit den Zeitzeug*innen, insbesondere bei den ehemaligen Geiseln der „Landshut“-Entführung, eine besondere Form von Beteiligung im Projekt und öffnet deshalb einen Raum zum Austausch. Die späteren Besuchenden des Lernorts sollen im Demokratieraum die Perspektiven, Erfahrungen und das Erleben der Überlebenden des Terrorismus aus deren (gegenwärtigen) Perspektive erfahren können. Der Demokratieraum wird hierdurch der Aufgabe als Erinnerungsort nachkommen, indem er an die Gewalterfahrungen der Geiseln und an den Tod von Jürgen Schumann erinnert. Entlang der Standards der historisch-politischen und der kulturellen Bildung werden die Besuchenden den besonderen Wert des Erzählens der Erinnerungen durch die Zeitzeug*innen erkennen können. Dies bedeutet, dass sie den Wert des Erzählten jenseits von falsch und richtig fassen können. Gerade das individuelle, gegenwärtige Erzählen der Zeitzeug*innen ermöglicht den Zugang zum Erlebten in der Gegenwart der Besuchenden. Durch den möglichen Zugang zu verschiedenen Erzählungen unterschiedlicher Zeitzeug*innen soll u.a. im Rahmen des Bildungsangebots vor Ort der Umgang mit dieser besonderen Form des Erzählens ermöglicht werden, aber auch ein Zugang zu einer emotionalen Erfahrung durch konkrete Fragen nach dem Erleben von Terrorismus, das Erleben nach der Befreiung und hiermit eng verknüpft die Frage nach der persönlichen Bedeutung bzw. dem Bezug des historischen Objekts für die verschiedenen Zeitzeug*innen. Für das Projektteam der bpb stellt daher der Austausch mit den Zeitzeug*innen einen entscheidenden Arbeitsbereich dar, in dem Wege gesucht werden, diesen Personenkreis in die Konzeption des künftigen Demokratieraums einzubinden.